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au Maroc (Lyon 1907); Salmon u. Charleville
Le Maroc, son état Sconomique et commercial
(Par. 1907); Jeannot, Etudes sociale, politique!
et SCconomique sur le Maroc (Dijon 1907); du
Gast, Le Maroc agricole 1 (Par. 1908); Doutté,
Magie et religion dans I’Afrique du Nord (ebd.
1909); Rene-Leclerc, Situation économique et
commerciale du Maroc en 1907 (Algier 1909).—
Von periodischen Veröffentlichungen für M. be-
sonders wichtig: Bulletin du Comité de I'Afrique
française (Par. 1904 ff); Coufin u. Saurin, An-
nuaire du Maroc (ebd. 1905 ff; mit jährl. Biblio-
graphie); Archives marocaines (ebd. 1905 ff);
Revue du Monde Musulman (ebd. 1907 ff); „Nord-
afrika“, hrsg. von der Marokkanischen Gesellschaft
(1903 ff; seit 1905 „Deutsche Monatsschrift für
Kolonialpolitik usw.“).
II: Knupfer, II—IV: Lins.]
Marsilius (Marsiglio) von Padua,
radikaler Imperialist, der früheste Vorkämpfer des
liberal-revolutionären Cäsarismus, wurde gegen
das Jahr 1280 als Glied der in Padua an-
sässigen bürgerlichen Familie Maynardini ge-
boren. Er studierte in seiner Vaterstadt zuerst
Philosophie, von der er indes bald, nach Reichtum
und Lebensgenuß trachtend, zur einträglicheren
Heilkunde umsattelte. In unstetem Leben wid-
mete er sich dem Kriegsdienste, dem der Theologie
und, scheint es, dem Kirchenrechte. In Paris war
er längere Zeit Mitglied der Artistenfakultät,
wurde 1312 zeitiger Rektor der Universität. Er
war in den Klerikalstand getreten; ob er Priester
geworden, ist nicht gewiß. Johann XXII. hatte
ihm 1316 ein Kanonikat in Padua verliehen.
In Paris kam er mit Männern in Berührung,
welche die Sache Philipps des Schönen gegen
Papst Bonifaz VIII. begünstigten, insbesondere
mit dem Franziskaner Wilhelm von Occam und
einigen Freunden des damals ebenfalls mit dem
Papste in Streit begriffenen Kaisers Ludwig des
Bayern, so mit Peter Aichspalter, dem späteren
Erzbischof von Mainz und Parteigänger Ludwigs
des Bayern, mit Ulrich dem Wilden von Augs-
burg, damals Prokurator der englischen Nation
und später Protonotar Ludwigs, und besonders
mit Johannes de Janduno, dem zum averrhoisti-
schen Pantheismus neigenden Pariser Lehrer der
Philosophie und Theologie.
Da Marsilius für seine unkirchlichen Lehren
auf die Dauer, namentlich unter König Karl, zu
Paris keinen günstigen Boden fand, so vertauschte
er gegen 1325 seine bisherige Stellung mit dem
Hofdienst bei dem Kaiser Ludwig. Nach seiner
Abreise verfaßte er in Gemeinschaft mit seinem
Freunde Johannes de Janduno das Werk De-
fensor pacis, mit dem die beiden bei dem Kaiser
als brauchbare Kampfgenossen sich einführten.
Ludwig nahm nicht nur die Widmung der Brand-
schrift an, sondern ließ sich auch von Marsilius in
Verbindung mit den radikalen Minoriten und den
italienischen Ghibellinen zu dem Römerzuge und
der verhängnisvollen Politik von 1328 verleiten.
Marsilius von Padua.
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Die Anmaßungen und Frevel gegen den Papyst,
dessen Absetzung, die Annahme des Amtes eines
päpstlichen Vikars für Rom, die Verfolgung des
papsttreuen Klerus, die Ubertragung der Kaiser-
krone durch das Volk, die Wahl eines Gegen-
papstes (Pietro de Corvara, eines Minoriten)
zeigten die Lehren des „Verteidigers des Friedens“
im wahren Lichte. Am 9. April 1327 waren
Marsilius und Johannes de Janduno bereits als
Begünstiger Ludwigs namentlich exkommuniziert,
am 23. Okt. war durch besondere Bulle die Ver-
werfung der häretischen Hauptsätze des Defensor
pacis verkündet worden. Nach der Rückkehr aus
Italien erlosch in München schnell sein Einfluß;
Ludwig hatte ihn bei den Rekonziliationsverhand-
lungen in den Hintergrund geschoben. Nicht lange
nachher, vor dem 10. April 1343, starb er, un-
ausgesöhnt mit der Kirche und ihrem Geiste gänz-
lich entfremdet. Ob auch eine Schrift De trans-
latione imperü und eine andere zur Verteidigung
der von Ludwig aus kaiserlicher Machtvollkommen-
heit vollzogenen Ehescheidung der Margareta
Maultasch von ihm herrühren, ist streitig.
Der Detensor pacis zerfällt in drei Bücher,
von denen das dritte nur eine Zusammenfassung
des Inhalts in 42 conclusiones ist. Im ersten
Buche wird aus dem einseitig überspannten ari-
stotelischen Begriffe des Staates die uneinge-
chränkte Volkssouveränität hergeleitet, welche für
die Kirche als selbständige öffentliche und autori-
tative Gesellschaft keinen Platz läßt; im zweiten
Buche wird der rationalistische Nachweis versucht,
die biblischen und historischen Gründe seien für
die Selbständigkeit der Kirche und die soziale Au-
torität ihrer Hierarchie nicht stichhaltig. Mit den
heftigsten Invektiven gegen „den großen Drachen,
die alte Schlange“ (Johann XXII.) verteidigt der
Defensor pacis die unbedingte Volkssouveräni=
tät, die Gesetzgebung, die Einsetzung der Regie-
rungsgewalt durch das Volk; auch das voll-
ziehende Werkzeug der gesetzgebenden Gewalt, der
Regent (imperator), dem alles bis auf die Be-
rufswahl des einzelnen untersteht, hängt für seine
Wahl, seine Absetzung direkt vom Volke ab. Im
Staate, der sich selbst genügenden, alle Interessen
der Menschheit zusammenfassenden Gesellschaft,
müsse es unter dem göttlichen Gesetzgeber, d. h. unter
Gott selbst, auch einen menschlichen Gesetzgeber
(legislator humanus), das Volk, geben, welches
keinen Obern über sich habe, also schlechthin sou-
verän sei. Noch radikaler, die Lehren der späteren
Reformation weit überbietend, geht Marsilius
gegen die Lehre und Verfassung der Kirche vor.
Die alleinige Grundlage des Glaubens wie der
Kirche ist die Heilige Schrift, die ihre Autorität
nicht von der Kirche, sondern aus sich selbst her-
leitet; die einzig richtige Auslegung der Heiligen
Schrift ist die gescheiter Leute, wie der Pariser
Universität. Das allgemeine Konzil (Geistliche
und gewählte Gemeinderepräsentanten) ist die
oberste Gewalt der Gesamtkirche; sein Berufer ist
—