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dern, wäre verfehlt; die von ihnen gerügten Miß-
stände dann und wann willkürlicher Vorschriften
für diesen und jenen Betrieb lassen sich bei ver-
ständiger Anwendung des Gesetzes schon jetzt ver-
meiden oder doch einschränken, würden aber ganz
verschwinden, wenn ein technisches oberstes Reichs-
amt, dessen Schaffung auch aus andern Gründen
sehr zu begrüßen wäre, für ihre Prüfung und
Beseitigung vorhanden wäre.
Gegensätze können sich endlich auch bei der Ver-
wertung der in der Atmosphäre enthaltenen Kräfte,
des Windes, der Wärme und der Elektrizität,
sowie der Luft selbst zu gewerblichen Zwecken er-
geben, wenn Nachbarn die gleiche Kraft oder die
Luftin gleicher Weise auszunutzen beabsichrigen und
sich dabei stören. Im einzelnen auf diese immerhin
seltenen Fälle einzugehen, würde zu weit führen.
II. Der Luftraum. 1. Im Privatrecht.
In schroffem Gegensatz zu seiner Anschauung über
die rechtliche Stellung der Atmosphäre sprach schon
das römische Recht dem Eigentümer eines Grund-
stücks an dem über diesem befindlichen Luftraume
Eigentum zu (I. 22 § 4 D. ducd vi 43, 24).
Die Berechtigung dieser Erweiterung des Eigen-
tums ergibt sich ohne weiteres daraus, daß ohne
sie eine vollständige Herrschaft über das Grund-
stück nicht ausgeübt werden kann. — Das gemeine
Recht schloß sich ihm an, und aus ihm ging dieser
Grundsatz in die neueren Gesetzbücher (A.L.N.
55 65, 123, 141, I, 8; Code Art. 552; Sächs.
B.G.B. vom 2. Jan. 1863, § 218; Osterr.
A. B.G. B. vom 1. Juni 1811, 8 297) und schließ-
lich in das B.G. B. über, das in § 905 bestimmt:
„Das Recht des Eigentümers eines Grundstücks
erstreckt sich auf den Raum über der Ober-
fläche. Es fährt zwar einschränkend fort:
„Der Eigentümer kann jedoch Einwirkungen nicht
verbieten, die in solcher Höhe . vorgenommen
werden, daß er an der Ausschließung kein Interesse
hat“, will damit aber die grundsätzliche Bedeutung
des ersten Satzes nicht abschwächen, vielmehr in
Rücksicht auf die Fortschritte der Technik und ins-
besondere des neuzeitlichen Verkehrs nur verhin-
dern, daß eine sich etwa allzu eng an den ersten Satz
anschließende Rechtsprechung unbeabsichtigte Folge-
rungen zum Schaden jener Entwicklung aus ihm
ziehe. Die von ihm getroffene Reglung ist wirt-
schaftlich und rechtlich nur zu begrüßen: sie wahrt
das Recht des Grundstückseigentümers innerhalb
der Höhe, in der er noch irgend ein Interesse
haben kann, und hindert ihn, darüber hinaus der
Ausnutzung des Luftraums durch Dritte Schwierig-
keiten zu machen. Wie es ihn dafür gegen ihm
etwa daraus entstehende Schädigungen schützt, ist
unten im Rechte des Luftverkehrs zu besprechen.
Innerhalb dieser Höhe ist er durch die gleichen
nachbarrechtlichen und andern Vorschriften ge-
schützt, die ihm den ungehinderten Zutritt hin-
reichender und reiner Luft sichern.
Aus dem Eigentumsrechte am Luftraume ergibt
sich für den Eigentümer das Recht, dessen Aus-
Luftrecht ufw.
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nutzung — gegen Entgelt — andern zu überlassen.
Auf diesem Grundsatze fußend, haben zahlreiche
Gemeinden aus dem Luftraume über den ihnen
gehörenden öffentlichen Wegen Nutzen zu ziehen
versucht, indem sie für die in ihn hineinragenden
Erker und andern Vorbauten eine Gebühr ver-
langten. Das Oberverwaltungsgericht hat die zu
diesem Zwecke erlassenen Ortsstatuten und Gebüh-
renordnungen jedoch in ständiger Rechtsprechung
(ogl. Entsch. vom 29. Mai 1895; Entsch. des
O.V.G. XXVIII 74 ff vom 7. Jan. 1899 von
Kamnptz, Erg. 1 85 f u. a. m.)#mit der durchaus rich-
tigen Begründung für ungültig erklärt, Gebühren
könnten die Gemeinden nach § 4 des Kommunal=
abgabengesetzes vom 14. Juli 1893 nur für die
Benutzung der von ihnen im öffentlichen Interesse
unterhaltenen Veranstaltungen erheben, die Luft-
säule über einer Straße sei aber nicht angelegt und
bilde keine Anstalt; eine öffentlich-rechtliche Ge-
bühr könne deshalb für ihre Ausnutzung nicht er-
hoben werden. Dagegen könnten die Gemeinden,
soweit die öffentlichen Straßen ihnen gehörten,
kraft ihres Eigentumsrechts gegen die von der
Polizeibehörde genehmigte Anbringung von Erkern
und andern Vorbauten vorgehen, ihre Beseitigung
vor dem ordentlichen Richter verlangen und im
Wege freier Vereinbarung mit dem Bauenden ein
Abkommen schließen.
Im öffentlichen Interesse wird das Eigentums-
recht am Luftraume durch das „Telegraphenwege-
gesetz“ vom 18. Dez. 1899 (N.G.Bl. 705 ff) nicht
unerheblich eingeschränkt. Dieses Gesetz, das seine
Entstehung dem interessanten, durch Urteil des
Landgerichts Breslau vom 22. Febr. 1886 (vol.
preuß. Verwaltungsbl. XVIII 234 ff) in erster
Instanz zugunsten der Klägerin entschiedenen,
dann durch Erhebung des Konflikts unterbrochenen
Rechtsstreite der Stadt Breslau gegen den Post-
fiskus wegen Uberspannung der städtischen Straßen
und Plätze mit dessen Leitungsdrähten verdankt,
berechtigt die Telegraphenverwaltung, ihre öffent-
lichen Zwecken dienenden Linien nicht nur über
alle Verkehrswege (8 1), sondern auch durch den
Luftraum über alle ihr genehmen Grundstücke zu
führen (§ 12, Abs. 1, Satz 1), soweit nicht da-
durch deren Benutzung nach den zur Zeit der Her-
stellung der Anlage schon vorhandenen Verhält-
nissen wesentlich beeinträchtigt wird, verpflichtet
sie aber zugleich, die Leitungen auf ihre Kosten zu
beseitigen, wenn (z. B. durch Höherführen eines
Hauses) eine solche Beeinträchtigung später ein-
tritt (§ 12, Abs. 1, Satz 2). Vorübergehende Be-
einträchtigungen dagegen hat der Eigentümer gegen
Ersatz zu dulden (§ 12, Abf. 2).
2. Im Staats= und Völkerrecht. Vom
Standpunkte des Staats= und Völkerrechts ist zu
unterscheiden der Luftraum, der sich über dem
festen Lande, der, der sich über Küstengewässern,
und der, der sich über dem offenen Meere befindet.
Bei der rechtlichen Beurteilung des Luftraums
über dem festen Lande, genauer des Luftraums