Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

935 
überwinden. Das wäre doch eigentlich das Ideal 
der Armenunterstützung. 
So ist der-Luxus durch vernünftige Zweckbe- 
ziehung nicht bloß erlaubt, sondern förmlich Pflicht. 
Er wird zur Repräsentationspflicht. Durch 
ihre Erfüllung soll einerseits die Bedeutung des 
Standes, des geistlichen oder weltlichen, innerhalb 
der Gesellschaft zum sichtbaren Ausdruck gebracht 
werden, und zugleich soll dieser Stand eine Pflicht 
gegen das Ganze abtragen durch Darbietung von 
Freude und Ermöglichung eines geistigen Genusses. 
Man erwartet daher von den begüterten Klassen 
geradezu einen „standesgemäßen“ oder Repräsen- 
tationsaufwand. Durch Unterstützung der Kunst, 
durch öffentliche Bauten, Gärten usw. wird nicht 
bloß Brot an Hunderte von Arbeitsleuten gewährt, 
sondern auch ein geistiges Brot der Freude und 
des Wohlwollens dargereicht. Solcher Luxus ist 
der Gegensatz zur egoistischen Abschließung, die 
durch Unterbindung alles höheren Genußlebens 
nur Schätze auf Schätze ansammelt, ohne das 
eigne oder fremde Dasein zu bereichern. 
Wir können zu den Kennzeichen eines wahren, 
nützlichen Luxus geradezu die Mitteilbarkeit rechnen. 
Diese eignet natürlich in besonderer Weise den gei- 
stigen Genüssen, die ihrer Natur nach keine Ver- 
minderung erfahren, auch wenn sie von Unzähligen 
genossen werden. Edler Luxus ist daher eine der 
wirksamsten Arten der Volkserziehung. Er wirkt 
erzieherisch, indem er durch die Arbeit, die er ver- 
anlaßt, den Müßiggang bannt, sodann durch die 
edeln Genüsse, die er den Massen ermöglicht. Er 
ist aber auch insofern wichtig, da die ungemessene 
zwecklose Anhäufung von Riesenprivatvermögen 
für den einzelnen wie für die Gesamtheit von Übel 
ist. Sie führt nur immer zu neuen Rententiteln, 
die den Ertrag der Arbeit aus denen, die sie leisten, 
herauspumpen. 
Es bedarf natürlich nicht des besondern Hin- 
weises, daß nicht alle Aufwendungen zu Luxus- 
zwecken gleich wertvoll und berechtigt sind. So- 
wenig auch die Ausgaben für materielle Genüsse 
an sich verwerflich sind, und so sehr auch den 
Reichen ein höheres Maß feinerer Lebensweise 
zugebilligt werden muß schon deswegen, weil sie 
hauptsächlich die geistige Arbeit zu leisten haben, 
so gibt es doch noch einen edleren Luxus. „Un- 
sere besitzenden Klassen sollen noch viel mehr 
ausgeben, aber nicht für kulturschädlichen Luxus, 
für Alkohol und Nikotin, für Tafel, Schmuck, 
Sport, Spiel und sinnliche Genüsse. Sie sollen 
ihren Wohlstand, ihre Muße verwenden entweder 
für die Ausbreitung der Kultur unter den Massen 
des Volkes, für Hebung der allgemeinen Wohl- 
fahrt oder für die Erhöhung unserer sittlichen und 
geistigen Kultur, für Kunst, Literatur und Wissen- 
schaft, für geistig verklärten und veredelten Lebens- 
genuß. Noch immer steht die Kunst mehr im Dienste 
des Reichtums, als der Reichtum im Dienste der 
Kunst“ (Traub, Ethik und Kapitalismus [1905) 
143). Daneben gibt es auch einen Luxus für 
Luxus usw. 
  
936 
charitative und religiöse Zwecke, der die ver- 
schiedensten Bedürfnisse befriedigt, alle möglichen 
Arten der Not in seinen Bereich zieht, oder aber 
der Förderung der Religion und der Ehre Gottes 
etwa durch Ausgaben für Kirchen, Missionen usw. 
dient. Luxus der letztgenannten Art dürfen wir 
so wenig schelten, als Jesus den Tadel gelten ließ, 
den die Apostel über die „Verschwendung“ des 
Weibes aussprachen, das dem Heiland „zu seinem 
die Füße mit kostbarem Ol gesalbt 
atte. 
Neben berechtigter Standesrepräsentation gibt 
es auch eine solche, die jede ethische Begründung 
und jedes soziale Verständnis vermissen läßt. Sie 
dient nicht der würdigen Darstellung der Bedeu- 
tung des Standes im öffentlichen Bewußtsein 
sondern entspringt unlautern, selbstsüchtigen, anti- 
sozialen Motiven und findet ihr Ziel im rein ma- 
teriellen Sinnengenuß. Solcher Luxus wirkt na- 
türlich nicht veredelnd. Er verdirbt den, der ihn 
treibt, und den, der ihn sieht. „Die sittliche Kultur 
des Geistes leidet unter der Vorherrschaft des 
Toiletten-, Mode- und Tafelluxus. Es ist ein 
Armutszeugnis des reich gewordenen Teiles der 
Bevölkerung, daß er auf diese Art des Luxus 
solches Gewicht legt. Genauer ausgedrückt, es ist 
ein Zeichen von Unbildung, womit sich diese Klasse 
auf das gleiche Niveau stellt wie die regelmäßigen 
Wirtshausbesucher, denen auch sinnliche Genüsse 
die höchste Art ihrer Luxusbefriedigung darstellen. 
Nichts wirkt ansteckender als diese Opfer, welche 
der falschen Repräsentation gebracht werden“ 
(Traub a. a. O. 143). Ein Luxus, der nur im 
Dienste der Genußsucht und der Eitelkeit steht, 
kann nicht einmal das Verdienst in Anspruch 
nehmen, daß er Geld unter die Leute bringt und 
lohnende Arbeitsgelegenheit schafft. Denn gerade 
die Luxus- und Modeindustrien zahlen erfahrungs- 
gemäß ihre Arbeitskräfte am schlechtesten. Die 
Unbeständigkeit der Modebedürfnisse zwingt sie, 
an billigen Löhnen etwas zu verdienen. Auch läßt 
sich nicht behaupten, daß Reichtum und Luxus sich 
stets der Blüte der Kunst förderlich erweisen. Der 
verweichlichende Einfluß des Reichtums kann statt 
echter Kunst die Ausbildung eines platten Vir- 
tuosentums begünstigen (Kindermann, Volkswirt- 
schaft und Kunst (19031 42). 
Wenn die Ethik daran festhält, daß die Rück- 
sicht auf den Nebenmenschen und auf die Gesell- 
schaft eine zwecklose Vergeudung von Genußgütern 
verbietet, so hat man neuestens jeden Einfluß der 
Moral auf das Problem des Luxus zurückgewiesen. 
Dadurch habe die „ethische Nationalökonomie“ 
die Frage verwirrt, daß sie zwischen erlaubtem und 
unerlaubtem Luxus unterscheiden wollte (Som- 
bart, Der moderne Kapitalismus II I19021 
291 f). Das ist ja richtig, daß der Luxus niemals 
ein absoluter Begriff ist und keine ein für allemal 
feststellbare Grenze hat. Eine solche Elastizität des 
Luxusbegriffes ist von großer Bedeutung, um die 
verschiedenen Etappen der Kulturentwicklung be-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.