Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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und das nationale Wohl schwer schädigende 
Frauen= und Kinderarbeit nicht in ausreichendem 
Maße beschränkt werden kann, so spricht dies zu- 
gunsten der Ansicht, daß der Familienlohn schon 
im bloßen Naturrecht begründet sei“ (Pesch, Lohn- 
vertrag 507; vgl. Biederlack a. a. O. 130 fv. 
Dagegen berufen sich diejenigen, welche den 
Familienlohn nicht für eine Forderung der natür- 
lichen Gerechtigkeit halten, auf das bekannte Re- 
sponsum Romanum (Sept. 1891), in welchem 
Kardinal Zigliara auf eine vom Erzbischof von 
Mecheln gestellte Anfrage: Sündigt der Unter- 
nehmer, der den zum Unterhalt eines Arbeiters 
genügenden, aber zur Erhaltung einer Familie 
nicht genügenden Lohn zahlt? die Antwort erteilte: 
„Er sündigt nicht gegen die Gerechtigkeit, aber er 
kann manchmal sündigen gegen die Nächstenliebe 
und die natürliche Billigkeit.“ In der beigefügten 
Erklärung heißt es: „Die Arbeit ist das persön- 
liche Werk des Arbeiters und nicht seiner Fa- 
milie.. .. Es wird nicht von der Gerechtigkeit 
gefordert, daß man dem durch die Arbeit selbst 
verdienten Lohn etwas hinzufüge.“ Es ist schwer, 
diese Kundgebung mit der genannten Enzyklika 
in Einklang zu setzen. In Deutschland war man 
über den Sinn der Enzyklika niemals im Zweifel, 
anders dagegen in Belgien und Frankreich; doch 
scheint auch hier die dem Familienlohn günstige 
Ansicht an Ausbreitung zu gewinnen. 
Wenn man als Untergrenze des gerechten Ar- 
beitslohnes die Gewährung einermenschenwürdigen 
Existenz bestimmt, dann darf man wohl auch für 
die weitaus größte Zahl der Menschen die An- 
nehmlichkeiten des Familienlebens, die moralische 
Stütze, die Pflege und Warte, die der Arbeiter 
in der Familie findet, zum Begriffe einer solchen 
Existenz und damit des gerechten Lohnes rechnen. 
Literatur. Dieselbe ist großenteils angegeben in 
Schönberg, Arbeitslohn, im Handwörterbuch der 
Staatswissenschaften 1 (21899) 863ff; Lembke, 
Ülber einige Bestimmungsgründe des Arbeitslohnes 
(1899); Eulenburg, Zur Frage der L.vermittlung 
(1899); Loening, Arbeitsvertrag, im Handwörter- 
buch der Staatswissenschaften 1 (21899) 979ff; 
Zwiedineck-Südenhorst, L politik u. L.theorie mit 
besonderer Berücksichtigung des Minimallohnes 
(1900); Flesch, Zur Kritik des Arbeitsvertrages 
(1901); Klien, Minimallohn u. Arbeiterbeamten- 
tum (1902). Die L.theorie der klassischen National- 
ökonomie ist dargestellt z. B. bei Pesch, L.vertrag 
u. gerechter L., in Stimmen aus Maria-Laach LII; 
vgl. ders., Die L.frage in der Praxis, ebd. LIII; 
Lehmkuhl, Arbeitsvertrag u. Streik (11904); A. 
M. Weiß, Die Gesetze für Berechnung von Kapi- 
talszins u. Arbeitslohn (1883); W. Klopp, Der 
Surrogatcharakter des L. vertrages in der Groß- 
industrie (vertritt gegen Pesch die Auffassung von 
dem Gesellschaftscharakter des Arbeitsvertrages, in 
der Monatsschrift für christl. Sozialreform (1897) 
545). Über Gewinnbeteiligung: Schmoller, über 
Gewinnbeteiligung (Zur Sozial= u. Gewerbepolitik 
der Gegenwart (1890)); Frommer, Die Gewinn- 
beteiligung, in Schmollers Staats= u. sozialwissen- 
schaftlichen Forschungen (1886); Gilman, Die Tei- 
  
Lohnwerk — Lübeck. 
  
