Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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redlich zu scheinen, ist sehr nützlich. Man muß 
sein Gemüt so bilden, daß man, wenn es not- 
wendig ist, auch das Gegenteil davon vorbringen 
kann. Ein Fürst muß sich daher wohl hüten, daß 
nie ein Wort aus seinem Munde gehe, das nicht 
von den obengenannten fünf Tugenden zeugt. 
Alles, was von ihm herkommt, muß Mitleid, 
Treue, Menschlichkeit, Redlichkeit, Frömmigkeit 
atmen. Nichts aber ist notwendiger als der Schein 
der letztgenannten Tugend. Denn die Menschen 
urteilen im ganzen mehr nach den Augen als nach 
dem Gefühl. Der Fürst suche nur sein Leben und 
seine Gewalt zu sichern. Die Mittel werden immer 
für ehrenvoll gelten und von jedermann gelobt 
werden; denn der große Haufe hält es stets mit 
dem Schein und mit dem Ausgang. Der Fürst 
soll weder das Vermögen noch die Weiber seiner 
Untertanen antasten, sich bemühen, immer mutig 
und würdig zu erscheinen. Zwei Dinge hat er vor 
allen andern zu fürchten: von außen durch fremde 
Feinde und von innen durch Verschwörungen an- 
gegriffen zu werden."“ 
Machiavelli stellt hier die völlige Trennung der 
Politik von den ewigen Satzungen des Christen- 
tums in gedrängter und klarer Sprache als die 
Vollendung, das Ideal der neuen Staatskunst 
seiner Zeit hin. Er fußt dabei bis auf die ein- 
zelnen Bilder und Tendenzen auf der heidnischen 
Korruption. Der Rat an die Fürsten, halb Mensch 
halb Tier, bald Fuchs bald Löwe zu sein, stammt 
aus Plutarch (Pastor, Gesch. d. Päpste III/8 118), 
ebenso die tiefste Verachtung des Volkes; in der 
Welt ist nichts als urteilsloser, nur nach dem Schein 
oder dem Erfolg urteilender Pöbel. Selbst die un- 
beschreiblichen Grausamkeiten seiner Zeitgenossen 
verteidigt er im Hinblick auf das römische Alter- 
tum. Cesare Borgia hat wohl seine Bundes- 
genossen ermordet, aber doch nie Städte zerstört; 
auch dies empfiehlt (c. 5) der Florentiner: „Wer 
der Herr einer Stadt wird, welche daran gewohnt 
ist, frei zu leben, und sie nicht zerstört, der möge 
darauf gefaßt sein, von ihr abgetan zu werden." 
Im Schlußkapitel (26) fordert Machiavelli die 
Medici auf. „Italien von den Barbaren zu 
befreien“; er lockt dazu (Lorenzo de' Medici?): 
„Wir sehen Italien angesichts der barbarischen 
Frevel und Grausamkeiten ganz willig und bereit, 
einer Fahne zu folgen; wenn nur einer wäre, der 
sie ergriffe.“ Und doch hatte derselbe Verfasser in 
einem Privatbriefe (1513 oder 1514) geschrieben: 
„Was die Vereinigung der Italiener angeht, so 
macht ihr mich lachen; zuerst weil hier nie eine 
Einigkeit für etwas Gutes zustande kommt, und 
wenn sich selbst die Häupter einigen, so reicht dies 
nicht aus, weil wir keine Soldaten haben, die 
einen Pfennig wert sind, die Spanier ausge- 
nommen; weil die Glieder nie mit den Häuptern 
einig sind.“ Solche Phantasien als Patriotismus 
Unkundigen feilbieten zugunsten eines Mannes, 
dessen Politik nichts ist als das Ergebnis persön- 
licher Mißgeschicke und skrupelloser Mißachtung 
Machiobelli. 
  
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der Moral, altklassischer Ideale, des Strebens nach 
Fürstengunst zur Befriedigung niedriger Inter- 
essen, verletzt allen Anstand. Machiavelli war le- 
diglich ein Anbeter des Absolutismus und seiner 
Verwirklichung durch die Handstreiche der Gewalt. 
Die Entschuldigung, es handle sich bei Machiavelli 
nur um Ausnahmefälle, nicht um prinzipielle 
Politik, ist in sich hinfällig. Sein ganzes Schrift- 
tum dient absolutistischen Tendenzen. 
In der Arte della guerra sette libri emp- 
siehlt er die Reform und Ausbildung des italieni- 
schen Milizwesens nach dem Vorbild der Römer; 
in den Istorie fiorentine von 1214 bis 1492 
(Florenz 1532; deutsch von Reumont, 2 Bde, 
1846/55), einem der meist bewunderten Werke 
der italienischen Prosa, behandelt er, obwohl selbst 
der Partei der Popolare (der Volkspartei der alten 
Republikaner, welche de' Medici stürzten) nahe- 
stehend, die Mediceer so milde, daß er den Un- 
willen seiner Freunde erregte; in den Discorsi 
sopra la prima decadi di Tito Livio (Rom 
1532; deutsch von Grützmacher, 187 1) preist er 
die römische Staatsverfassung als die vorzüglichste. 
In Ergänzung und Erklärung des Principe zeigt 
Machiavelli hier, durch welche Staatsnormen ein 
Fürst stark und mächtig werde. „Wo“, so heißt 
es dort (III, c. 41), „es sich um die Rettung des 
Vaterlandes handelt, darf kein Bedenken, ob ge- 
recht oder ungerecht, mild oder grausam, löblich 
oder schimpflich, ins Spiel kommen.“ Neben der 
Entschuldigung des Brudermordes durch Romulus 
(I, c. 9), neben Beispielen des krassesten Aber- 
glaubens (I, c. 61) tritt auch hier der bis zur 
Entschuldigung der verbrecherischsten Mittel grei- 
fende Priesterhaß zutage (I, c. 27). Wo Machia- 
velli die Notwendigkeit der Religion für den Staat 
erwähnt, gilt ihm diese lediglich als frommer 
Trug für Ungebildete, als politisches Mittel ihrer 
Leitung. Das Verständnis für das Wesen und 
die Bedeutung der Religion scheint bei ihm er- 
loschen: das Christentum mache feige, das Heiden- 
tum groß und stark (II, c. 2). Gegen die Ansicht, 
daß „das Gedeihen der italienischen Nation von 
der römischen Kirche abhänge“, wendet er sich mit 
dem Hinweis auf das Beispiel des römischen Hofes, 
der alle Frömmigkeit und alle Religion ver- 
loren und allein an der Uneinigkeit und Schwäche 
Italiens schuld sei (I, c. 12), was im Munde Ma- 
chiavellis, der das Christentum für staatsgefährlich 
erklärt, geradezu wahrheitswidrig klingt. Daß ein 
Mann, der im Leben und Denken ein so abstoßen- 
des Gemisch von Zyniker und Epikureer (Reu- 
mont) war und zuletzt von seinen Landsleuten als 
eine Verbrechernatur angesehen wurde, dennoch 
auf seinem Totenbett den Beistand des Priesters 
(22. Juni 1527) suchte, ist ein Zeichen, wie tief 
auch in den unseligsten Gestalten der falschen Re- 
naissance noch das Christentum wurzelte. „Die 
Ursache des allgemeinen Hasses“, sagt Varchi (bei 
Pastor a. a. O. III 123), „der auf Machiavelli 
lastete, war die Ausgelassenheit seiner Rede, sein
	        
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