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(das in Esch seit 1908 mit zwei Friedensrichtern
besetzt), durch zwei Bezirksgerichte in Luxemburg
und Diekirch, durch ein Obergericht, das Appell-
und Kassationshof ist, in Luxemburg. Die Frie-
densgerichte haben als Polizeigerichte über ge-
ringere Strafsachen (Vergehen und Übertretungen)
zu urteilen, die Bezirksgerichte als Zuchtpolizei-
gerichte über die Delikte, die mit 8 Tagen bis
5 Jahren Gefängnis bestrast werden (die Appel-
lation davon geht an das Obergericht), der
Assisenhof (6 Mitglieder) über die Verbrechen
und sonstigen Kriminalsachen. Die Ernennung
der Friedensrichter, die unentsetzbar sind, sowie
die der Ergänzungsrichter beim Friedensgericht
geschieht durch den Großherzog. Die Richter an
den Bezirksgerichten und die Obergerichtsräte
werden auf Lebenszeit ernannt. Keiner kann
anders als durch ein förmliches Urteil von seinem
Amte dauernd oder zeitweise entfernt werden. Die
Ernennungder Richter, Staatsanwälteund Substi-
tuten bei den Bezirksgerichten geschieht unmittel-
bar, die der Präsidenten und Vizepräsidenten auf
das Gutachten des Obergerichtshofes durch den
Großherzog. Die Räte am Obergerichtshofe wer-
den auf Gutachten des Obergerichtshofes vom
Großherzog ernannt. Der zu einer Plenarver=
sammlung zusammenberufene Obergerichtshof be-
zeichnet die Mitglieder des Assisenhofes für den
Zeitraum von drei Monaten. Der Kassationshof
wird für jeden vorliegenden Streitfall aus sieben
Obergerichtshofräten zusammengesetzt. Die staats-
anwaltlichen Befugnisse werden unter der Autori-
tät des Generaldirektors der Justiz durch einen
Oberstaatsanwalt und unter dessen Aufsicht und
Leitung durch den Generaladvokaten, die Staats-
anwälte und die Substituten wahrgenommen.
Das Prinzip der Inamovibilität dehnt sich auf
diesen Teil der Justizbeamten nicht aus. Die
Luxemburger Gesetze kennen nur den amtlichen
Richter, keine aus den Angehörigen des Handels
und der Industrie ernannten Handelsgerichte, keine
Geschworenen-, keine Schöffengerichte, keine Sach-
verständigengerichte (conseils de prudhommes).
4. Kirche und Staat. Die Stellung der
katholischen Kirche zum Staat bietet manche Un-
klarheiten und Unsicherheiten, die in der geschicht-
lichen Entwicklung der Verhältnisse begründet sind.
Die im Jahre 1848 eröffnete Aussicht auf die
Reglung der Verhältnisse durch Abschluß eines
Konkordates haben sich trotz der teils in Rom teils
im Haag geführten Verhandlungen nicht erfüllt.
Wie in andern der französischen Republik unter-
worfenen Ländern, so wurde auch in Luxemburg
der katholische Kult durch das Konkordat vom
Jahre 1801 wiederhergestellt. Das Land, das
vom 16. Jahrh. ab den Bistümern Trier und
Lüttich unterstanden hatte, kam nunmehr in kirch-
licher Beziehung an die DibUzese Metz, 1822 an
Namur. Im Jahre 1830 wurde auf dem platten
Lande im ganzen Großherzogtum die belgische
Verfassung eingeführt, wodurch verschiedene Be-
Luxemburg.
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stimmungen des französischen Konkordates in Weg-
fall gerieten. In der Hauptstadt jedoch, welche
als Bundesfestung mit preußischer Besatzung von
der belgischen Revolution unberührt blieb, dauerte
die frühere Verwaltung und Gesetzgebung fort.
Im Jahre 1833 wurde die Stadt Luxemburg auf
Wunsch des Großherzogs auch kirchlich von Bel-
gien und der Diözese Namur getrennt und unter
einen Apostolischen Vikar gestellt, dessen Juris-
diktion 1840 auf das ganze Großherzogtum aus-
gedehnt wurde. Nach der im Jahre 1839 er-
solgten Rückkehr des deutschen Landesteiles unter
die Herrschaft des Lauses Oranien erklärte der
Souverän im Art. 12 des Besitzergreifungsaktes
vom 11. Juni 1839, daß „alles, was den Klerus,
die Kirchen und den Gottesdienst betreffe, voll-
ständig in dem Verhältnis verharren solle, wie es
sich am Tage der Besitzergreifung befinde“. Durch
diese Erklärung scheint das französische Konkordat
nicht ausgeschlossen, da es jedenfalls in der Haupt-
stadt immer Geltung hatte und auf dem platten
Lande während der belgischen Revolution nur be-
züglich des von den Primärpfarrern geforderten
Eides außer Ubung kam. Später berief sich Bi-
schof Laurent bezüglich seines Verhältnisses zur
Regierung auf eine zwischen König Wilhelm II.
und dem Papste getroffene Vereinbarung von
1827, in der die vom Konkordat 1801 dem Staat
zugestandenen Rechte bei Ernennung der Kultus-
diener wesentlich eingeschränkt wurden; doch hatten
beide Teile auf die Ausführung verzichtet. Als
1870 Pius IX. das (seit 1833) bestehende Apo-
stolische Vikariat in ein Bistum Luxemburg um-
wandelte, wurde der Regierung mitgeteilt, daß
diese Neuerung keinerlei Anderung in den Be-
ziehungen der Kirche zum Staat involviere und
die gegenseitigen Rechte und Pflichten durch den
bisherigen modus vivendi geregelt blieben.
Daraufhin anerkannte der Staat unter gewissen,
auch in Rom wenigstens implicite angenommenen
Bedingungen das Bistum im Jahre 1873. Eine
dieser Bedingungen war, daß der Bischof den im
Konkordat von 1801 vorgeschriebenen Eid leisten
müsse. Im allgemeinen wird, da das Konkordat
von 1801 formell nicht aufgehoben ist, angenom-
men, daß es so weit Geltung hat, als seine Be-
stimmungen mit späteren Gesetzen nicht im Wider-
spruch stehen. Ausgeschlossen sind nach kirchlicher
Ansicht die vom Papst nicht anerkannten organi-
schen Artikel. In Einzelheiten gehen die Ansichten
auseinander, besonders über die Frage, ob das
Kultusbudget als Entschädigung für die während
der französischen Revolution konfiszierten Kirchen-
güter zu gelten habe oder nicht. Diese wurde bei
den großen Kammerdebatten im Jan. und Febr.
1909 über die Trennung von Kirche und Staat
und Abschaffung des Kultusbudgets von dem
Staatsminister und den vereinigten Liberalen und
Sogzialisten verneint, die Beibehaltung des Kultus-
budgets selbst dagegen bei der Abstimmung am
19. Febr. mit großer Majorität beschlossen.