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vorgenannten Ländern haben die Leihhäuser ihren
ursprünglichen Charakter als öffentliche Wohl-
tätigkeitsanstalten im wesentlichen beibehalten,
ebenso die alte Organisation, soweit diese nicht
den modernen Verkehrs= und Geschäftsverhältnissen
angepaßt werden mußte.
In Deutschland bestanden bereits zu Anfang
des 15. Jahrh. in verschiedenen Städten Banken,
die gegen Sicherheitsleistung durch Pfand oder
Bürgschaft verzinsliche Darlehen zahlten; doch
war der Reingewinn, den diese meist in städtischer
Verwaltung befindlichen Banken erzielten, nicht zu
Wohltätigkeitszwecken bestimmt, sondern er floß
der Stadtkasse zu. Erst gegen Ausgang des
16. Jahrh. wurde zu Augsburg ein ganz der Or-
ganisation der italienischen monti di pieta ent-
sprechendes Leihhaus gegründet, das lediglich den
Wohltätigkeitszweck verfolgte. Es folgten zu An-
fang des 17. Jahrh. Nürnberg, Ulm und Ham-
burg (1650) und andere Städte. Zu Anfang des
18. Jahrh. traten Kassel, Frankfurt und später
München, Dresden sowie fast alle größeren und
viele mittlere und kleinere Städte hinzu. Die mei-
sten dieser Leihhäuser bestehen zur Zeit noch; sie
stehen durchweg in städtischer Verwaltung, die
Reinerträgnisse sind zur Unterstützung der Armen-
kassen bestimmt.
In den deutschen Staaten ist nunmehr das
Leihwesen landesgesetzlich geregelt. Zur Zeit be-
läuft sich die Zahl der öffentlichen Leihhäuser in
Deutschland auf etwa 60, von denen die meisten
städtisch, nur wenige (darunter das 1834 errichtete
königliche Leihhaus zu Berlin) staatlich sind. Die
Zahl der hierneben bestehenden Privatleihanstalten,
die fast ausschließlich den Charakter der Erwerbs-
gesellschaften haben, ist erheblich höher und beläuft
sich auf etwa 1000.
Der Geschäftsgang, wieer sich in den öffent-
lichen Leihhäusern Deutschlands ziemlich einheit-
lich gebildet hat, ist folgender: Die Pfänder,
welche meistens in Kleidungsstücken, Schmuck-
sachen, Uhren oder sonst leicht aufzubewahrenden
Gegenständen bestehen, werden von den Taxatoren
abgeschätzt und bis zur Höhe von 5/ bis ¼ des
Taxwertes gegen Aushändigung eines Pfand-
scheines an den Darlehensempfänger und gegen
einen mäßigen Zinssatz beliehen. In Preußen
darf gesetzlich der Zinsfuß betragen: a) 2 Pfennig
für jeden Monat und jede Mark von Beträgen
bis zu 30 M., also 24% ; b) 1 Pfennig für jeden
Monat und jede den Betrag von 30 KM über-
steigende Mark, also 12 %%. Es bestehen jedoch in
Wirklichkeit fast überall, auch bei den preußischen
Leihhäusern, günstigere Bedingungen. Die Be-
leihung geschieht gewöhnlich nur auf kurze Zeit,
auf einige Monate, bis zu einem Jahre, an
manchen Orten bis zu 2½/ Jahren. Gegen Rück-
gabe des Pfandscheines, der in den meisten Leih-
häusern nicht auf den Namen lautet, wird das
Pfandobjekt ausgeliefert. Erfolgt die Einlösung
des Pfandes nicht in der bestimmten Zeit, und
Leihhäuser.
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wird auch keine Prolongation nachgesucht, so er-
folgt der Verkauf in öffentlicher Versteigerung.
Der hierbei erzielte Mehrerlös kann von dem
Pfandscheinbesitzer erhoben werden und fällt erst,
wenn dies innerhalb einer bestimmten Frist nicht
geschehen ist, der Anstalt oder der Armenkasse zu.
Die ziemlich allgemein übliche Praxis, daß die
Pfandscheine auf den Inhaber ausgestellt werden
und der Darlehensempfänger weder seinen Namen
anzugeben noch überhaupt sich zu legitimieren
braucht, gründet sich auf die Erfahrung, daß es
feinfühlenden Personen meist schwer wird, ihre
Geldverlegenheit aufzudecken und Gegenstände
ihres täglichen Gebrauchs, Kleidungsstücke, Ringe,
Uhren zum Versatz zu bringen. Sie pflegen sich
deshalb der Vermittlungspersonen zu bedienen,
die bei der bestehenden Einrichtung ohne Namens-
nennung das Leihgeschäft besorgen. Es erscheint
fraglich, ob in dieser an sich zwar durchaus bil-
ligen Rücksichtnahme nicht doch zu weit gegangen
wird und ob nicht jedenfalls wenigstens die Pfand-=
scheine zweckmäßiger auf Namen lauteten, da die
jetzt gewährte Leichtigkeit der Weiterveräußerung
des Pfandscheines unzweifelhaft dem Leichtsinn
Vorschub leistet.
Über den Wert und den Nutzen der öffent-
lichen Leihhäuser gehen die Urteile weit aus-
einander. Während auf der einen Seite diese An-
stalten als Krebsschaden an dem wirtschaftlichen
Wohlstande der ärmeren und mittleren Bevölke-
rung bezeichnet werden, wird auf der andern Seite
ihre Existenz als Bedingung zur Verhütung des
Ruins ganzer Bevölkerungsklassen gepriesen. Un-
zweifelhaft waren die ursprünglichen monti di
pietà für die damalige Zeit eine Notwendigkeit
und von den segensreichsten Wirkungen. Aus-
schließlich zu charitativen Zwecken gegründet, ge-
währten sie nur solchen Personen, die sich in wirt-
schaftlicher Not befanden, Aushilfe. Ihr Zweck
und der Umstand, daß die Gründung aus milden
Gaben und Stiftungen geschah, führte von selbst
zu einer gewissenhaften Prüfung der Bedürftigkeit
und Würdigkeit der einzelnen Darlehenssucher und
verhinderte den Mißbrauch der Anleihe zur För-
derung des Leichtsinnes und schlechter wirtschaft-
licher Haushaltung. Zwar können die jetzigen
Leihhäuser noch immer als Wohltätigkeitsanstalten
angesehen werden, insofern sie nicht einen eignen
pekuniären Gewinn bezwecken, vielmehr die Be-
triebserträgnisse zur Herabsetzung des Zinsfußes
oder zur Unterstützung der Armen verwenden;
allein der eigentlich charitative Charakter, der ur-
sprünglich dem Verhältnis zwischen dem monte
und dem Geldempfänger zugrunde lag und den
letzteren in der Hingabe des Geldes einen wirk-
lichen Akt der Wohltätigkeit erblicken ließ, ist mit
der Entwicklung des Verkehrs= und Geschäftslebens
allmählich geschwunden, um einem rein geschäft-
lichen, bureaumäßigen Verfahren Platz zu machen.
Ohne Prüfung der persönlichen und wirtschaft-
lichen Verhältnisse wird jedem, der das Pfand-