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ihm auch eine genügende Freiheit in der Standes-
wahl eingeräumt werden. Es kann freilich nicht
davon die Rede sein, eine utopische Gleichheit
unter den Menschen verwirklichen zu wollen, und
es ist eine undurchführbare Forderung, daß die
gesamten Bildungsmittel gesetzlich allen zugänglich
gemacht werden, die ein Verlangen nach der ent-
sprechenden Bildungsstufe tragen. Wohl aber
muß die Zulassung aller zu den verschiedenen Be-
rufsarten insofern als ein Postulat der natürlichen
Gerechtigkeit betrachtet werden, als niemand von
ihnen ausgeschlossen werden darf. Es kann also
die ehedem in verschiedenem Umfange bestehende
Ausschließung gewisser Kategorien der Bevölkerung
von bestimmten Amtern und vom Erwerb gewisser
Güter nur als dem natürlichen Rechte wider-
sprechend bezeichnet werden; in ihren Folgen ist
sie mit Ursache des erfolgten revolutionären Um-
sturzes gewesen und hat viele Menschen, die mit
der erforderlichen Befähigung ausgerüstet und im
Besitze der nötigen Daseinsmittel waren, gehin-
dert, die ihnen verliehenen Talente in der ihrer
Individualität und dem allgemeinen Besten am
meisten entsprechenden Weise zu betätigen.
Nach dem, was in dieser Beziehung gesagt ist,
braucht gar nicht mehr hervorgehoben zu werden,
daß die Sklaverei und auch deren mildere
Formen, die Leibeigenschaft und die Hörigkeit,
bei welchen Institutionen der fortdauernd mil-
dernde Einfluß der Kirche sich wirksam erwies,
mit den Urrechten des Menschen im Widerspruch
stehen. Auch die mit diesen Formen der Unfrei-
heit in Verbindung stehenden Beschränkungen in
der Wahl des Gatten, durch welche die Verehe-
lichung unbedingt an den Willen des Herrn ge-
knüpft und die Freiheit, sich Lebensgefährten aus
andern als aus einem gewissen Lebenskreise zu
wählen, vereitelt wurde, entsprechen nicht dem
Naturrechte. Etwas anderes ist es selbstverständ-
lich, wenn gewisse Hausgesetze, familienfideikom-
missarische u. dgl. Bestimmungen eine standes-
gemäße Heirat zur Voraussetzung gewisser Sonder-
rechte machen. Derartige Beschränkungen enthalten
nichts den Urrechten des Menschen Widersprechen-
des, da der Betreffende auf die ihm aus den
hausgesetzlichen usw. Verordnungen erwachsenden
Vorteile verzichten kann.
Endlich aber muß es als ein Urrecht des Men-
schen angesehen werden, daß er in seinen erwor-
benen Rechten geschützt und daß sein rechtmäßiges
Eigentum vor allen Angriffen gesichert werde.
Die Grundlage der ganzen sozialen und wirt-
schaftlichen Weltordnung ist die mit der mensch-
lichen Natur auf das innigste verknüpfte Insti-
tution des Privateigentums (s. d. Art. Eigen-
tum). Wie iele Menschen würden ernstlich arbeiten
wollen, könnten sie nicht auf den eignen Besitz und
Genuß der durch die Tätigkeit hervorgebrachten
Gütervermehrung mit Sicherheit rechnen? Welch
endloser Hader, welche Kämpfe entstünden, wenn
die im Staat organisierte Gesellschaft die Ver-
Menschenrechte.
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teilung der „Arbeitsämter“ in der arbeitenden
Gemeinschaft der Menschen und die Entlohnung
der verschiedenen Tätigkeiten vornehmen wollte!
Es muf also ein jeder im Besitze der rechtmäßig
erworbenen Rechte gesichert sein, weil dies wesent-
liche Voraussetzung seines Wohles und seiner sitt-
lichen Entwicklung ist. Dies ist ein Fundamental-
recht des Menschen. Nur da, wo das öffentliche
Wohl das Aufgeben eines Privatrechtes absolut
notwendig macht, kann dessen zwangsweise Be-
seitigung seitens der öffentlichen Gewalt gegen die
gebührende Entschädigung erfolgen. Dieselbe ist
auch dann zu leisten, wenn, wie dies bei der Ab-
schaffung der Feudalrechte der Fall war, veraltete
Institutionen der Vorzeit im Interesse der be-
treffenden Bevölkerungskreise und des Gemein-
wohls beseitigt werden.
Die religiöse Glaubensfreiheit kann vom
Standpunkt der geoffenbarten Religion aus, die
erst alle Menschenrechte sichert, nicht unbedingt,
sondern nur in gewissem Sinne als ein Funda-
mentalrecht anerkannt werden. Allerdings hat
jeder Mensch das Recht, weil die Pflicht, inner-
lich jenen Glauben zu bekennen, den er für den
allein richtigen hält. Auch das äußere Bekenntnis
dieses Glaubens ist für das einzelne Individuum
ein unbestreitbares Recht, solange dadurch kein
Grundrecht eines Nebenmenschen verletzt wird.
Es ist unerlaubt, Menschen, die schuldlos im
Irrtum aufgewachsen sind, zur äußerlichen An-
nahme eines Religionsbekenntnisses zu nötigen
und dadurch mit ihrem Gewissen in schwersten
Widerstreit zu bringen. Wo aber in einem Lande
die Bevölkerung noch eine glaubenseinheitliche ist,
da kann nicht in Abrede gestellt werden, daß zum
Schutze des allgemeinen Wohles das öffentliche,
provokatorische Bekenntnis einer neuen Religion
verboten werden darf und kann. Ees bleibt dabei
freilich in vielen Fällen die Grenze, bei der die
Nüttzlichkeit resp. Schädlichkeit solcher Raßnahmen
beginnt, sehr schwer bestimmbar (vgl. auch den
Art. Bekenntnisfreiheit).
Dagegen kann keinesfalls eine bestimmte Ver-
fassungsform und eine gewisse Summe po-
litischer Freiheiten, z. B. die Preßfreiheit,
die Vereinsfreiheit und die Versammlungsfreiheit,
als in die Kategorie der Menschenrechte gehörig
bezeichnet werden.
Die menschliche Natur bedarf zu ihrem Wohle
nicht ganz bestimmter Verfassungsformen und ein
für allemal ihr auf den Leib geschnittener Wirt-
schaftsordnungen. Wenn die Bewohner eines
Landes aus sittlichem Verfalle sich wieder auf-
raffen und ein gesundes Gemeinwesen zu bilden
imstande sind, werden den jeweiligen Verhält-
nissen eines Landes entsprechende Formen des
öffentlichen Lebens geschaffen. Sie müssen sich
aber stets in den ihnen durch die unabänder-
lichen Menschenrechte gezogenen Schranken halten.
Jede wesentliche Abweichung von deren Inhalt
rächt sich auf das ernstlichste. Auch kann nicht