Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Mindestens in den untersten Teilen des Luftraumes 
vermag der Staat auch eine ausschließliche Herr- 
schaft auszuüben, sein Eigentumsrecht oder seine 
Gebietshoheit also in vollem Umfange geltend zu 
machen. In größeren Höhen ist ihm das freilich 
erschwert oder sogar unmöglich, aber bis zu der 
Höhe, in der eine Störung von anderer Seite 
versucht werden könnte, ist er zweifellos in der 
Lage, sein Recht zu verteidigen; darüber hinaus 
entfällt mit der Möglichkeit eines Angriffs auch 
die Notwendigkeit der Verteidigung und der Gel- 
tendmachung der Herrschaft. — Neben diesen 
staats= und völkerrechtlichen Erwägungen spricht 
auch, wie besonders Grünwald (Luftschiff 32 ff) 
eingehend darlegt, der Grundsatz des Privat- 
rechts, daß dem Grundstückseigentümer Eigentum 
an der Luftsäule über seinem Grundstücke zusteht, 
für das Eigentums= oder Hoheitsrecht des Staates 
an dem über ihm befindlichen Luftraume. Der 
Staat besteht aus der Gesamtheit aller in ihm 
liegenden Grundstücke; das Eigentum an ihnen 
erstreckt sich auf den über ihnen liegenden Luft- 
raum, also untersteht auch er der Hoheit des 
Staates, wobei freilich zu beachten ist, daß privat- 
rechtliche Grundsätze nicht ohne weiteres für das 
Staatsrecht entsprechend heranzuziehen sind. 
Auch aus der oben geschilderten geschichtlichen 
Entwicklung des Völkerrechts ergibt sich die Rich- 
tigkeit dieser Ansicht: Der Grundstaat kann den 
Wünschen und Bedürfnissen der Nachbarstaaten 
und der Völkerrechtsgemeinschaft durch Zugeständ-= 
nisse entgegenkommen, durch die er sein Eigen- 
tums= oder Hoheitsrecht zugunsten der Allgemein- 
heit beschränkt. Das Maß seines Entgegenkommens 
bestimmt er selbst entsprechend dem Charakter der 
aufgegebenen Rechte als Teilen seines Eigentums- 
und Hoheitsrechts. Seine Souveränität über den 
Luftraum wird dadurch weder beseitigt noch auch 
gemindert; denn im Rahmen seiner Verträge ist 
er jederzeit berechtigt, die freiwillig übernommenen 
Beschränkungen seines Rechtes am Luftraume 
wieder zu beseitigen. Eine Gefahr für die Frei- 
heit des Luftverkehrs liegt darin nicht; denn sein 
eignes Interesse zwingt den Staat, dem Interesse 
des Luftverkehrs und der übrigen Staaten soweit 
als möglich entgegenzukommen. Tut er es nicht, 
so kann er auf ein entsprechendes Entgegenkommen 
gleichfalls nicht rechnen; er schließt sich selbst von 
dem Verkehr der Völker untereinander aus und 
schädigt sich und seine Untertanen dadurch am 
meisten. 
Ganz unhaltbar ist die Einteilung des Luft- 
raumes in Zonen, in denen der Rechtszustand 
jeweils ein anderer wäre. Die Abgrenzung der 
einzelnen Zonen müßte durch Flächen geschehen, 
die man sich durch den Luftraum gelegt dächte. 
Sie wäre ohne genaue Meßgeräte niemals mit 
Sicherheit festzustellen und würde dadurch der An- 
laß zu unaufhörlichem Streite sein. Doch selbst 
wenn sie durchführbar wäre, so würde ein Blick 
auf die verschiedene Höhe, in die die einzelnen 
Luftrecht ufw. 
  
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Vertreter dieser vermittelnden Ansichten die Grenze 
zwischen Luftfreiheit und Schutzzone oder Hoheits- 
gebiet des Grundstaates verlegen, genügen, ihre 
Unzulänglichkeit darzutun, zumal keiner der für 
die verschiedenen Höhen angegebenen Gründe für 
durchschlagend erachtet werden kann. Diese Grenze 
würde auch, wenn sie nach der Höhe des höchsten 
Bauwerkes (Rolland). der Steighöhe des Kanonen= 
schusses (Bluntschli und Rivier) oder der Möglich- 
keit der Geländeeinsicht und -photographie (Fau- 
chille) bestimmt werden sollte, je nach dem Stande 
und den Fortschritten der Technik in den einzelnen 
Staaten in vielfach wechselnder Höhe verlaufen. 
Endlichwürde einesolche Eigentums-oder Hoheits-, 
Schutz= oder nationalisierte Zone den Grundstaat 
gegen Gefährdung durch den Luftverkehr nicht 
schützen; denn noch aus der höchsten Höhe herab 
kann ihm und seinen Untertanen der größte Scha- 
den zugefügt werden. Man sieht dieser Ansicht 
viel zu sehr die entsprechende Anwendung des See- 
rechts, insbesondere seiner Grundsätze für die 
Küstengewässer, auf das Luftrecht an, ohne daß 
deren Lage neben, des Luftraumes über dem Staate 
ihrer Bedeutung gemäß berücksichtigt wäre. 
Was nun den Luftraum über den Küstenge- 
wässern betrifft, so kann für ihn nur dasselbe 
gelten, was für die Küstengewässer selbst gilt. Wie 
sie, stellt er nur eine Interessensphäre des Uferstaates 
dar, über die dieser nur die gleichen Rechte hat wie 
über die unter ihm liegenden Küstengewässer. Der 
Luftraum über dem hohen Meere endlich und 
andern Gebieten, die keiner staatlichen Herrschaft 
unterworfen sind, ist frei, wie sie selbst es sind. 
B. Luftverkehrsrecht. Der Bedeutung, welche 
die Luft als ein Gas, das allem organischen Leben 
auf der Erde unentbehrlich ist, und der Luftraum 
als der Raum, in dem aller Handel und Wandel 
sich abspielt, bereits besitzen, fügt die neuzeitliche 
Technik durch die Erfindung und Ausgestaltung 
der drahtlosen Telegraphie und der Luftschiffahrt 
die weitere als eines wichtigen Verkehrsmittels 
hinzu. 
I. Funkentelegraphenrecht. Die drahtlose 
Telegraphie ist, wie Meili (Verkehrs= und Trans- 
portrecht 4) mit Recht sagt, vollkommen in die 
Luft hinaus gestellt. Sie arbeitet allerdings mit 
Absende= und Empfangsstationen, deren zusammen- 
hängende Verbindung durch Leitungsdrähte aber 
fehlt. Die Vermittlung der Nachrichten erfolgt 
durch elektrische Wellen, die, durch die Luft ge- 
tragen, frei den Luftraum durcheilen. Aus den 
oben begründeten Leitsätzen, daß dem Eigentümer 
eines Grundstückes an dem Luftraume über diesem 
Eigentum zusteht, und weiter, daß er wie alle 
Menschen die Luft als nicht im Eigentum eines 
einzelnen stehend für sich nützen kann, ergibt sich 
zwingend, daß er zur Übermittlung von Nach- 
richten von einem Punkte seines Grundstückes zum 
andern, sofern die Verbindung nicht über andere 
Grundstücke führt, grundsätzlich die drahtlose Tele- 
graphie benutzen darf. Nun ist es unmöglich, die
	        
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