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läßt sich die staatsbürgerliche und bürgerliche
Stellung der englischen Katholiken in folgenden
Sätzen darstellen: 1) Die katholische Kirche und
ihre Diener als solche genießen keine staatliche
Anerkennung. Nur dem irischen Maynooth-
Kolleg wurde die Staatsdotation fortgewährt.
Bei Erlaß des Gesetzes behufs Abschaffung der
irischen Staatskirche 1871 entledigte die Re-
gierung sich dieser Pflicht durch Zahlung einer
Pauschsumme. 2) Das Tragen des geistlichen
Ornats außerhalb der Kirche ist bei 50 Pf. St.
Strafe verboten. 3) Männliche Orden der katho-
lischen Kirche mit Gelübden sind untersagt. Jeder
einheimische Jesuit oder durch Gelübde gebundene
Mönch hat sich bei Vermeidung von Strafen
beim Friedensrichter anzumelden. Jeder Jesuit
oder Mönch, der nach Erlaß des Emanzipations-
gesetzes den Boden des Reichs betritt, wird mit
ewiger Verbannung belegt. Doch ermächtigt das
Gesetz den Minister des Innern zur Ausstellung
widerruflicher Aufenthaltskarten. Diese Bestim-
mungen, von welchen weibliche Orden aus-
genommen sind, blieben in dem Maße toter Buch-
stabe, daß die Regierung sogar den berühmten
Jesuiten P. Perry mit der Vornahme astrono-
mischer Beobachtungen auf Staatskosten wieder-
holt beauftragte. In einer scharfen Kritik über
die Ordensklausel hatte O'Connell 1829 be-
hauptet, die Anstellung einer Klage auf Grund
derselben sei wegen Mangels ausreichender Be-
weismittel unmöglich (Bellesheim III 343).
4) Die Katholiken genießen aktives und passives
Wahlrecht zum Parlament und zu den städtischen
Amtern. Katholische Priesier sind jedoch wie die
Geistlichen der Staatskirche zum Unterhaus nicht
wählbar. 5) Der Träger der Krone muß der
Staatskirche angehören. Ausgeschlossen sind die
Katholiken ferner vom Amt eines Lordkanzlers
von England und Vizekönigs von Irland. Das
Amt eines Lordkanzlers von Irland ist ihnen zu-
gänglich. Die im Gesetz der Emanzipation für
die Bekleidung dieser Amter vorgeschriebene Erklä-
rung wider die Wesensverwandlung im heiligsten
Altarssakrament sowie der gegen die päpstliche
Gewalt gerichtete Eid sind zwar durch die Gesetze
29.n 30. Victoria c. 62 sowie 34. 35. Victoria
. 48 abgeschafft, doch besteht heute noch ein
Zweifel darüber, ob die Berufung eines Katho-
liken zu diesen Posten gültig sei. Ein zur Be-
seitigung dieses Zweifels von Gladstone 1891
eingebrachtes Erleichterungsgesetz wurde vom
Unterhaus abgelehnt. 6) Das einem Katholiken
an anglikanischen Pfründen zustehende Patronat
ruht. Es wurde früher vom Erzbischof von
Canterbury ausgeübt und steht derzeit den Hoch-
schulen von Oxford oder Cambridge zu, je nach-
dem die Pfründe südlich oder nördlich vom Fluß
Trent liegt (Lilly-Wallis 43). 7) Durch 34.
35. Victoria c. 26 ist die Bestimmung, welche
Katholiken von den Amtern und Bursen in Ox-
sord und Cambridge ausschließt, beseitigt worden.
Katholiken-Emanzipation ufw.
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8) Ein Gesetz von 1880 (43. 44. Victoria
. 41) hat die anglikanischen Kirchhöfe säkulari-
siert und deren Gebrauch allen Bekenntnissen ge-
stattet. 9) Nach dem Gesetze 6. 7. William IV.
. 85 vom Jahre 1836 bedürfen die Katholiken
zur Eingehung der Ehe fortan keiner Genehmigung
des Erzbischofs von Canterbury. Die bürgerliche
Gültigkeit der Ehe wird dadurch gewährleistet,
daß der Priester die Einsegnung der Ehe in
Gegenwart des Zivilstandsbeamten in einer zuvor
bei dem letzteren eingetragenen katholischen Kapelle
vornimmt. Vergebens hat der katholische Episkopat
am 11. April 1866 um Nachlaß der namentlich
für die Armen drückenden hohen Gebühren ge-
beten (Lilly-Wallis 191). 10) Das gegen die
Führung der katholischen Bischofstitel 1851 er-
lassene Gesetz blieb toter Buchstabe und wurde
1871 abgeschafft. 11) Durch Gesetz von 1860
(23. 24. Victoria c. 136) wurden die Katho-
liken mit Bezug auf milde Stiftungen auf eine
Linie mit den übrigen Bürgern gestellt. Doch
gelten auch heute noch Meßstiftungen als aber-
gläubisch und gleichwie Vermächtnisse an ver-
botene katholische Orden als ungültig. Indes
ermächtigt das Gesetz den Kanzleigerichtshof, beide
Arten von Stiftungen aufrecht zu erhalten und
andern milden Zwecken zu widmen. 12) Nach
einem Gesetz von 1891 (54. 55. Victoria c. 17)
dürfen Immobilien letztwillig zu milden Stif-
tungen vermacht werden, aber binnen Jahresfrist
sind dieselben zu veräußern und ist mit dem Erlös
die Stiftung zu errichten. 13) Der Vater hat
ausschließlich das Recht, die religiöse Erziehung
der Kinder zu bestimmen. Nicht einmal an seine
Gattin kann er dasselbe abtreten. Antenuptial=
verträge gegen diese Bestimmung sind ungültig.
Diese Härte steht im Widerspruch mit dem Gesetz
von 1886 (49. 50. Victoria c. 27), welches die
Mutter nach dem Ableben des Vaters zur Haupt-
vormünderin und Leiterin der Erziehung beruft.
14) Im Heer, in der Flotte, den Gefängnissen
und Arbeitshäusern ist für Befriedigung der reli-
giösen Bedürfnisse der Katholiken ausreichend
gesorgt. 15) Die Elementarschulen werden von
der katholischen Geistlichkeit geleitet (managers).
Um als „wirksame“ Schulen im Sinne des Ge-
setzes zu gelten und die für jedes arme Kind durch
Gesetz vom Sept. 1891 (54. 55. Victoria c. 56)
bestimmte jährliche Summe von 10 Shillings
zu empfangen, haben sie den staatlichen Anforde-
rungen zu entsprechen und sich der königlichen
Schulinspektion zu unterwerfen. Der von der
Regierung dem Unterhaus 1901 vorgelegte Ent-
wurf zu einem neuen Elementarschulgesetz, welcher
die bisherigen Befugnisse der geistlichen Leiter der
Schulen beschränkte, fand in katholischen und
anglikanischen Kreisen starken Widerspruch und
wurde zurückgezogen (Tablet XCVII (19011t49).
Nach aufregenden Erörterungen erging im Dez.
1902 ein neues Elementarschulgesetz, welches die
katholischen Schulen durch bedeutende Erhöhung