Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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irgend ein bestehender Staat der Welt, sich nicht ein- 
lassen; sie kann sich darauf nicht einlassen, ohne sich 
selbst und ihre Existenzberechtigung prinzipiell zu 
vernichten, und diesen Selbstmord wird die Re- 
gierung der katholischen Kirche vergeblich zumuten, 
und wenn sie noch so scharfe Maßregeln ergreift, 
das wird sie nicht erleben.. „Bei uns 
handelt es sich nicht darum, das kleinere übel hin- 
zunehmen, um ein größeres zu vermeiden, dafür 
haben es die Maigesetze gar zu gut mit der Kirche 
gemeint, meine Herren; die Maigesetze sind nach der 
Seile hin so hübsch und fein gedacht und überlegt, 
daß, wenn sie zur vollen Ausführung gelangten, 
von der katholischen Kirche, die bisher bei uns be- 
standen hat, in gar kurzer Zeit nichts mehr übrig 
geblieben wäre als vielleicht einige äußere Formen; 
aber der Kern der Sache, der Geist, der lebendig 
macht, der wäre verflüchtigt, und deshalb wäre die 
Nachgiebigkeit gegen diese Gesetze die Hinnahme 
des allergrößten übels gewesen, das man uns 
zufügen kann; denn es ist für uns oder für die 
Kirche ein größeres übel, wenn sie selbst dazu bei- 
trüge, sich geistig vergiften zu lassen, als wenn sie 
äußerlich unterdrückt wird. Denn wenn sie zeit- 
weise ganz verschwindet von unserem vaterländi- 
schen Boden, dann bleibt ihr die Möglichkeit, daß 
sie zur rechten Zeit im weißen Gewande wieder ein- 
zieht in das Land. Aber wenn sie sich selbst erst 
schänden ließe, dann wäre die Aussicht für immer 
dahin... Aber wie deutlich es auch ist, daß es 
sich bei diesen Gesetzen sowie bei den Maigesetzen 
um tiefe Eingriffe in das innerste Leben, in das 
Wesen der Kirche handelt, so bleibt gleichwohl und 
um so mehr die Frage zu beantworten: Wohin 
wird das führen? Und glauben Sie nicht, daß wir 
in dieser Beziehung die Zukunft für so heiter an- 
sehen, oder daß wir glauben, es handle sich um eine 
ephemere, rasch vorübergehende Erscheinung. Nein, 
wir sehen mit offenen Augen die Folgen vor uns. 
Welche werden nun die weiteren Folgen sein?. 
Glauben Sie, das katholische Volk, wenn nun ein 
solcher Bischof, dem der Kultusminister den Mantel 
umgehangen und den die Bajonette begleiten, bei 
ihm einzieht, werde auf die Knie sinken und um 
seinen Segen bitten? Das ist vergebliches Hoffen! 
Oder denken Sie etwa, das katholische Volk werde, 
wenn es seiner Seelsorge beraubt ist, nun so all- 
mählich in das protestantische Lager sich hinüber- 
ziehen lassen? Nein, meine Herren, das geht auch 
nicht! Ist doch schon die Schwierigkeit zu groß, die 
protestantische Kirche zu finden, selbst wenn man 
die Laterne des Diogenes ansteckt und auf die Suche 
geht; dann sind so viele, die sich melden: der eine 
ruft „hier“ und der andere ruft hier“, und alle diver- 
gieren so gewaltig, daß man verzweifelnd wieder 
umkehren und sagen müßte, man habe sie nicht 
finden können. Also die Hoffnung können Sie auch 
nicht hegen. Was bleibt übrig? Es bleibt nichts 
übrig als die religiöse Verwilderung. Ein Teil 
wird sich sammeln und seine religiöse überzeugung 
festhalten, wird sie pflegen noch eifriger, noch sorg- 
fältiger als bisher; aber ein anderer Teil wird 
verwildern und wird wahrlich nicht unter den Ein- 
fluß der Mächte der Ordnung und der Autorität 
geraten, nein, meine Herren! Also bedenken Sie es 
wohl, was Sie sich großziehen! Sie ziehen sich, 
wenn Sie auf dem Wege weitergehen, eine Bevöl- 
kerung groß, deren gewaltsame Umwälzungen solche 
Wogen auftürmen, daß Sie darunter ganz gewiß 
  
Mallinckrodt. 
  
