Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

933 
dessen, was Luxus ist, entscheidet der subjektive 
Standpunkt des einzelnen. Der Arme erblickt be- 
reils Luxus in der Lebenshaltung eines mittleren 
Beamten, der Mann aus dem Mittelstand in der 
Lebensweise der oberen Zehntausend. Es gibt kein 
Gut, dessen Gebrauch an sich schon als Luxus 
gelten müßte. Champagner kann für den einen 
Luxus, für manchen Kranken notwendige Medizin 
sein. Vor einem halben Jahrhundert wäre eine 
Bauernfamilie in den Ruf der Verschwendung ge- 
kommen, wenn sie täglich zum Frühstück Kaffee 
genossen hätte. Heutzutage ist dieses Genußmittel 
trotz aller Warnungen der Hygieniker auch beim 
untersten Arbeiter eingebürgert. Auch mit dem 
Bedürfnis als solchem läßt sich nichts anfangen. 
Denn dieses ist selbst relativ und nach Zeit und 
Kultur veränderlich. Daher ist auch der Begriff 
des Luxus verschieden nach Zeiten und Kultur- 
stufen. Sind auch die elementarsten Bedürfnisse: 
Nahrung, Kleidung, Wohnung, Schlaf, wesentlich 
überall gleich, so wechselt doch ihre tatsächliche Be- 
friedigung ungeheuer nach Volk und Kultur. Was 
für den Wilden Luxus, ja vielleicht nicht einmal 
besonders geschätzter Luxus, ist für den Kultur- 
menschen ein unabweisbares Bedürfnis. 
Mit einer rein physiologischen Betrachtung, 
welche den Bedarf des Menschen an Gebrauchs- 
gütern zugrunde legt und alles darüber Hinaus- 
gehende als Luxus bezeichnet, ist demnach nichts ge- 
wonnen. Man kann das ja tun, aber damit ist für 
das Verständnis und für die Beurteilung des Pro- 
blems gar nichts erreicht. Erst wenn wir den Zweck 
eines solchen über die absolute Bedarfsbefriedi- 
gung hinausgehenden Aufwandes ins Auge fassen, 
kommen wir zu größerer Klarheit und Präzision. 
Nur eine volkswirtschaftliche und zugleich ethische 
Betrachtung führt ans Ziel. Es fragt sich, steht 
der das Notwendige übersteigende Aufwand mit 
den Anforderungen der Volkswirtschaft und der 
Ethik im Einklang? Es muß unterschieden werden 
zwischen erlaubtem undunerlaubtem Luxus. 
In der Tat gibt es einen Luxus, welcher volks- 
wirtschaftlich und sozial wohltätig wirkt und ethisch 
berechtigt ist. Darin darf uns die scharfe Kritik, 
welche dem Luxus allzeit vom Standpunkt eines 
geträumten Naturzustandes (Rousseau, Tolstoj) 
erstanden ist, nicht beirren. Man kann ja das 
Leben der Reichen mit ihrer feineren Mahlzeit, 
besseren Kleidung, künstlerisch ausgestatteten Woh- 
nung als Luxus bezeichnen. Aber indem die Wohl- 
habenden solchen Aufwand treiben, geben sie den 
Armen Gelegenheit zu Arbeit und Verdienst. Was 
wäre die Folge, wenn ein solcher Luxus plötzlich 
aufhören würde? Die Volkswirtschaft, der ge- 
sunde und normale wirtschaftliche Kreislauf würde 
zum Stillstand gebracht, Gewerbe und Handel ge- 
rieten ins Stocken, viele Arbeiter kämen ums Brot, 
und die Kunst vollends wäre verurteilt, Hungers 
zu sterben. 
Wir müssen demnach einen wirtschaftlich und 
efhisch erlaubten Luxus anerkennen. Ein solcher 
Luxus usw. 
  
934 
ist ein Ergebnis des Kulturfortschrittes, und dieser 
ist Aufgabe des zur Herrschaft über die Erde be- 
rufenen Menschen und liegt darum im Plane der 
göttlichen Vorsehung. Wo ein vernünftiger, also 
ein sittlich erlaubter Zweck vorliegt, ist auch die 
Aufwendung erlaubt. Ein solcher Zweck kann in- 
dividueller oder sozialer Art sein. Wird das per- 
sönliche Wohl in leiblicher oder geistiger Weise, 
oder wird die Allgemeinheit materiell oder ideell 
gefördert, ist der Luxus ein erlaubter. Ein solcher 
ist sowohl Produkt als auch Förderungsmittel der 
Kultur. Wo demnach der berechtigte Zweck fehlt, 
da wird der Luxus unpernünftig und unerlaubt. 
Hierher gehört also jeder Verbrauch von materiellen 
Gütern, der niemand einen Nutzen oder eine An- 
nehmlichkeit gewährt, der vollständig zwecklos und 
unnütz ist; sodann das Uüberschreiten des rechten 
Maßes eines an sich wohlberechtigten Genusses; 
desgleichen ist der Luxus verwerflich, wenn sein 
Zweck unsittliche, üppige Sinnenlust, Ostentation 
ist; desgleichen wenn die Grenzen, die durch den 
Stand oder den Bildungsgrad gezogen sind, 
überschritten werden oder die Rangordnung der 
Bedürfnisse verkehrt, wichtige und dringende hinter 
leicht entbehrliche zurückgestellt oder gar Pflichten 
verletzt werden, etwa durch Luxusausgaben Zah- 
lungsverpflichtungen unmöglich werden. 
Dabei sollen die wirtschaftlichen und sozialen 
Nachteile eines „ungesunden“ Luxus nicht verkannt 
werden. Es kann durch die falsche Bedarfsrichtung 
und die dadurch bedingte Erzeugung von Luxus- 
gütern die Produktion in eine falsche Bahn ge- 
drängt und dadurch eine zweckmäßige Bedürfnis- 
befriedigung der Gesamtheit vereitelt werden. 
Künstliche Bedürfnisse werden geweckt und einseitig 
berücksichtigt, deren Befriedigung volkswirtschaft- 
lich und sozial vom Übel ist. Vermögen, von denen 
vielleicht die Existenz von Familien abhängt, wer- 
den zwecklos vergeudet und die der Volkswirtschaft 
unentbehrlichen Kapitalien zerstört. Gleich einer 
Seuche greift der Luxus von oben nach unten um 
sich. Ein sittlicher Verfall, mit dem auch eine phy- 
sische Degeneration gern Hand in Hand geht, 
zeigt sich als Folge des Genußlebens. 
Nichtsdestoweniger ist der Luxus ein unentbehr- 
licher Faktor im Kulturleben der Völker. Beruht 
er auch auf der Differenz des Besitzes, so ist er 
doch nach einer andern Seite wieder geeignet, die 
soziale Spannung auszugleichen. Die in der Natur 
des Menschen gegebene und darum unabänderliche 
soziale Ungleichheit findet das zweckmäßigste Kor- 
rektiv dadurch, daß die Besitzenden durch höheren 
und feineren Aufwand Arbeitsgelegenheit schaffen 
und so einen Teil ihres Überflusses in die Hände 
der Armut ableiten. Luxus, welcher fleißige Hände 
in Bewegung setzt, kann sozial viel vorteilhafter 
sein als die Entäußerung des Besitzes im Almosen, 
trotz dessen unleugbaren ethischen und sozialen 
Wertes. Indem man Arbeitsgelegenheit schafft, 
bekämpft man Bettel und Faulheit und gibt den 
Dürftigen die Möglichkeit, selbsttätig die Not zu 
30“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.