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Meisterschaft sind dieselben wie in Deutschland:
Schelten, Verrufserklären, allgemeiner Aufstand
und Sperre. — Trotz zahlreicher Verbote der
Könige schon seit 1889 und selbst des Edilts der
Sorbonne vom 30. Mai 1648 bestanden die
Verbände ebenso weiter wie unter den Verboten
der Republik und des Konsulats. Die Verbote
scheiterten an der Macht und der Einmütigkeit
der Verbände. Erst das Gesetz vom 21. März
1884 beseitigt das Assoziationsverbot und gibt
den gewerblichen Verbänden eine wenn auch ein-
geschränkte öffentlich--rechtliche Grundlage. Die
Compagnonnages haben zum kleinen Teile bis
jetzt noch vegetiert, jedoch durch die Einführung
der Manufakturen gleichzeitig mit den Zünften
ähnlich wie die deutschen Verbände den Todesstoß
erhalten. Ihre Erbschaft hat zum weitaus größten
Teile die moderne Gewerkschaft angetreten.
4. Das Gesellenwesen der neueren
Zeit. Nach der Auflösung der alten Ordnung
war der Geselle durch keine Sondervorschriften
mehr behindert, er war aller Beschränkungen frei.
Denn durch das Edikt vom 2. Nov. 1810 bzw.
das Ausführungsgesetz vom 7. Sept. 1811 war
der Befähigungsnachweis, die Hauptschranke der
Niederlassung, beseitigt, die Ausübung eines Ge-
werbes nur von der Zahlung einer Gewerbesteuer
abhängig gemacht, Gleichstellung von Stadt und
Land angeordnet, die Zwangs= und Bannrechte
der Innungen aufgehoben, die scharfe Abgrenzung
zwischen den Arbeitsgebieten der einzelnen Ge-
werbe beseitigt und damit auch den Gesellen die
volle Freiheit in gewerberechtlicher Hinsicht gegeben.
Niemand konnte den Gesellen mehr dauernd in ein
Abhängigkeitsverhältnis zwingen, niemand ihn an
der eignen Niederlassung hindern. Die Wirkung
der Freiheit blieb nicht aus. Wenngleich nach Er-
laß des Edikts vom 2. Nov. 1810 die Innungen,
trotzdem sie rechtlich nicht mehr bestanden, noch
lange Zeit großen Einfluß auf die Gesellen aus-
übten, indem sie ihnen ihre Anordnungen infolge
Nachwirkung ehemaliger Machtbefugnisse zu ok-
troyieren verstanden, so traten doch, nachdem die
Chancen, welche das Edikt für die Niederlassung
bot, mehr in die Gesellenkreise durchgesickert waren,
Zustände ein, welche das kleingewerbliche Leben
nichts weniger als günstig beeinflußten. Infolge
zahlreicher Niederlassungen von Gesellen als selb-
ständige Meister verringerte sich der Nahrungs-
spielraum der um ihre Existenz an sich schon schwer
ringenden Meisterschaft, die im allgemeinen nur
noch ein sehr kleinbürgerliches, oft gar dürftiges
Dasein fristete, noch erheblich. Auf der andern
Seite erzeugte die Möglichkeit der leichteren Nieder-
lassung einen moralischen Defekt bei dem gesamten
Nachwuchs. Jeder Botmäßigkeit nach und nach
bar, erschwerten die der Meisterschaft verbliebenen
Gesellen dieser das Dasein und den Gang einer
geordneten Produktion. Die alte Zunftordnung
war geschwunden und mit ihr die Möglichkeit,
auf die Gesellen einen moralischen Einfluß zu
Lehrlings= und Gesellenwesen.
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gewinnen. Zudem schlossen sich die Gesellen ein-
gedenk ihrer alten Organisation heimlich zu neuen
Gesellenverbänden zusammen. Vielleicht auch ließen
sie die alten Verbände wieder aufleben; es ist dies
jedoch zweifelhaft; Tatsache aber ist, daß noch um
1800 in allen größeren Städten Preußens heim-
lich Gesellenverbände bestanden, sowie daß die
Bundesversammlung am 3. Dez. 1840 einen Be-
schluß gegen alle Gesellenverbindungen und Ge-
sellengerichte und Verrufserklärungen faßte. Diese
heimlichen Verbindungen wirkten nicht fördernd
auf das Verhältnis zwischen Gesellen und Meistern.
In den 1840er Jahren entstanden überall in
Deutschland Absatzstockung und Arbeitslosigkeit
sowie eine Proletarisierung des Handwerks. Die
Meisterschaft schob diese Zustände nicht auf die
oben erwähnten unsfinnigen Niederlassungen der
Gesellen und auf die schlechten Geschäftskonjunk-
turen im allgemeinen, sondern auf die Gewerbe-
freiheit; sie verlangte daher bei den Regierungen
in zahllosen Anträgen eine Wiederherstellung der
alten Zunstverfassung. Wenngleich die Gesellen
sich in ebenso heftigen Petitionen und Versamm-
lungen gegen die Beschränkung der Gewerbefrei=
heit sträubten, so schritten doch Hannover und
Preußen zu gewissen Eindämmungen derselben
und führten bereits 1848 gewisse Zunftprivilegien
und den Konzessionszwang ein. Die preußische
Verordnung vom 9. Febr. 1849 führte sodann
neben der obligatorischen Lehrlings= (resp. Ge-
sellen-) Prüfung eine dreijährige Gesellenzeit ein
und dehnte den 1845 schon stückweise wieder
eingeführten Befähigungsnachweis auf fast alle
Handwerker aus. Diese Verordnung in Verbin-
dung mit der Gew. O. vom 17. Jan. 1845 bildete
bis 1869 den Rechtszustand und erschwerte den
Gesellen die Niederlassung; der Meisterschaft hat
sie trotzdem kein Heil gebracht. Im Jahre 1869
wurde die volle Gewerbefreiheit eingeführt, und
damit fiel definitiv jede Schranke für die Gesellen.
Das Gesellenverhältnis wurde von da ab wesent-
lich nur noch als reines Arbeitsverhältnis zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer betrachtet.
Die folgenden Jahre förderten aber im Ge-
sellenwesen Zustände zutage, welche wieder eine
gesetzliche Reglung der gesamten Verhältnisse er-
heischten. Nach der Gew. O. von 1869 war die
Innung ihres öffentlichen rechtlichen Charakters
entkleidet und nur als Verein fernerhin zugelassen
worden; dadurch war ihr die Erfüllung ihrer
Aufgabe bezüglich des Gesellenwesens völlig be-
schnitten; eine Einwirkung auf die Reglung der
gewerblichen Verhältnisse über den Kreis ihrer
Mitglieder hinaus stand ihr fernerhin nicht mehr
zu. Die Novellen zur Gew. O. vom 17. Juni
1878 und 18. Juli 1881 suchten die Schäden
einigermaßen zu heilen. Durch die Novelle von
1881 wurde der Innung wieder ein öffentlich-
rechtlicher Charakter verliehen und ihr gleichzeitig
rücksichtlich der Gesellen folgende Aufgaben ge-
stellt: Förderung eines gedeihlichen Verhältnisses