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lung des Geschäftsgewinnes, deutsch von Katschar 
(1891); Wirminghaus, Gewinnbeteiligung, im 
Handwörterb. der Staatswissenschaften III (21900) 
716 ff; Walter, Der Streit um den gerechten Ar- 
beitslohn, in Soziale Revue 1902, 1 ff; Lotmar, 
Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deut- 
schen Reiches (2 Bde, 1908); Bernhard, Handbuch 
der Löhnungsmethoden (1906); H. Brandt, Ge- 
winnbeteiligung u. Ertragslohn (1907). 
[Walter.) 
Lohnwerk s. Gewerbe (Bd II, Sp. 685). 
Lotterie s. Glücks= oder Hazardspiele. 
Lübeck. 1. Geschichte. Lübeck, freie 
Hansestadt und Bundesstaat des Deutschen Reichs, 
entstand nach dem Untergang (1139) des alten 
obotritischen Lubecke im Jahre 1143 durch 
Adolf II., Grafen von Holstein aus dem Hause 
Schauenburg, auf einem Höhenrücken zwischen 
Trave und Wakenitz. Der durch Ansiedler aus 
Westfalen, Friesland und Pommern schnell be- 
völkerte, günstig gelegene Ort brannte 1156 ab 
und kam 1158 an Heinrich den Löwen, der ihn 
wieder aufbaute, 1163 das Bistum von Olden- 
burg hierher verlegte und 1167 die Gemeinde 
mit dem berühmten lübischen Rechte beschenkte. 
Das sofortige Auftreten der jungen Stadt als 
freie sächsische Kommune mit selbständig gewähltem 
Rat gab ihr bald ein gewisses Übergewicht über 
die minder begünstigten Nachbarorte und erhob 
sie zur Vertreterin des Deutschtums gegenüber den 
Wenden. Die politischen Umgestaltungen des 
Herzogtums Sachsen trugen viel zur raschen För- 
derung ihrer Selbständigkeit bei. Friedrich Bar- 
barossa, dem sie 1181 die Tore öffnen mußte, 
bestätigte ihr nicht nur die alten Freiheiten, son- 
dern fügte noch wichtige Handelsprivilegien hinzu. 
Während der bald folgenden Kämpfe in den nord- 
albingischen Landen wurde Lübeck nach manchen 
Wechselfällen 1201 eine Beute der Dänen. Walde- 
mars II. Gefangenschaft endete Lübecks Abhängig- 
keit, und 1226 erhielt es von Friedrich II. die 
Reichsfreiheit, welche die „Kaiserliche Freie und 
des Heiligen Römischen Reiches Stadt Lübeck“ bei 
Bornhöved 1227 und in der Folgezeit siegreich 
behauptete. Von nun an begann die Stadt im 
Innern ihre Verhältnisse zu festigen und unter 
fortgesetzten Kämpfen nach außen ihren Einfluß 
und ihre Macht zu erweitern. Drei Jahrhunderte 
hindurch war sie die treue Warte deutschen Wesens 
im hohen Norden, das Haupt des hansischen 
Städtebundes und die Beherrscherin des Handels 
auf der Ost= und Nordsee. 
Die Entfernung der norddeutschen Städte vom 
Schwerpunkte des Reichs gab ihnen eine gesonderte 
Stellung und zwang sie frühzeitig, Schutz und 
Anhalt in sich selbst zu suchen. Dem ersten Bünd- 
nis Lübecks mit Hamburg und Soest (124 1) folgte 
1291 der Bund mit den Fürsten von Braun- 
schweig, Holstein und Mecklenburg zur Zerstörung 
der lauenburgischen Raubschlösser und 1338 der 
große Landfriede der sächsischen, wendischen und 
holsteinischen Herren mit den Städten zu Lübeck; 
 
	        
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