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ausstreut, ohne daß sie alle dem Gebrauch oder der
Freude des Menschen dienen, wie er zahllose Keime
des Lebens in Pflanzen-, Tier= und Menschen-
welt erschafft, so kennt auch das Christentum einen
Aufwand, der über die Schranken des individuellen
Bedürfnisses hinausgeht. Allerdings trat schon
von den ältesten Zeiten an innerhalb der christ-
lichen Kirche eine aszetische Tendenz, ein Hang zur
Weltentsagung und zu betrachtendem Einsiedler-
leben hervor, und sie hat sich durch alle Zeit er-
halten. Aber abgesehen davon, daß eine allgemeine
Christenpflicht hierzu nicht besteht, muß man den
hohen sittlichen Wert des darin liegenden Bei-
spiels für die nur zu leicht im Genußleben ver-
sinkende Welt anerkennen. Freilich traten mit
der Reformation entgegengesetzte Anschauungen
hervor, durch die an Stelle der Aszese Lebens-
freudigkeit gesetzt werden soll. Die Kirche tadelt
nicht das Streben, die äußere Lebenshaltung ästhe-
tisch oder praktisch zu vervollkommnen. Und der
päpstliche Hof war vielfach selbst die Stätte von
Kunstliebe und Prachtentfaltung.
Übelwollende Kritiker des modernen Luxus ver-
fallen gern in den Fehler, Ausschreitungen des
Genußlebens ausschließlich der Gegenwart zur
Last zu legen. Ohne dieselben zu beschönigen, kann
man doch in der Entwicklung des Luxus einen
Fortschritt, einen Sieg der Vernunft nicht ver-
kennen. Der Luxus früherer Zeiten war bei den
primitiven Kulturzuständen meist explosiver Natur.
„Bei bestimmten festlichen Anlässen wurde mit
Pracht und Prunk nicht gespart; nachher lebte
man um so dürftiger und armseliger. Es bedeutet
einen wirklichen Fortschritt, wenn der Luxus mehr
das tägliche Leben durchdringt. Die Zügellosig-
keit des Genießens und die ungesunde Versuchung
weichen dem ästhetischen Behagen und der Freude
am Reizvollen. Frühere Zeiten richteten ihr Augen-
merk auf Vermeidung von Anstrengungen und
Unannehmlichkeiten. Hente umfaßt der Luxus
die Pflege höherer und feinerer Lebensfreuden“,
(Traub a. a. O. 140; vgl. Felix, Der moderne
Reichtum (/1906] 95). Zu tadeln ist die reichere
und feinere Bedürfnisbefriedigung keineswegs.
Nur ist notwendig, daß die sittlichen Kräfte eines
Luxus ufw.
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Mit Recht. Aber sie ist nur zu geneigt, in dem
christlichen Gebot der Entsagung eine Fessel des
wirtschaftlichen Fortschritts zu erblicken. Es fehlt
nicht an prinzipiellen und praktischen Gegnern der
Bedürfnislosigkeit. Der Gedanke, sich einschränken
zu sollen, ist manchen unerträglich. Insbesonders
verwirft der Sozialismus die „verdammte Genüg-
samkeit“, die das Volk zu keinem höheren Klassen-
bedarf emporsteigen läßt, sondern auf tiefen Stufen
der Lebenshaltung festhält. Steigert nach Kräften
eure Bedürfnisse — das ist das Motio der sozia-
listischen Agitatoren —, spart nicht, sondern gebt
aus und verlangt das größtmögliche Maß von
Lebensgenüssen, sonst verringert ihr den Konsum
und damit die Arbeit. Der Agrarsozialist M. Flür-
scheim sagt: „Dem Volke Mäßigkeit, Nüchtern-
heit, Sparsamkeit empfehlen, heißt die Absatznot
und den Arbeitsmangel und die Arbeitsnot ver-
größern.“
Eine Bekämpfung des Luxus bezweckten die bis
gegen Ende des 18. Jahrh. beinahe allerwärts
bestehenden Sitten= und Kleiderord-
nungen und Luxussteuergesetze. Letztere
bezweckten neben dem finanziellen Zweck der
Heranziehung der Reichen zur Steuer die Be-
kämpfung des Luxus. Schon im alten Rom kannte
man derartige gesetzliche Bestimmungen. Solche
Maßregeln haben sich meist als ohnmächtig er-
wiesen oder sie schädigten bisweilen andere berech-
tigte Zwecke. „Sie hatten nicht den Zweck, dem
entnervenden und verweichlichenden Luxus selbst
vorzubeugen; sie wollten ihn geradezu behüten
und nur gegen Nachahmung durch Leute schützen,
denen man dieses Vorrecht nicht gestatten wollte.
Jeder sollte in seinem Stande bleiben und dazu
obrigkeitlich gezwungen werden. Es waren
klassenethische Gesetze, die scheitern mußten, sobald
die Stände über den Haufen geworfen waren“
(Traub a. a. O. 143). Freilich sind uns derartige
Bestimmungen fremd und unverständlich geworden.
Solange aber Ständeordnungen bestanden, Stan-
desgeist und Standessitte den einzelnen beherrsch-
ten, lassen sich derartige Luxusgesetze wohl be-
greifen. Sie wollten den Ubergriffen des niederen
Standes in den höheren wehren. Mit dem
Volkes stark genug sind, um die darin liegende Schwinden des Standesgeistes und dem Zu-
Gefahr, daß das Genußleben für einzelne oder sammenbruch der Ständeordnungen waren freilich
weite Kreise allzu große Bedeutung gewinne, zu jene Gesetze zu inhaltslosen Formeln erstarrt. Aber
verhüten (Schmoller, Grundriß I 26). Es ist sie hatten auch teilweise gute Erfolge: In Florenz
daher ein Segen für die Menschheit, daß die war durch solche Gesetze im Anfang des 15. Jahrh.
Religion die Pflicht der Entsagung verkündet und der Aufwandan Kleidung, Tafel, Dienerschaftusw.
dem Zuge nach schrankenloser Bedürfnissteigerung beschränkt, dagegen schrankenlos an Kirchen, Pa-
Halt gebietet, dem Genusse die Genügsamkeit als lästen, Bibliotheken, Kunstwerken (Roscher, Grund-
Wächterin an die Seite gibt und durch Pflege lagen 640 A. 1).
eines haushälterischen Sinnes in Familie und Die Geschichte zeigt allerdings, daß nahezu
Gesellschaft dem Frieden dient. Schon Christus alle Luxusgesetze erfolglos waren, vor allem des-
hat die Pflicht betont, die höheren Zwecke des halb, weil eine Beaussichtigung der Konsumtion
Menschenlebens dem Genießen gegenüber zu be= weit weniger durchzuführen ist als eine Reglung
haupten (Matth. 6). der Produktion. Durchgreifender wirkt das Bei-
Die Nationalökonomie preist die wirtschaftliche spiel einflußreicher Persönlichkeiten und eine sitt-
Bedeutung der Bedürfnis= und Luxussteigerung. liche Erziehung des einzelnen wie der Gesamtheit.