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Band eines Heeres bilden, unversiegliche Quellen
rühmlicher Taten sind. Ihnen gesellt sich die Pflege
eines Ehrgefühls bei, welches vor Gemeinem be-
hüten und zu edeln Taten anspornen soll. Allein
diese Tugenden entfalten sich in reinen, unver-
sehrten Zügen nur auf der Grundlage der Religion.
Auf diese aber nimmt die militärische Erziehung
wenig Rücksicht. Sie hat nicht den ganzen Men-
schen, sondern nur sein Außeres zum Gegenstande,
kümmert sich, wenn dieses den Anforderungen ent-
spricht, nicht um die Ubereinstimmung mit dem
Innern, verzichtet auf dessen Veredlung und ent-
sprechende Vervollkommnung, wenn nur Proper-
tät, strammes Benehmen, Tüchtigkeit in Führung
der Waffen, pünktlicher Gehorsam erzielt wird.
Der innere Wille mag dann eine andere Richtung
haben, wenn diese nur nicht nach außen hervor-
tritt. Infolgedessen ist der militärische Gehorsam
oft nur ein blinder, der nicht aus der innern
Überzeugung von der Berechtigung des Auftrages
entspringt, sondern aus Furcht vor strengen
Strafen geleistet wird. Der widerstrebende Wille
verwandelt sich leicht in stillen Trotz und gärende
Unzufriedenheit, und statt einer Schule des Ge-
horsams wird dann die Kaserne eine solche der
Unbotmäßigkeit und Widersetzlichkeit, welche sich
später um so kräftiger äußern, je länger und je
schroffer sie niedergehalten worden sind. Ein solcher
unbedingter Gehorsam, der in manchen Fällen
jeden freien Willen zu unterdrücken sucht, nährt
die traurige Menschenfurcht, wie die zahlreichen
Militärgerichtsverhandlungen beweisen, nach wel-
chen Soldaten nur aus Furcht sich die unwürdigste
Behandlung bieten ließen, ohne Klage zu erheben.
Er führt zum Laster, wenn der herrschende Geist
in der Kaserne ein schlechter ist, was meist als
Folge eines Krieges eintritt; denn der Krieg er-
zeugt und nährt Roheit, Gefühllosigkeit und ein
freies Leben, das gegen alle Schranken der Re-
ligion und Sitte verstößt. Diese Laster ziehen mit
den heimkehrenden Kriegern in die Kaserne ein.
Tritt dann die bedauerliche Menschenfurcht hinzu,
so werden die neuen Soldaten leicht von dem
Geiste des Unglaubens, der Religionsspötterei
und der Sittenlosigkeit angesteckt. Die Furcht
führt nur zu oft zur Teilnahme an Gotteslästerung,
zu entnervender Unzucht und Selbstmord. Diese
schädlichen Wirkungen des Militarismus reichen
über Kaserne und Garnisonstädte hinaus auf das
Land. Der heimkehrende Reservist setzt nicht selten
das gewohnte Leben der Stadt im Dorfe fort.
Der harten landwirtschaftlichen Arbeit und des
sittigenden christlichen Familienlebens ist er ent-
wöhnt. Seine liebste Heimstätte wird das Wirts-
haus, wo er die Gesellschaft ausgedienter Kame-
raden findet und halbwüchsige Jungen um sich
sammelt, vor ihnen großtut und sie mit seinem
Wesen ansteckt. Diese eifern solchen Vorbildern
kräftig nach, und die Wirte finden dabei ihre
Rechnung. Tanzmusiken und andere lärmende
Militarismus.
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meierei nehmen überhand, und Genußsucht und
Arbeitsscheu breiten sich aus.
2. Kaum läßt sich ein größeres Opfer denken,
als daß Eltern den Sohn, den Gehilfen bei der
Arbeit und Miternährer einer oft zahlreichen
Familie, auf Jahre dem Staate abtreten, oder
daß Weib und Kinder den Ernährer fortziehen
sehen in den blutigen Krieg, um ihn vielleicht für
immer zu verlieren. Dieses Opfer trifft nun we-
niger die Größeren und Reicheren als die Kleinen
und Mittleren, am meisten aber den Landmann
und Handwerker.
a) Die Ackerbau treibende Bevölkerung des Lan-
des wird in erheblich größerem Maße zur Aus-
hebung herangezogen als die Gewerbe treibende der
Städte. Das Ausmusterungsgeschäft im Deutschen
Reiche für 1899 ergab für das 1. Armeekorps in
Ostpreußen über 6% der Stellungspflichtigen
als dauernd Untaugliche ausgemustert, 30 % als
bedingt Taugliche und ÜUberzählige nach dem
dritten Konkurrenzjahre usw. dem Landsturm ersten
Aufgebots oder der Ersatzreserve bzw. der Marine-
Ersatzreserve überwiesen, 52 % ausgehoben (12%
waren Freiwillige). Es stellen sich also die Ver-
hältniszahlen dieser drei Kategorien für Ost-
preußen: 6, 30, 52 % ; für das 2. Armeekorps
in Pommern: 7, 31, 50%. Im Gegensatze dazu
stehen: das 3. Armeekorps in Brandenburg mit
9, 41, 35%, wo das ungünstige Ergebnis wohl
durch Berlin herbeigeführt wird; das 12. und
19. Armeekorps im Königreich Sachsen mit 7, 46,
42 % . Auffallend ist die größere Ausmusterung
beim 13. Armeekorps in Württemberg mit 12,
35, 49%, obgleich das Land Landwirtschaft und
Industrie glücklich vereinigt, diese in nicht sehr
großen Städten und auf dem Lande betreibt.
Bayern zeigt wieder andere Verhältnisse; es wur-
den etwa 8% ausgemustert, 40 % überwiesen,
47,2% ausgehoben. Für das ganze Deutsche
Reich stellt sich das Verhältnis auf 8, 40, 43%.
Begleitende Umstände machen den Militaris-
mus dem Landmann noch drückender. Drei bzw.
zwei Jahre bleiben die stärksten jungen Männer
in der Stadt, in der Kaserne. Dort entwöhnen
sie sich der schweren Feldarbeit und gewöhnen sich
in den dienstfreien Stunden und Tagen städtische
Bedürfnisse, städtische Sitte oder Unsitte an, ver-
lieren die ländliche Schlichtheit und Einfalt und
tauschen dafür städtische Pfiffigkeit, ja Verdorben-
heit ein. Kehren sie in die Heimat zurück, so
wissen sich viele aus ihnen in die alten Verhält-
nisse nicht mehr zu schicken, werden unzufrieden
mit ihrer Lage und verbreiten diese Unzufrieden-
heit und die in der Stadt angenommenen Un-
tugenden, die sie prahlerisch als Vorzüge zur
Schau tragen, im Dorfe, indem sie Stadt und
Stadtleben in glänzenden Farben schildern. Da-
durch nähren sie den Drang nach der Stadt.
Sie selbst wenden sich häufig wieder der Stadt
zu; Bekanntschaften zuliebe zerreißen sie nur zu
Vergnügungen samt einer lächerlichen Vereins= leicht die älteren Bande der Heimat, um in der