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Die Einnahmen, die fast ausschließlich aus
Zöllen sowie aus Taxen auf ausgeführten Kautschuk
und Kopfsteuern auf auswandernde oder auf den
Schiffen Dienste nehmenden Eingebornen fließen,
betrugen 1907/08: 376687, die Ausgaben 1906:
340 036 Dollar. Die finanzielle Lage der Re-
publik scheint sich seit der Eröffnung des Innern
für den Handel der Weißen zu bessern; die öffent-
liche Schuld betrug 1908: 189 100 Pfund Ster-
ling äußere und 60 000 Pf. St. innere Schuld.
— Ein stehendes Heer besitzt Liberia nicht, jedoch
ist jeder waffenfähige Bürger von 16 bis 50 Jahren
zum Kriegsdienst verpflichtet, wodurch sich eine
Miliz von 2 Brigaden mit 5 Regimentern (zu-
sammen 2000 Mann) ergibt. Im Wappen der
Republik erinnert ein mit vollen Segeln daher-
fahrender Dreimaster und die Devise: The love
of liberty brought us here, an ihre Entstehung;
außerdem zeigt es einen Pflug, einen palmartigen
Baum, die aufgehende Sonne und einen mit dem
Freiheitsbrief heranfliegenden Vogel. Die Landes-
farben sind Rotl, Weiß, Blau; die Flagge ist von
Rot und Weiß elfmal horizontal gestreift (mit
Rot beginnend und schließend) und trägt oben am
Flaggenstock ein blaues, die fünf obersten Streifen
einnehmendes Viertel mit weißem, fünfzackigem
Stern.
Literatur. Wauwermans, Libéria, histoire
de la fondation d'un état négre libre (Brüssel
1885); Bourzeix, La République de Libéria (Par.
1887); Dutry, Libéria, son histoire, sa constitu-
tion et ses resscurces commerciales (ebd. 1887);
Büttikofer, Reisebilder aus L. (2 Bde, 1890); M.
Pherson, History of Liberia (Lond. 1891); Dela-
fosse, Un état negre, in Renseignements colo-
niaux (Par. 1900); Johnston, Liberia (2 -de,
Lond. 1906; mit Bibliographie); Report of U. S.
Commissioner of Education for 1905 1 (Washing-=
ton 1907). [Franz, rev. Lins.)
Lieber, Dr Ernst Marie (geb. 16. Nov.
1838 zu Camberg in Nassau, gest. ebendort
31. März 1902). Der Tod dieses hervorragenden
Parlamentariers und katholischen Politikers liegt
auch heute, sieben Jahre nach seinem Tod, noch
zu kurze Zeit hinter uns, als daß schon eine
gründliche Würdigung seiner Tätigkeit möglich
wäre. Es kann sich daher an dieser Stelle nur
um eine Skizze vorläufigen Charakters handeln.
Liebers Vater, der nassauische Legationsrat
Dr Moritz Lieber, der in den Kölner Wirren, im
nassauischen Schul= und Kirchenstreit und auch
sonst in der katholischen Bewegung Deutschlands
als Redner und Schriftsteller eine hervorragende
Rolle spielte, war in erster Ehe mit einer Schwester
des bekannten Münchener Generalvikars Windisch-
mann verheiratet; seine zweite Frau, Maria Jo-
sepha geb. Hilt aus Oberursel, schenkte ihm zehn
Kinder, von denen sieben Ernst überlebt haben.
Unter den glücklichsten Familienverhältnissen heran-
wachsend, erhielt er seine Gymnasialbildung in
Aschaffenburg und (seit 1855) in Hadamar. Im
Frühjahr 1858 bezog er als Jurist die Universität
Lieber.
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Würzburg. Später studierte er in München,
Bonn und Heidelberg, wo er im Jahre 1861 den
juristischen Doktortitel erwarb. Er war ein flei-
ßiger, aber dem studentischen Frohsinn durchaus
nicht abgeneigter Student; an dem damals noch
in seinen Anfangsstadien stehenden katholischen
Korporationswesen hat er sich eifrig beteiligt, mit
dem Verband der katholischen Studentenverbin-
dungen ist er als einer der ältesten alten Herren
stets in enger Verbindung geblieben. Neben seinem
juristischen Fachstudium trieb er eingehende son-
stige Studien, besonders geschichtliche und literatur-
geschichtliche. Nach bestandenem Doktorexamen
konnte er noch mehrere Jahre einer freien wissen-
schaftlichen Tätigkeit widmen und so den Grund
zu einer ungewöhnlich vielseitigen und gründlichen
allgemeinen Bildung legen. Von besonderem Wert
waren ihm hierbei die Schätze der Hof= und
Staatsbibliothek zu München, wo ihm auch der
Verkehr mit Windischmann, Jörg und Phillips
geistige Anregungen von dauerndem Wert gab.
Daß er beabsichtigte, sich in München als Privat-
dozent zu habilitieren, wird richtig sein, irrig da-
gegen die Annahme, er habe nach dem Tode seines
Vaters (29. Dez. 1860) diesen Gedanken auf-
gegeben, um seine verwitwete Mutter bei der Er-
ziehung der jüngeren Geschwister zu unterstützen;
denn erst 1865 oder 1866 kehrte Lieber auf
Wunsch seiner Mutter dauernd in die Heimat
zurück. Hier wurde er bald in die Offentlichkeit
hineingezogen, wobei die Vertrauensstellung, die
schon sein Vater bei Bischof Blum von Limburg
einnahm, auf den Sohn überging. Seit 1868
tritt Ernst Lieber in Versammlungen auf, zuerst
am Dreikönigentag (6. Jan.), wo Tausende nas-
sauischer Katholiken zu Wallmerod sich seinem
flammenden Protest gegen die Angriffe auf den
Kirchenstaat, namentlich gegen den Putsch Gari-
baldis (Gefecht von Mentana 3. Nov. 1867), an-
schlossen; im Sept. gleichen Jahres sprach er in
Limburg a. d. Lahn über die Simultanschulfrage,
nachdem der nassauische Schulstreit (Einführung
der Simultanschulen durch das Edikt von 1817)
nach der Einverleibung Nassaus in Preußen wie-
der aufgelebt war. Auch schriftstellerisch war er
damals für die Konfessionsschule tätig, anscheinend
nur in der Tagespresse, wenigstens finde ich die
ihm gelegentlich zugeschriebenen Broschüren nir-
gendwo verzeichnet.
Das Jahr 1870, in dem er sich im Lieberschen
Hospital zu Camberg an der Pflege der Opfer des
Krieges beteiligte, brachte seinen Eintritt in sein
eigentliches Arbeitsgebiet, das parlamentarische
Leben. Bei den Neuwahlen für das preußische
Abgeordnetenhaus lehnte sein Kampfgenosse Dom-
kapitular Dr Klein (später Bischof von Limburg)
eine Wiederwahl für den Unterwesterwaldkreis ab;
es war fast selbstverständlich, daß man als Nach-
folger den jungen Landsmann in Aussicht nahm,
der schon manche Beweise einer außergewöhnlichen
Begabung abgelegt hatte, und am 16. Nov. 1870