Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

75 
läßt sich die staatsbürgerliche und bürgerliche 
Stellung der englischen Katholiken in folgenden 
Sätzen darstellen: 1) Die katholische Kirche und 
ihre Diener als solche genießen keine staatliche 
Anerkennung. Nur dem irischen Maynooth- 
Kolleg wurde die Staatsdotation fortgewährt. 
Bei Erlaß des Gesetzes behufs Abschaffung der 
irischen Staatskirche 1871 entledigte die Re- 
gierung sich dieser Pflicht durch Zahlung einer 
Pauschsumme. 2) Das Tragen des geistlichen 
Ornats außerhalb der Kirche ist bei 50 Pf. St. 
Strafe verboten. 3) Männliche Orden der katho- 
lischen Kirche mit Gelübden sind untersagt. Jeder 
einheimische Jesuit oder durch Gelübde gebundene 
Mönch hat sich bei Vermeidung von Strafen 
beim Friedensrichter anzumelden. Jeder Jesuit 
oder Mönch, der nach Erlaß des Emanzipations- 
gesetzes den Boden des Reichs betritt, wird mit 
ewiger Verbannung belegt. Doch ermächtigt das 
Gesetz den Minister des Innern zur Ausstellung 
widerruflicher Aufenthaltskarten. Diese Bestim- 
mungen, von welchen weibliche Orden aus- 
genommen sind, blieben in dem Maße toter Buch- 
stabe, daß die Regierung sogar den berühmten 
Jesuiten P. Perry mit der Vornahme astrono- 
mischer Beobachtungen auf Staatskosten wieder- 
holt beauftragte. In einer scharfen Kritik über 
die Ordensklausel hatte O'Connell 1829 be- 
hauptet, die Anstellung einer Klage auf Grund 
derselben sei wegen Mangels ausreichender Be- 
weismittel unmöglich (Bellesheim III 343). 
4) Die Katholiken genießen aktives und passives 
Wahlrecht zum Parlament und zu den städtischen 
Amtern. Katholische Priesier sind jedoch wie die 
Geistlichen der Staatskirche zum Unterhaus nicht 
wählbar. 5) Der Träger der Krone muß der 
Staatskirche angehören. Ausgeschlossen sind die 
Katholiken ferner vom Amt eines Lordkanzlers 
von England und Vizekönigs von Irland. Das 
Amt eines Lordkanzlers von Irland ist ihnen zu- 
gänglich. Die im Gesetz der Emanzipation für 
die Bekleidung dieser Amter vorgeschriebene Erklä- 
rung wider die Wesensverwandlung im heiligsten 
Altarssakrament sowie der gegen die päpstliche 
Gewalt gerichtete Eid sind zwar durch die Gesetze 
29.n 30. Victoria c. 62 sowie 34. 35. Victoria 
. 48 abgeschafft, doch besteht heute noch ein 
Zweifel darüber, ob die Berufung eines Katho- 
liken zu diesen Posten gültig sei. Ein zur Be- 
seitigung dieses Zweifels von Gladstone 1891 
eingebrachtes Erleichterungsgesetz wurde vom 
Unterhaus abgelehnt. 6) Das einem Katholiken 
an anglikanischen Pfründen zustehende Patronat 
ruht. Es wurde früher vom Erzbischof von 
Canterbury ausgeübt und steht derzeit den Hoch- 
schulen von Oxford oder Cambridge zu, je nach- 
dem die Pfründe südlich oder nördlich vom Fluß 
Trent liegt (Lilly-Wallis 43). 7) Durch 34. 
35. Victoria c. 26 ist die Bestimmung, welche 
Katholiken von den Amtern und Bursen in Ox- 
sord und Cambridge ausschließt, beseitigt worden. 
Katholiken-Emanzipation ufw. 
  
76 
8) Ein Gesetz von 1880 (43. 44. Victoria 
. 41) hat die anglikanischen Kirchhöfe säkulari- 
siert und deren Gebrauch allen Bekenntnissen ge- 
stattet. 9) Nach dem Gesetze 6. 7. William IV. 
. 85 vom Jahre 1836 bedürfen die Katholiken 
zur Eingehung der Ehe fortan keiner Genehmigung 
des Erzbischofs von Canterbury. Die bürgerliche 
Gültigkeit der Ehe wird dadurch gewährleistet, 
daß der Priester die Einsegnung der Ehe in 
Gegenwart des Zivilstandsbeamten in einer zuvor 
bei dem letzteren eingetragenen katholischen Kapelle 
vornimmt. Vergebens hat der katholische Episkopat 
am 11. April 1866 um Nachlaß der namentlich 
für die Armen drückenden hohen Gebühren ge- 
beten (Lilly-Wallis 191). 10) Das gegen die 
Führung der katholischen Bischofstitel 1851 er- 
lassene Gesetz blieb toter Buchstabe und wurde 
1871 abgeschafft. 11) Durch Gesetz von 1860 
(23. 24. Victoria c. 136) wurden die Katho- 
liken mit Bezug auf milde Stiftungen auf eine 
Linie mit den übrigen Bürgern gestellt. Doch 
gelten auch heute noch Meßstiftungen als aber- 
gläubisch und gleichwie Vermächtnisse an ver- 
botene katholische Orden als ungültig. Indes 
ermächtigt das Gesetz den Kanzleigerichtshof, beide 
Arten von Stiftungen aufrecht zu erhalten und 
andern milden Zwecken zu widmen. 12) Nach 
einem Gesetz von 1891 (54. 55. Victoria c. 17) 
dürfen Immobilien letztwillig zu milden Stif- 
tungen vermacht werden, aber binnen Jahresfrist 
sind dieselben zu veräußern und ist mit dem Erlös 
die Stiftung zu errichten. 13) Der Vater hat 
ausschließlich das Recht, die religiöse Erziehung 
der Kinder zu bestimmen. Nicht einmal an seine 
Gattin kann er dasselbe abtreten. Antenuptial= 
verträge gegen diese Bestimmung sind ungültig. 
Diese Härte steht im Widerspruch mit dem Gesetz 
von 1886 (49. 50. Victoria c. 27), welches die 
Mutter nach dem Ableben des Vaters zur Haupt- 
vormünderin und Leiterin der Erziehung beruft. 
14) Im Heer, in der Flotte, den Gefängnissen 
und Arbeitshäusern ist für Befriedigung der reli- 
giösen Bedürfnisse der Katholiken ausreichend 
gesorgt. 15) Die Elementarschulen werden von 
der katholischen Geistlichkeit geleitet (managers). 
Um als „wirksame“ Schulen im Sinne des Ge- 
setzes zu gelten und die für jedes arme Kind durch 
Gesetz vom Sept. 1891 (54. 55. Victoria c. 56) 
bestimmte jährliche Summe von 10 Shillings 
zu empfangen, haben sie den staatlichen Anforde- 
rungen zu entsprechen und sich der königlichen 
Schulinspektion zu unterwerfen. Der von der 
Regierung dem Unterhaus 1901 vorgelegte Ent- 
wurf zu einem neuen Elementarschulgesetz, welcher 
die bisherigen Befugnisse der geistlichen Leiter der 
Schulen beschränkte, fand in katholischen und 
anglikanischen Kreisen starken Widerspruch und 
wurde zurückgezogen (Tablet XCVII (19011t49). 
Nach aufregenden Erörterungen erging im Dez. 
1902 ein neues Elementarschulgesetz, welches die 
katholischen Schulen durch bedeutende Erhöhung 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.