1045
Landesfarben für beide Länder sind Blau-
Gelb-Rot.
4. Kirche und Schule. In beiden Groß-
herzogtümern nahmen Regierung und Stände an,
daß bis zum Erlaß der Verordnung vom 5. Jan.
1903 bezüglich der Religionsfreiheit noch die Be-
stimmungen des Westfälischen Friedens und die
Kirchenordnung von 1650 (unveränderter Abdruck
der Kirchenordnung von 1602) mit ihrer Ver-
urteilung der „bäpstlichen Abgötterey“ in Kraft
gewesen seien, daß deshalb bis 1903 die evan-
gelisch-lutherische Landeskirche, die allein im Nor-
maljahr 1624 einen Besitzstand in Mecklenburg
hatte, die ausschließlich berechtigte Kirche gewesen
sei. Den Angehörigen anderer Konfessionen wurde
bis 1903 im allgemeinen bloß die devotio do-
mestica (Hausandacht) ohne Zuziehung eines
Geistlichen gestattet; nur auf Grund widerruf-
licher landesherrlicher Konzession wurde den Ka-
tholiken zu Schwerin und Ludwigslust gesellschaft-
liche Religionsübung (exercitium religionis)
zugestanden. (Die reformierte Gemeinde zu Bützow
besaß das exercitium religionis publicum.)
Demgemäß erklärte der Landtag am 13. Dez.
1899 auf einen Antrag (von der Lühe und Ge-
nossen), „die Großherzogliche Regierung möge
den Katholiken Mecklenburgs größeres Entgegen-
kommen und weitere Erleichterungen ihrer Re-
ligionsübung gewähren“, es sei allein Sache des
Landesherrn, zu entscheiden, inwieweit eine solche
Erleichterung zugestanden werden könne. Durch
die Verordnung vom 5. Jan. 1903 wurde den
Katholiken (und ebenso allgemein den Reformierten)
die öffentliche Religionsiübung zugestanden, doch
bleiben auch weiterhin der landesherrlichen Ge-
nehmigung vorbehalten die Bildung und Ande-
rung der Parochien, die Anstellung der Geistlichen,
die Errichtung von Kirchen und Kapellen, die Ab-
haltung von Prozessionen und Wallfahrten, die
Niederlassung von Orden und Kongregationen.
Diese nach „ratsamem Bedenken“ der Stände er-
lassene Verordnung von 1903 bringt keine wesent-
liche Verbesserung der Rechtslage der Katholiken;
unter dem Schein der Gleichberechtigung wird der
landesherrliche Absolutismus proklamiert, der nur
solange erträglich ist, als der Landesherr katho-
likenfeindlichen Einflüssen unzugänglich ist. (Die
Stadt Rostock hat gegen die Verordnung von
1903 die Rechtsverwahrung eingelegt, daß sie für
ihr Gebiet keine Geltung habe.) Die grund-
gesetzliche Festlegung der Rechte der Katholiken
ist deshalb, nötigenfalls mit Hilfe des Reichs, zu
erstreben, etwa in der Form, wie sie die Mecklen-
burgische Verfassung von 1849 (beseitigt 1850)
vorsah. Die vollständige Gleichberechtigung der
Katholiken mit den Protestanten bestimmte übri-
gens schon die Akzessionsakte zum Rheinbund vom
22. März 1808 (Art. 4). In Mecklenburg-Schwe-
rin wurden dazu noch ausdrückliche Ausführungs-
bestimmungen (25. Jan. 1811) erlassen. Eine
Zurücknahme dieser Bestimmungen ist nie erfolgt,
Mecklenburg.
1046
sie wurde mit Stillschweigen übergangen; seit 1852
wurde die Gleichberechtigung sogar fortgesetzt be-
stritten. Die Stadt Rostock hat bis in die neueste
Zeit auf dem der politischen Gemeinde gehörenden
Friedhofe den protestantischen Pfarrzwang auf-
recht zu erhalten gesucht; erst neuerdings werden
hier für verstorbene Katholiken keine den prote-
stantischen Geistlichen zufallende Leichengebühren
erhoben.
Solange die Bistümer Schwerin (bis 1550)
und Ratzeburg (1554) bestanden, war Mecklenburg
ein Teil der Erzdiözese Bremen jetzt gehört es zu
dem mit dem Bistum Osnabrück verbundenen
Apostolischen Vikariat der nordischen Missionen.
Mecklenburg-Schwerin besitzt zwei Pfarreien, die
zu Schwerin (mit den „Tochtergemeinden“ zu
Rostock und Wismar, 7 Geistliche) für das ganze
Staatsgebiet (soweit es nicht zur 2. Pfarrei ge-
hört) und zu Ludwigslust (1 Geistlicher) für die
Städte Ludwigslust, Grabow, Neustadt, Parchim
und Dömitz. Mecklenburg--Strelitz besitzt eine
Pfarrei zu Neustrelitz (2 Geistliche). In einer
Reihe von Orten wird in notdürftig eingerichteten
Räumen periodischer Gottesdienst gehalten. Zu
den ansässigen Katholiken treten noch etwa 18 000
polnische Saisonarbeiter (März-November), deren
Pastorierung mit den größten Schwierigkeiten ver-
bunden ist. Die kirchlichen Mittel werden durch
freiwillige Beiträge, durch Zuschüsse seitens der
kirchlichen Oberbehörde und des Bonifatius-
Vereins aufgebracht. Die Pfarrei Ludwigslust ist
vom Herzog (nachmaligen Großherzog) Friedrich
Franz I. fundiert. Für Schwerin werden einige
Zuschüsse aus der Renterei gezahlt. In Mecklen-
burg-Strelitz leistet der Großherzog einen jähr-
lichen Zuschuß von 500 M.
Die evangelische Kirche ist auf der Kon-
sistorialverfassung aufgebaut. Oberbischof der
evangelisch-lutherischen Kirche ist der Landesherr.
Seine Rechte werden durch den Oberkirchenrat, in
Mecklenburg-Strelitz durch das Konsistorium wahr-
genommen. Mecklenburg = Schwerin wird in 5
Superintendenturen und 36 Präposituren einge-
teilt, dazu treten die Superintendenturen Wismar
und Rostock; Mecklenburg-Strelitz hat eine Super-
intendentur und 7 Synoden (einschließlich der
Ratzeburger). Der Entwurf einer neuen evan-
gelisch-lutherischen Kirchenverfassung wurde dem
Landtag 1908 vorgelegt, ist aber (1910) noch
nicht zum Abschluß gekommen.
Die rechtlichen Verhältnisse der Juden sind
durch die Verordnung vom 23. Jan. 1868 ge-
regelt.
Die Schule steht mit der evangelisch-luthe=
rischen Kirche in enger Verbindung. Die Schul-
pflicht dauert vom 6. bis 14. Lebensjahr. Es ist
zu unterscheiden zwischen Volksschulen im Do-
manium, Ritter= und landschaftlichen Landschulen
und den Volks= und Bürgerschulen der Städte
und ritterschaftlichen Flecken. Im Sommer kann
seitens der zuständigen Predigers die Schulzeit