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begraben werden. Man kann fragen danach, meine 
Herren, was ist denn unsere Hoffnung? Nun, ich 
sage, vom gewöhnlich menschlichen Standpunkt aus 
gesprochen, da wäre die Aussicht, mit Ehren zu 
fallen, und das ist besser, als mit Schande den 
Nacken der Tyrannei beugen! Vom christlichen 
Standpunkt aus aber sage ich: Wir beten, und wir 
rechnen fest auf den allmächtigen Gott!" 
Am Schlußtage der Landtagssession, welche die 
„neuen Maigesetze“ gezeitigt hatte, 21. Mai 
1874, befiel Mallinckrodt eine Erkältung, und 
aufgerieben durch die Uberanstrengung eines über 
sechs Monate ununterbrochen währenden heftigen 
parlamentarischen Kampfes, erlag er derselben am 
26. Mai 1874. Die Teilnahme an diesem un- 
erwarteten Hinscheiden war weit über die Grenzen 
Deutschlands hinaus eine bis dahin unerhörte. 
Neben der Bedeutungdes kirchenpolitischen Kampfes 
und dem Ernst des Augenblickes hatte dieses seinen 
Grund nicht allein in der ungewöhnlichen Rede- 
kraft, welche der Verstorbene im Parlament von 
Session zu Session und bis unmittelbar vor seinem 
Ende immer hinreißender entfaltet hatte, sondern 
auch in der seltenen Makellosigkeit und Hochsinnig- 
keit seines Charakters und einem durch ungezählte 
Taten des Edelmutes und der Menschenfreundlich- 
keit wahrhaft geadelten Lebens. Während von 
seiten der Regierung wie der staatlichen Korpora- 
tionen jedes Zeichen der Teilnahme unterblieb, 
wurde der Verstorbene unter dem Zusammen- 
strömen vieler Tausende auf der Begräbnisstätte 
seiner Familie zu Böddeken bei Paderborn mit 
mehr als königlichen Ehren beigesetzt. Eine Aus- 
wahl aus den Nachrufen und Trauerkundgebungen, 
die in und außerhalb Deutschlands seinem An- 
denken gewidmet wurden, ergab ein umfangreiches 
Buch: Mertens, Die Totenklage um Hermann 
v. Mallinckrodt (Paderborn 1880). 
Abgesehen vom parlamentarischen Schauplatz 
war Mallinckrodts Name noch mit andern Unter- 
nehmungen von öffentlichem Interesse verknüpft. 
Eine gefahrvolle Krisis, welche den Düsseldorfer 
„Kunstverein für Rheinland und Westfalen“ mit 
Spaltung oder Untergang bedrohte, wurde durch 
seine Umsicht und aufopfernde Bemühung glücklich 
vorübergeführt, nachdem er als gemeinsamer Ver- 
trauensmann der sich befehdenden Parteien für 
1864/67 zum Präsidenten erwählt worden war. 
Ein großer Förderer war er für die Bestrebungen 
des Bonifatius-Vereins. Zwei Missionspfarreien, 
zu Küstrin und zu Alsleben a. d. S., verdanken 
seiner Initiative und jahrelangen Bemühung 
ihren durch Fundation gesicherten Bestand. Mit 
Küstrin als der ersten „auf Einigung“ gegrün- 
deten Station wurde zugleich dem Wirken des 
Vereins eine neue, durch reichen Erfolg gesegnete 
Bahn eröffnet. Auch um das Zustandekommen des 
Marienhospitals in Düsseldorf, dessen Gründung 
aus dem Zusammenwirken der gesamten katholi- 
schen Stadtbevölkerunghervorgegangenist, hat Mal- 
linckrodt als der erste Vorsitzende des „Hospital- 
vereins“ (1864/67) ein entscheidendes Verdienst.
	        
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