Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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tig erregt durch das Vorgehen der preußischen Re- 
gierung gegen den Erzbischof von Köln, nahm er 
seinen Abschied aus dem Staatsdienst und ging 
nach München, woselbst er im Umgang mit 
Görres, Windischmann, Phillips und seinem 
Bruder Richard bis 1843 theologischen Studien 
sich widmete, aber auch in vielfachen Ausflügen 
das bayrische und österreichische Gebirge kennen 
lernte. Nach ernster Prüfung seines Berufes trat 
er 1843 in das Priesterseminar zu Münster ein, 
wurde am 1. Juni 1844 geweiht und dann als 
Kaplan zu Beckum, später als Pfarrer zu Hopsten 
angestellt. 
In letzterer Stellung wurde er 1848 in dem 
Wahlkreis Tecklenburg in das Frankfurter Par- 
lament gewählt. Für die Neugestaltung Deutsch- 
lands auf wahrhaft freiheitlicher Grundlage hoch 
begeistert, war er vorzugsweise bemüht, der Kirche 
die Freiheit zu erringen, um durch sie die Gott- 
losigkeit zu überwinden, welche in der Bewegung 
von 1848 in so grauenhafter Weise hervortrat. 
In dieser Beziehung sprach er sich besonders 
energisch aus in seiner Rede am Grabe Lich- 
nowskys, in der er als die eigentlichen Mörder 
jene bezeichnete, welche dem Volke die christlichen 
Gesinnungen rauben. Als Parlamentsabgeord- 
neter führte er auch seine Anschauungen über die 
soziale Bedeutung des Christentums in sechs Pre- 
digten aus, welche er 1848 im Dom zu Mainz 
hielt. Wenige Monate später wurde er als Propst 
an die St Hedwigskirche nach Berlin berufen, wo 
er seit Oktober 1849 mit großem Segen wirkte 
und namentlich auch um den Bau des St Hed- 
wigskrankenhauses sich verdient machte. 
Nachdem der Bischof von Mainz, Petrus 
Kaiser, gestorben, die Wahl des Professors 
L. Schmid aber verworfen worden war, ernannte 
Pius IX. am 15. März 1850 den Freiherrn 
v. Ketteler zum Bischof von Mainz. Die 
Konsekration fand am 25. Juli 1850 statt. Auf 
den Stuhl des hl. Bonifatius erhoben, entfaltete 
der gottbegeisterte, glaubensstarke Oberhirt als- 
bald nach allen Seiten hin eine außerordentliche 
Tätigkeit. Er widmete sich mit unermüdlichem 
Eifer der Pastoration der Stadt und der ein- 
zelnen Gemeinden seiner Diözese, stellte 1851 das 
1830 unterdrückte Mainzer Seminar mit seiner 
theologischen Fakultät wieder her und regte den 
Klerus zu seeleneifriger Wirksamkeit an. 
In Gemeinschaft mit den übrigen Bischöfen 
der oberrheinischen Kirchenprovinz richtete er 1851 
eine Denkschrift an die hessische Regierung, welche 
die wesentlichsten Rechte der Kirche der bestehen- 
den Staatsbevormundung gegenüber reklamierte. 
Nachdem die Regierung diese wie eine wiederholte 
Denkschrift abschlägig beschieden hatte, drohte 
Freiherr v. Ketteler, die reklamierten Rechte fak- 
tisch auszuüben, was zunächst eine schroffe Hal- 
tung der Regierung hervorrief, schließlich aber zu 
einer Verständigung durch die sog. Konvention 
vom 23. Aug. 1854 führte. Diese Konvention, 
Ketteler. 
  
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welche nur im geringsten Maße der Kirche ihre 
Rechte zurückgab, war der Gegenstand hestiger 
Angriffe von seiten der liberalen Parteien. Sie 
fand anfänglich auch in Rom nicht vollen Beifall, 
weil man dort spezielle Verhandlungen der Bi- 
schöfe mit den Regierungen nicht liebte; doch 
wurde sie 1856 nach den vom Heiligen Stuhle 
gestellten Bedingungen umgestaltet und bildete, 
auch ohne weitere Bestätigung von Rom, solange 
Minister Dalwigk im Amte blieb, die Basis des 
im ganzen freundlichen Verhältnisses zwischen dem 
bischöflichen Ordinariat und der Regierung. 
Indem der Bischof, unterstützt von vortreff- 
lichen Räten (Domdekan Lennig, Domkapitular 
Moufang, Heinrich, Riffel usw.), den Kampf mit 
dem hessischen Staatskirchentum und der liberalen 
Zweiten Kammer führte, war er zugleich bemüht, 
in seiner Diözese das Ordensleben zu wecken, 
welches, abgesehen von den Englischen Fräulein 
und den kurz zuvor berufenen Barmherzigen 
Schwestern, gänzlich erloschen war. Er gründete 
ein Kapuzinerkloster, dessen erster Guardian sein 
Bruder Richard war, desgleichen mit Hilfe der 
Gräfin Hahn-Hahn ein Kloster der Frauen vom 
guten Hirten, berief für die Krankenpflege Fran- 
ziskanerinnen aus Aachen und gründete in Finthen 
eine Genossenschaft der Schul= und Kranken- 
schwestern von der göttlichen Vorsehung sowie in 
Mainz ein Institut der Schulbrüder und berief 
im Jahre 1859 die Jesuiten an die Pfarrkirche 
St Christoph in Mainz. 
Während unter der Anregung des seeleneifrigen 
Bischofs das katholische Leben sich immer herr- 
licher entfaltete, steigerten sich die Angriffe der 
kirchenfeindlichen Parteien in der Presse und na- 
mentlich in der Zweiten Kammer. Der Bischof 
stellte sich denselben in vielen Artikeln und Bro- 
schüren schlagfertig entgegen. Die Regierung aber 
suchte die Gegner durch Vorlage eines Gesetzent- 
wurfes zu beschwichtigen, welcher, von der Zweiten 
Kammer wesentlich verschlechtert, 1863 von der 
Ersten Kammer abgelehnt wurde. Um die Lage 
der heftig angefeindeten Regierung zu erleichtern, 
wurde 1866 die Konvention auf die Initiative 
des Bischofs hin formell aufgehoben, blieb jedoch 
im wesentlichen die Basis der Verhältnisse zwischen 
Staat und Kirche bis zum Erlaß der kirchen- 
politischen Gesetze von 1875. 
Ohne auf die Zeit des Kulturkampfes hier des 
näheren einzugehen, ist an die mannigfachen 
Reisen zu erinnern, welche der Bischof nach Rom 
ausführte, um Pius IX. seine innige Verehrung 
zu bezeigen, eine Verehrung, welche dieser mit 
großer Auszeichnung erwiderte. Die erste Reise 
nach Rom machte er 1854/55, wo er der Defi- 
nition der Unbefleckten Empfängnis anwohnte 
und insbesondere auch über die Bestätigung der 
Konvention von 1854 verhandelte. Im Jahre 
1862 nahm er in Rom an der Heiligsprechung 
der japanischen Märtyrer teil; auch an der Feier 
des Zentenariums des hl. Petrus nahm er 1867
	        
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