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Rücksichten auf seine bedrängte Familie ergebenen
Lebens dem seelenverwandten Genossen gegenüber
vielleicht übertreibt, von seinem wüsten und un-
sittlichen Leben, dem Schmutz seiner Ausdrücke
wenden sich auch seine Lobredner, wie Villari, mit
Ekel ab. Im Sinnenrausch, im frechen Lachen
über obszöne Dinge, in jämmerlichen Klagen über
die nie endenden Geldnöte sucht er Trost für seine
Zurücksetzung. „Obgleich ich mich bereits den
Fünszigern nähere“, schreibt er (a. a. O. 361), „so
bin ich doch in Amors Netzen gefesselt. Weder
können harte Wege meine Geduld erschöpfen, noch
kann mich das Dunkel der Nacht einschüchtern.
Ich habe alle Gedanken an große und ernste Dinge
fahren lassen, auch erfreut mich nicht mehr, die
Alten zu lesen, noch über die Neueren zu sprechen.
Alle meine Gedanken sind auf die Liebe gerichtet,
wofür ich Venus danke."“
Durchaus auf demselben Niveau sittenloser
Leichtlebigkeit steht Machiavellis Beteiligung an
der schändlichen Komödienliteratur seiner Tage,
ja er überbietet in seiner Mandrägola (Zauber-
trank) und in Clizia die verrufensten Novellisten
und die Zweideutigkeiten eines Ariost und Bib-
biena. In ersterer Komödie macht sich neben der
abgefeimtesten Lüsternheit ein so ingrimmiger Haß
gegen den Priesterstand geltend, daß er kaum
überboten werden kann, in letzterer, der Nach-
ahmung eines der verrufensten Stücke des Plautus,
wagt er die Unnatur selbst als für Frauen un-
schädlich hinzustellen. Genau denselben sittlichen
Wert hat sein übriges Schrifttum; darüber kann
keinerlei Lobpreisung seines Stiles und seiner
Darstellungskunst hinweghelfen. Vor allem gilt
dies von seinem bis heute für die revolutionäre,
antichristliche Richtung in der Politik angerufenen
Buche: Libro del Principe („Buch vom Fürsten“,
1513/14 im wesentlichen vollendet, Rom 1532,
kritische Ausg. von Burd, Oxford 1891, und
Lisio, Florenz 1900; deutsch von Rehberg, 1824
ldiese Ausgabe auch bei Reclam], und Eberhard,
21873). Ein Brief an Vettori (Dez. 1513)
schildert das Entstehen der Schrift. An die Be-
schäftigung mit Krammetsvogelfang, die Wirts-
hausbesuche, die Spielorgien reihten sich abends
die Studien. „Ich habe nun ein Werklein de
principatibus verfaßt, worin ich mich nach Kräf-
ten in die Gedanken dieses Stoffes vertiefe, in-
dem ich untersuche, was für ein Ding die fürst-
liche Würde, von welcher Art sie sei, wie sie
erhalten und erworben werde, und warum sie ver-
loren gehe.“ Man sieht, damals war die Schrift
schon im wesentlichen vollendet; was ihn von der
Veröffentlichung zurückhielt, waren Spekulations-
gedanken nicht idealer Art. Er gedachte das Buch
dem Giuliano Medici zu übergeben. „Denn ich
verkomme und kann nicht länger so bleiben, ohne
wegen meiner Armut verachtet zu werden. Ich
wünschte, diese Signori Medici wollten mich
endlich anstellen, und gäben sie mir anfänglich
auch nur einen Stein zu wälzen. Wenn das
Machiavelli.
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Werklein gelesen würde, würde man sehen, daß
ich die 25 Jahre, die ich mit dem Studium der
Staatskunst zugebracht, weder geschlafen noch ge-
spielt habe; und es sollte jedem lieb sein, sich eines
Mannes zu bedienen, der seine Erfahrungen auf
fremde Kosten gesammelt hat.“ Da Giuliano
1516 starb, wurde die Schrift an Lorenzo ge-
richtet.
Machiavelli teilt die Fürstentümer in erbliche
und neue ein. In letzteren gründet der Fürst ge-
radezu einen neuen Staat oder bemächtigt sich
mrr der Herrschaft; in letzteren Staaten, die der
Verfasser gemischte nennt, wurde zu einem alten
Staat ein neuer hinzugefügt. Die neuen Staaten,
womit er sich hauptsächlich beschäftigt, verlangen
zu ihrer Regierung größeres Studium, um genau
erkannt, größere Geschicklichkeit, um gut regiert zu
werden. „Diese Staaten (c. 6) stützen sich zumeist
auf die Tapferkeit des Fürsten; deshalb ist der-
jenige der sicherste, der sich mehr auf die eigne
Tüchtigkeit als auf das Glück verläßt, obgleich
das eine wie das andere dazu gehört. Jedenfalls
ist nichts schwieriger zu unternehmen, noch zweifel-
hafter durchzuführen, als sich zum Oberhaupte zu
machen und eine neue Ordnung der Dinge ein-
zuführen.“ Hinsichtlich des bürgerlichen Fürsten-
tums bemerkt er, daß es sich auf das Volk stützen
müsse, ohne welches keine Regierung je festen
Grund habe, weil es gefährlich sei, sich den Ade-
ligen anzuvertrauen, welche immer selbst herrschen
wollten. In jedem Falle ruhe aber die haupt-
sächlichste Kraft des Staates im Heere; dies müsse
vor allen Dingen imstande sein, die Feinde zu-
rückzuschlagen und die Untertanen niederzuhalten.
Jemand, der es darauf anlegt, in allen Dingen
moralisch gut zu handeln, muß unter dem Haufen,
der sich daran nicht kehrt, zugrunde gehen.
Daher muß ein Fürst, der sich behaupten will,
sich auch darauf verstehen, gelegentlich schlecht zu
handeln, und dies tun oder lassen, je nachdem die
Notwendigkeit es erfordert. Daß es lobenswert
sei, sein Wort zu halten, wisse jedermann; den-
noch sehe man aus der Erfahrung unserer Tage,
daß diejenigen Fürsten, welche sich aus Treue
und Glauben wenig gemacht haben und mit List
die Gemüter der Menschen zu betören verstanden,
große Dinge ausgerichtet und am Ende diejenigen,
welche redlich handelten, überwunden haben. „Ein
kluger Fürst darf und kann daher sein Wort nicht
halten, wenn die Beobachtung desselben sich gegen
ihn selbst kehren würde und die Ursachen, die ihn
bewogen haben, es zu geben, aufhören. Wenn
die Menschen insgesamt gut wären, so würde dieser
Rat nichts wert sein. Da sie aber nicht viel taugen
und ihr Wort gegen dich nicht halten, so hast du
es ihnen auch nicht zu halten. Es ist für einen
Fürsten nicht notwendig, die obengenannten Tu-
genden wirklich zu besitzen, wohl aber muß es
scheinen, daß er sie habe. Ich wage es, zu be-
haupten, daß es sehr nachteilig ist, stets redlich zu
sein; aber fromm, treu, menschlich, gottesfürchtig,