893
und das nationale Wohl schwer schädigende
Frauen= und Kinderarbeit nicht in ausreichendem
Maße beschränkt werden kann, so spricht dies zu-
gunsten der Ansicht, daß der Familienlohn schon
im bloßen Naturrecht begründet sei“ (Pesch, Lohn-
vertrag 507; vgl. Biederlack a. a. O. 130 fv.
Dagegen berufen sich diejenigen, welche den
Familienlohn nicht für eine Forderung der natür-
lichen Gerechtigkeit halten, auf das bekannte Re-
sponsum Romanum (Sept. 1891), in welchem
Kardinal Zigliara auf eine vom Erzbischof von
Mecheln gestellte Anfrage: Sündigt der Unter-
nehmer, der den zum Unterhalt eines Arbeiters
genügenden, aber zur Erhaltung einer Familie
nicht genügenden Lohn zahlt? die Antwort erteilte:
„Er sündigt nicht gegen die Gerechtigkeit, aber er
kann manchmal sündigen gegen die Nächstenliebe
und die natürliche Billigkeit.“ In der beigefügten
Erklärung heißt es: „Die Arbeit ist das persön-
liche Werk des Arbeiters und nicht seiner Fa-
milie.. .. Es wird nicht von der Gerechtigkeit
gefordert, daß man dem durch die Arbeit selbst
verdienten Lohn etwas hinzufüge.“ Es ist schwer,
diese Kundgebung mit der genannten Enzyklika
in Einklang zu setzen. In Deutschland war man
über den Sinn der Enzyklika niemals im Zweifel,
anders dagegen in Belgien und Frankreich; doch
scheint auch hier die dem Familienlohn günstige
Ansicht an Ausbreitung zu gewinnen.
Wenn man als Untergrenze des gerechten Ar-
beitslohnes die Gewährung einermenschenwürdigen
Existenz bestimmt, dann darf man wohl auch für
die weitaus größte Zahl der Menschen die An-
nehmlichkeiten des Familienlebens, die moralische
Stütze, die Pflege und Warte, die der Arbeiter
in der Familie findet, zum Begriffe einer solchen
Existenz und damit des gerechten Lohnes rechnen.
Literatur. Dieselbe ist großenteils angegeben in
Schönberg, Arbeitslohn, im Handwörterbuch der
Staatswissenschaften 1 (21899) 863ff; Lembke,
Ülber einige Bestimmungsgründe des Arbeitslohnes
(1899); Eulenburg, Zur Frage der L.vermittlung
(1899); Loening, Arbeitsvertrag, im Handwörter-
buch der Staatswissenschaften 1 (21899) 979ff;
Zwiedineck-Südenhorst, L politik u. L.theorie mit
besonderer Berücksichtigung des Minimallohnes
(1900); Flesch, Zur Kritik des Arbeitsvertrages
(1901); Klien, Minimallohn u. Arbeiterbeamten-
tum (1902). Die L.theorie der klassischen National-
ökonomie ist dargestellt z. B. bei Pesch, L.vertrag
u. gerechter L., in Stimmen aus Maria-Laach LII;
vgl. ders., Die L.frage in der Praxis, ebd. LIII;
Lehmkuhl, Arbeitsvertrag u. Streik (11904); A.
M. Weiß, Die Gesetze für Berechnung von Kapi-
talszins u. Arbeitslohn (1883); W. Klopp, Der
Surrogatcharakter des L. vertrages in der Groß-
industrie (vertritt gegen Pesch die Auffassung von
dem Gesellschaftscharakter des Arbeitsvertrages, in
der Monatsschrift für christl. Sozialreform (1897)
545). Über Gewinnbeteiligung: Schmoller, über
Gewinnbeteiligung (Zur Sozial= u. Gewerbepolitik
der Gegenwart (1890)); Frommer, Die Gewinn-
beteiligung, in Schmollers Staats= u. sozialwissen-
schaftlichen Forschungen (1886); Gilman, Die Tei-
Lohnwerk — Lübeck.
894
lung des Geschäftsgewinnes, deutsch von Katschar
(1891); Wirminghaus, Gewinnbeteiligung, im
Handwörterb. der Staatswissenschaften III (21900)
716 ff; Walter, Der Streit um den gerechten Ar-
beitslohn, in Soziale Revue 1902, 1 ff; Lotmar,
Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deut-
schen Reiches (2 Bde, 1908); Bernhard, Handbuch
der Löhnungsmethoden (1906); H. Brandt, Ge-
winnbeteiligung u. Ertragslohn (1907).
[Walter.)
Lohnwerk s. Gewerbe (Bd II, Sp. 685).
Lotterie s. Glücks= oder Hazardspiele.
Lübeck. 1. Geschichte. Lübeck, freie
Hansestadt und Bundesstaat des Deutschen Reichs,
entstand nach dem Untergang (1139) des alten
obotritischen Lubecke im Jahre 1143 durch
Adolf II., Grafen von Holstein aus dem Hause
Schauenburg, auf einem Höhenrücken zwischen
Trave und Wakenitz. Der durch Ansiedler aus
Westfalen, Friesland und Pommern schnell be-
völkerte, günstig gelegene Ort brannte 1156 ab
und kam 1158 an Heinrich den Löwen, der ihn
wieder aufbaute, 1163 das Bistum von Olden-
burg hierher verlegte und 1167 die Gemeinde
mit dem berühmten lübischen Rechte beschenkte.
Das sofortige Auftreten der jungen Stadt als
freie sächsische Kommune mit selbständig gewähltem
Rat gab ihr bald ein gewisses Übergewicht über
die minder begünstigten Nachbarorte und erhob
sie zur Vertreterin des Deutschtums gegenüber den
Wenden. Die politischen Umgestaltungen des
Herzogtums Sachsen trugen viel zur raschen För-
derung ihrer Selbständigkeit bei. Friedrich Bar-
barossa, dem sie 1181 die Tore öffnen mußte,
bestätigte ihr nicht nur die alten Freiheiten, son-
dern fügte noch wichtige Handelsprivilegien hinzu.
Während der bald folgenden Kämpfe in den nord-
albingischen Landen wurde Lübeck nach manchen
Wechselfällen 1201 eine Beute der Dänen. Walde-
mars II. Gefangenschaft endete Lübecks Abhängig-
keit, und 1226 erhielt es von Friedrich II. die
Reichsfreiheit, welche die „Kaiserliche Freie und
des Heiligen Römischen Reiches Stadt Lübeck“ bei
Bornhöved 1227 und in der Folgezeit siegreich
behauptete. Von nun an begann die Stadt im
Innern ihre Verhältnisse zu festigen und unter
fortgesetzten Kämpfen nach außen ihren Einfluß
und ihre Macht zu erweitern. Drei Jahrhunderte
hindurch war sie die treue Warte deutschen Wesens
im hohen Norden, das Haupt des hansischen
Städtebundes und die Beherrscherin des Handels
auf der Ost= und Nordsee.
Die Entfernung der norddeutschen Städte vom
Schwerpunkte des Reichs gab ihnen eine gesonderte
Stellung und zwang sie frühzeitig, Schutz und
Anhalt in sich selbst zu suchen. Dem ersten Bünd-
nis Lübecks mit Hamburg und Soest (124 1) folgte
1291 der Bund mit den Fürsten von Braun-
schweig, Holstein und Mecklenburg zur Zerstörung
der lauenburgischen Raubschlösser und 1338 der
große Landfriede der sächsischen, wendischen und
holsteinischen Herren mit den Städten zu Lübeck;