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irgend ein bestehender Staat der Welt, sich nicht ein-
lassen; sie kann sich darauf nicht einlassen, ohne sich
selbst und ihre Existenzberechtigung prinzipiell zu
vernichten, und diesen Selbstmord wird die Re-
gierung der katholischen Kirche vergeblich zumuten,
und wenn sie noch so scharfe Maßregeln ergreift,
das wird sie nicht erleben.. „Bei uns
handelt es sich nicht darum, das kleinere übel hin-
zunehmen, um ein größeres zu vermeiden, dafür
haben es die Maigesetze gar zu gut mit der Kirche
gemeint, meine Herren; die Maigesetze sind nach der
Seile hin so hübsch und fein gedacht und überlegt,
daß, wenn sie zur vollen Ausführung gelangten,
von der katholischen Kirche, die bisher bei uns be-
standen hat, in gar kurzer Zeit nichts mehr übrig
geblieben wäre als vielleicht einige äußere Formen;
aber der Kern der Sache, der Geist, der lebendig
macht, der wäre verflüchtigt, und deshalb wäre die
Nachgiebigkeit gegen diese Gesetze die Hinnahme
des allergrößten übels gewesen, das man uns
zufügen kann; denn es ist für uns oder für die
Kirche ein größeres übel, wenn sie selbst dazu bei-
trüge, sich geistig vergiften zu lassen, als wenn sie
äußerlich unterdrückt wird. Denn wenn sie zeit-
weise ganz verschwindet von unserem vaterländi-
schen Boden, dann bleibt ihr die Möglichkeit, daß
sie zur rechten Zeit im weißen Gewande wieder ein-
zieht in das Land. Aber wenn sie sich selbst erst
schänden ließe, dann wäre die Aussicht für immer
dahin... Aber wie deutlich es auch ist, daß es
sich bei diesen Gesetzen sowie bei den Maigesetzen
um tiefe Eingriffe in das innerste Leben, in das
Wesen der Kirche handelt, so bleibt gleichwohl und
um so mehr die Frage zu beantworten: Wohin
wird das führen? Und glauben Sie nicht, daß wir
in dieser Beziehung die Zukunft für so heiter an-
sehen, oder daß wir glauben, es handle sich um eine
ephemere, rasch vorübergehende Erscheinung. Nein,
wir sehen mit offenen Augen die Folgen vor uns.
Welche werden nun die weiteren Folgen sein?.
Glauben Sie, das katholische Volk, wenn nun ein
solcher Bischof, dem der Kultusminister den Mantel
umgehangen und den die Bajonette begleiten, bei
ihm einzieht, werde auf die Knie sinken und um
seinen Segen bitten? Das ist vergebliches Hoffen!
Oder denken Sie etwa, das katholische Volk werde,
wenn es seiner Seelsorge beraubt ist, nun so all-
mählich in das protestantische Lager sich hinüber-
ziehen lassen? Nein, meine Herren, das geht auch
nicht! Ist doch schon die Schwierigkeit zu groß, die
protestantische Kirche zu finden, selbst wenn man
die Laterne des Diogenes ansteckt und auf die Suche
geht; dann sind so viele, die sich melden: der eine
ruft „hier“ und der andere ruft hier“, und alle diver-
gieren so gewaltig, daß man verzweifelnd wieder
umkehren und sagen müßte, man habe sie nicht
finden können. Also die Hoffnung können Sie auch
nicht hegen. Was bleibt übrig? Es bleibt nichts
übrig als die religiöse Verwilderung. Ein Teil
wird sich sammeln und seine religiöse überzeugung
festhalten, wird sie pflegen noch eifriger, noch sorg-
fältiger als bisher; aber ein anderer Teil wird
verwildern und wird wahrlich nicht unter den Ein-
fluß der Mächte der Ordnung und der Autorität
geraten, nein, meine Herren! Also bedenken Sie es
wohl, was Sie sich großziehen! Sie ziehen sich,
wenn Sie auf dem Wege weitergehen, eine Bevöl-
kerung groß, deren gewaltsame Umwälzungen solche
Wogen auftürmen, daß Sie darunter ganz gewiß
Mallinckrodt.
