Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

1085 
ihm auch eine genügende Freiheit in der Standes- 
wahl eingeräumt werden. Es kann freilich nicht 
davon die Rede sein, eine utopische Gleichheit 
unter den Menschen verwirklichen zu wollen, und 
es ist eine undurchführbare Forderung, daß die 
gesamten Bildungsmittel gesetzlich allen zugänglich 
gemacht werden, die ein Verlangen nach der ent- 
sprechenden Bildungsstufe tragen. Wohl aber 
muß die Zulassung aller zu den verschiedenen Be- 
rufsarten insofern als ein Postulat der natürlichen 
Gerechtigkeit betrachtet werden, als niemand von 
ihnen ausgeschlossen werden darf. Es kann also 
die ehedem in verschiedenem Umfange bestehende 
Ausschließung gewisser Kategorien der Bevölkerung 
von bestimmten Amtern und vom Erwerb gewisser 
Güter nur als dem natürlichen Rechte wider- 
sprechend bezeichnet werden; in ihren Folgen ist 
sie mit Ursache des erfolgten revolutionären Um- 
sturzes gewesen und hat viele Menschen, die mit 
der erforderlichen Befähigung ausgerüstet und im 
Besitze der nötigen Daseinsmittel waren, gehin- 
dert, die ihnen verliehenen Talente in der ihrer 
Individualität und dem allgemeinen Besten am 
meisten entsprechenden Weise zu betätigen. 
Nach dem, was in dieser Beziehung gesagt ist, 
braucht gar nicht mehr hervorgehoben zu werden, 
daß die Sklaverei und auch deren mildere 
Formen, die Leibeigenschaft und die Hörigkeit, 
bei welchen Institutionen der fortdauernd mil- 
dernde Einfluß der Kirche sich wirksam erwies, 
mit den Urrechten des Menschen im Widerspruch 
stehen. Auch die mit diesen Formen der Unfrei- 
heit in Verbindung stehenden Beschränkungen in 
der Wahl des Gatten, durch welche die Verehe- 
lichung unbedingt an den Willen des Herrn ge- 
knüpft und die Freiheit, sich Lebensgefährten aus 
andern als aus einem gewissen Lebenskreise zu 
wählen, vereitelt wurde, entsprechen nicht dem 
Naturrechte. Etwas anderes ist es selbstverständ- 
lich, wenn gewisse Hausgesetze, familienfideikom- 
missarische u. dgl. Bestimmungen eine standes- 
gemäße Heirat zur Voraussetzung gewisser Sonder- 
rechte machen. Derartige Beschränkungen enthalten 
nichts den Urrechten des Menschen Widersprechen- 
des, da der Betreffende auf die ihm aus den 
hausgesetzlichen usw. Verordnungen erwachsenden 
Vorteile verzichten kann. 
Endlich aber muß es als ein Urrecht des Men- 
schen angesehen werden, daß er in seinen erwor- 
benen Rechten geschützt und daß sein rechtmäßiges 
Eigentum vor allen Angriffen gesichert werde. 
Die Grundlage der ganzen sozialen und wirt- 
schaftlichen Weltordnung ist die mit der mensch- 
lichen Natur auf das innigste verknüpfte Insti- 
tution des Privateigentums (s. d. Art. Eigen- 
tum). Wie iele Menschen würden ernstlich arbeiten 
wollen, könnten sie nicht auf den eignen Besitz und 
Genuß der durch die Tätigkeit hervorgebrachten 
Gütervermehrung mit Sicherheit rechnen? Welch 
endloser Hader, welche Kämpfe entstünden, wenn 
die im Staat organisierte Gesellschaft die Ver- 
Menschenrechte. 
  
1086 
teilung der „Arbeitsämter“ in der arbeitenden 
Gemeinschaft der Menschen und die Entlohnung 
der verschiedenen Tätigkeiten vornehmen wollte! 
Es muf also ein jeder im Besitze der rechtmäßig 
erworbenen Rechte gesichert sein, weil dies wesent- 
liche Voraussetzung seines Wohles und seiner sitt- 
lichen Entwicklung ist. Dies ist ein Fundamental- 
recht des Menschen. Nur da, wo das öffentliche 
Wohl das Aufgeben eines Privatrechtes absolut 
notwendig macht, kann dessen zwangsweise Be- 
seitigung seitens der öffentlichen Gewalt gegen die 
gebührende Entschädigung erfolgen. Dieselbe ist 
auch dann zu leisten, wenn, wie dies bei der Ab- 
schaffung der Feudalrechte der Fall war, veraltete 
Institutionen der Vorzeit im Interesse der be- 
treffenden Bevölkerungskreise und des Gemein- 
wohls beseitigt werden. 
Die religiöse Glaubensfreiheit kann vom 
Standpunkt der geoffenbarten Religion aus, die 
erst alle Menschenrechte sichert, nicht unbedingt, 
sondern nur in gewissem Sinne als ein Funda- 
mentalrecht anerkannt werden. Allerdings hat 
jeder Mensch das Recht, weil die Pflicht, inner- 
lich jenen Glauben zu bekennen, den er für den 
allein richtigen hält. Auch das äußere Bekenntnis 
dieses Glaubens ist für das einzelne Individuum 
ein unbestreitbares Recht, solange dadurch kein 
Grundrecht eines Nebenmenschen verletzt wird. 
Es ist unerlaubt, Menschen, die schuldlos im 
Irrtum aufgewachsen sind, zur äußerlichen An- 
nahme eines Religionsbekenntnisses zu nötigen 
und dadurch mit ihrem Gewissen in schwersten 
Widerstreit zu bringen. Wo aber in einem Lande 
die Bevölkerung noch eine glaubenseinheitliche ist, 
da kann nicht in Abrede gestellt werden, daß zum 
Schutze des allgemeinen Wohles das öffentliche, 
provokatorische Bekenntnis einer neuen Religion 
verboten werden darf und kann. Ees bleibt dabei 
freilich in vielen Fällen die Grenze, bei der die 
Nüttzlichkeit resp. Schädlichkeit solcher Raßnahmen 
beginnt, sehr schwer bestimmbar (vgl. auch den 
Art. Bekenntnisfreiheit). 
Dagegen kann keinesfalls eine bestimmte Ver- 
fassungsform und eine gewisse Summe po- 
litischer Freiheiten, z. B. die Preßfreiheit, 
die Vereinsfreiheit und die Versammlungsfreiheit, 
als in die Kategorie der Menschenrechte gehörig 
bezeichnet werden. 
Die menschliche Natur bedarf zu ihrem Wohle 
nicht ganz bestimmter Verfassungsformen und ein 
für allemal ihr auf den Leib geschnittener Wirt- 
schaftsordnungen. Wenn die Bewohner eines 
Landes aus sittlichem Verfalle sich wieder auf- 
raffen und ein gesundes Gemeinwesen zu bilden 
imstande sind, werden den jeweiligen Verhält- 
nissen eines Landes entsprechende Formen des 
öffentlichen Lebens geschaffen. Sie müssen sich 
aber stets in den ihnen durch die unabänder- 
lichen Menschenrechte gezogenen Schranken halten. 
Jede wesentliche Abweichung von deren Inhalt 
rächt sich auf das ernstlichste. Auch kann nicht
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.