Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Rücksichten auf seine bedrängte Familie ergebenen 
Lebens dem seelenverwandten Genossen gegenüber 
vielleicht übertreibt, von seinem wüsten und un- 
sittlichen Leben, dem Schmutz seiner Ausdrücke 
wenden sich auch seine Lobredner, wie Villari, mit 
Ekel ab. Im Sinnenrausch, im frechen Lachen 
über obszöne Dinge, in jämmerlichen Klagen über 
die nie endenden Geldnöte sucht er Trost für seine 
Zurücksetzung. „Obgleich ich mich bereits den 
Fünszigern nähere“, schreibt er (a. a. O. 361), „so 
bin ich doch in Amors Netzen gefesselt. Weder 
können harte Wege meine Geduld erschöpfen, noch 
kann mich das Dunkel der Nacht einschüchtern. 
Ich habe alle Gedanken an große und ernste Dinge 
fahren lassen, auch erfreut mich nicht mehr, die 
Alten zu lesen, noch über die Neueren zu sprechen. 
Alle meine Gedanken sind auf die Liebe gerichtet, 
wofür ich Venus danke."“ 
Durchaus auf demselben Niveau sittenloser 
Leichtlebigkeit steht Machiavellis Beteiligung an 
der schändlichen Komödienliteratur seiner Tage, 
ja er überbietet in seiner Mandrägola (Zauber- 
trank) und in Clizia die verrufensten Novellisten 
und die Zweideutigkeiten eines Ariost und Bib- 
biena. In ersterer Komödie macht sich neben der 
abgefeimtesten Lüsternheit ein so ingrimmiger Haß 
gegen den Priesterstand geltend, daß er kaum 
überboten werden kann, in letzterer, der Nach- 
ahmung eines der verrufensten Stücke des Plautus, 
wagt er die Unnatur selbst als für Frauen un- 
schädlich hinzustellen. Genau denselben sittlichen 
Wert hat sein übriges Schrifttum; darüber kann 
keinerlei Lobpreisung seines Stiles und seiner 
Darstellungskunst hinweghelfen. Vor allem gilt 
dies von seinem bis heute für die revolutionäre, 
antichristliche Richtung in der Politik angerufenen 
Buche: Libro del Principe („Buch vom Fürsten“, 
1513/14 im wesentlichen vollendet, Rom 1532, 
kritische Ausg. von Burd, Oxford 1891, und 
Lisio, Florenz 1900; deutsch von Rehberg, 1824 
ldiese Ausgabe auch bei Reclam], und Eberhard, 
21873). Ein Brief an Vettori (Dez. 1513) 
schildert das Entstehen der Schrift. An die Be- 
schäftigung mit Krammetsvogelfang, die Wirts- 
hausbesuche, die Spielorgien reihten sich abends 
die Studien. „Ich habe nun ein Werklein de 
principatibus verfaßt, worin ich mich nach Kräf- 
ten in die Gedanken dieses Stoffes vertiefe, in- 
dem ich untersuche, was für ein Ding die fürst- 
liche Würde, von welcher Art sie sei, wie sie 
erhalten und erworben werde, und warum sie ver- 
loren gehe.“ Man sieht, damals war die Schrift 
schon im wesentlichen vollendet; was ihn von der 
Veröffentlichung zurückhielt, waren Spekulations- 
gedanken nicht idealer Art. Er gedachte das Buch 
dem Giuliano Medici zu übergeben. „Denn ich 
verkomme und kann nicht länger so bleiben, ohne 
wegen meiner Armut verachtet zu werden. Ich 
wünschte, diese Signori Medici wollten mich 
endlich anstellen, und gäben sie mir anfänglich 
auch nur einen Stein zu wälzen. Wenn das 
Machiavelli. 
  
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Werklein gelesen würde, würde man sehen, daß 
ich die 25 Jahre, die ich mit dem Studium der 
Staatskunst zugebracht, weder geschlafen noch ge- 
spielt habe; und es sollte jedem lieb sein, sich eines 
Mannes zu bedienen, der seine Erfahrungen auf 
fremde Kosten gesammelt hat.“ Da Giuliano 
1516 starb, wurde die Schrift an Lorenzo ge- 
richtet. 
Machiavelli teilt die Fürstentümer in erbliche 
und neue ein. In letzteren gründet der Fürst ge- 
radezu einen neuen Staat oder bemächtigt sich 
mrr der Herrschaft; in letzteren Staaten, die der 
Verfasser gemischte nennt, wurde zu einem alten 
Staat ein neuer hinzugefügt. Die neuen Staaten, 
womit er sich hauptsächlich beschäftigt, verlangen 
zu ihrer Regierung größeres Studium, um genau 
erkannt, größere Geschicklichkeit, um gut regiert zu 
werden. „Diese Staaten (c. 6) stützen sich zumeist 
auf die Tapferkeit des Fürsten; deshalb ist der- 
jenige der sicherste, der sich mehr auf die eigne 
Tüchtigkeit als auf das Glück verläßt, obgleich 
das eine wie das andere dazu gehört. Jedenfalls 
ist nichts schwieriger zu unternehmen, noch zweifel- 
hafter durchzuführen, als sich zum Oberhaupte zu 
machen und eine neue Ordnung der Dinge ein- 
zuführen.“ Hinsichtlich des bürgerlichen Fürsten- 
tums bemerkt er, daß es sich auf das Volk stützen 
müsse, ohne welches keine Regierung je festen 
Grund habe, weil es gefährlich sei, sich den Ade- 
ligen anzuvertrauen, welche immer selbst herrschen 
wollten. In jedem Falle ruhe aber die haupt- 
sächlichste Kraft des Staates im Heere; dies müsse 
vor allen Dingen imstande sein, die Feinde zu- 
rückzuschlagen und die Untertanen niederzuhalten. 
Jemand, der es darauf anlegt, in allen Dingen 
moralisch gut zu handeln, muß unter dem Haufen, 
der sich daran nicht kehrt, zugrunde gehen. 
Daher muß ein Fürst, der sich behaupten will, 
sich auch darauf verstehen, gelegentlich schlecht zu 
handeln, und dies tun oder lassen, je nachdem die 
Notwendigkeit es erfordert. Daß es lobenswert 
sei, sein Wort zu halten, wisse jedermann; den- 
noch sehe man aus der Erfahrung unserer Tage, 
daß diejenigen Fürsten, welche sich aus Treue 
und Glauben wenig gemacht haben und mit List 
die Gemüter der Menschen zu betören verstanden, 
große Dinge ausgerichtet und am Ende diejenigen, 
welche redlich handelten, überwunden haben. „Ein 
kluger Fürst darf und kann daher sein Wort nicht 
halten, wenn die Beobachtung desselben sich gegen 
ihn selbst kehren würde und die Ursachen, die ihn 
bewogen haben, es zu geben, aufhören. Wenn 
die Menschen insgesamt gut wären, so würde dieser 
Rat nichts wert sein. Da sie aber nicht viel taugen 
und ihr Wort gegen dich nicht halten, so hast du 
es ihnen auch nicht zu halten. Es ist für einen 
Fürsten nicht notwendig, die obengenannten Tu- 
genden wirklich zu besitzen, wohl aber muß es 
scheinen, daß er sie habe. Ich wage es, zu be- 
haupten, daß es sehr nachteilig ist, stets redlich zu 
sein; aber fromm, treu, menschlich, gottesfürchtig, 
 
	        
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