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begraben werden. Man kann fragen danach, meine
Herren, was ist denn unsere Hoffnung? Nun, ich
sage, vom gewöhnlich menschlichen Standpunkt aus
gesprochen, da wäre die Aussicht, mit Ehren zu
fallen, und das ist besser, als mit Schande den
Nacken der Tyrannei beugen! Vom christlichen
Standpunkt aus aber sage ich: Wir beten, und wir
rechnen fest auf den allmächtigen Gott!"
Am Schlußtage der Landtagssession, welche die
„neuen Maigesetze“ gezeitigt hatte, 21. Mai
1874, befiel Mallinckrodt eine Erkältung, und
aufgerieben durch die Uberanstrengung eines über
sechs Monate ununterbrochen währenden heftigen
parlamentarischen Kampfes, erlag er derselben am
26. Mai 1874. Die Teilnahme an diesem un-
erwarteten Hinscheiden war weit über die Grenzen
Deutschlands hinaus eine bis dahin unerhörte.
Neben der Bedeutungdes kirchenpolitischen Kampfes
und dem Ernst des Augenblickes hatte dieses seinen
Grund nicht allein in der ungewöhnlichen Rede-
kraft, welche der Verstorbene im Parlament von
Session zu Session und bis unmittelbar vor seinem
Ende immer hinreißender entfaltet hatte, sondern
auch in der seltenen Makellosigkeit und Hochsinnig-
keit seines Charakters und einem durch ungezählte
Taten des Edelmutes und der Menschenfreundlich-
keit wahrhaft geadelten Lebens. Während von
seiten der Regierung wie der staatlichen Korpora-
tionen jedes Zeichen der Teilnahme unterblieb,
wurde der Verstorbene unter dem Zusammen-
strömen vieler Tausende auf der Begräbnisstätte
seiner Familie zu Böddeken bei Paderborn mit
mehr als königlichen Ehren beigesetzt. Eine Aus-
wahl aus den Nachrufen und Trauerkundgebungen,
die in und außerhalb Deutschlands seinem An-
denken gewidmet wurden, ergab ein umfangreiches
Buch: Mertens, Die Totenklage um Hermann
v. Mallinckrodt (Paderborn 1880).
Abgesehen vom parlamentarischen Schauplatz
war Mallinckrodts Name noch mit andern Unter-
nehmungen von öffentlichem Interesse verknüpft.
Eine gefahrvolle Krisis, welche den Düsseldorfer
„Kunstverein für Rheinland und Westfalen“ mit
Spaltung oder Untergang bedrohte, wurde durch
seine Umsicht und aufopfernde Bemühung glücklich
vorübergeführt, nachdem er als gemeinsamer Ver-
trauensmann der sich befehdenden Parteien für
1864/67 zum Präsidenten erwählt worden war.
Ein großer Förderer war er für die Bestrebungen
des Bonifatius-Vereins. Zwei Missionspfarreien,
zu Küstrin und zu Alsleben a. d. S., verdanken
seiner Initiative und jahrelangen Bemühung
ihren durch Fundation gesicherten Bestand. Mit
Küstrin als der ersten „auf Einigung“ gegrün-
deten Station wurde zugleich dem Wirken des
Vereins eine neue, durch reichen Erfolg gesegnete
Bahn eröffnet. Auch um das Zustandekommen des
Marienhospitals in Düsseldorf, dessen Gründung
aus dem Zusammenwirken der gesamten katholi-
schen Stadtbevölkerunghervorgegangenist, hat Mal-
linckrodt als der erste Vorsitzende des „Hospital-
vereins“ (1864/67) ein entscheidendes Verdienst.