Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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nalitätsprinzip entzündet hat. Denn unter 
diesem Schlagworte wurde hier das alte legitime 
Königtum, dort die alte Rechtsordnung umge- 
stoßen und dadurch eine Rechtsunsicherheit ge- 
schaffen, welche die Grundsätze der modernen 
Staatslehren in furchtbare Praxis umsetzt. Man 
klagt über die unerträgliche Last des Militarismus 
in allen Volksschichten, vom schlichten Bürger und 
Landmann bis hinauf zum Gelehrten und Staats- 
mann, und doch rüstet man fort und bietet den 
letzten Mann und Pfennig auf, dem drohenden 
Nachbar noch drohender zu erscheinen. Kein 
Wunder, wirkt doch die Ursache fort, welche die 
Völker zu feindlichen Brüdern macht, die Abwen- 
dung nämlich in Wissenschaft, Gesellschaft und 
Staat von Gott und Natur. Nur mit Beseiti- 
gung dieser Ursache wird auch die Wirkung ge- 
hoben, werden die Völker wieder freier aufatmen 
und ihr irdisches Wohl wirken können. Daher 
sollte der Militarismus endlich sein ein Weg- 
weiser, der Wissenschaft, Gesellschaft und Staat 
zurückführt auf ihren natürlichen Ursprung, wie 
ihn das Christentum nicht erfunden oder ge- 
schaffen, sondern überkommen hat und lehrend 
wahrt zu Nutz und Frommen aller Völker, welche 
die Kirche hören und ihr folgen. 
IV. Abhilfe. Die sittliche Erneuerung der 
Völker in Christus vermag allein der Welt einen 
segensreichen, glückbringenden Frieden zu gewähr- 
leisten, und das Maß dieser Erneuerung ist auch 
für das Maß des Völkerfriedens entscheidend. 
Alle die eifrigen Bemühungen edeldenkender 
Männer um die Beseitigung des Militarismus 
und die Erlangung des Weltfriedens sind ohne 
das Fundament einer solchen Erneuerung ver- 
geblich. In einer doppelten Richtung haben sich 
bisher diese Bemühungen bewegt: 
1. Vor allem ist an die Bestrebungen zu er- 
innern, völkerrechtliche Vereinbarungen über 
Schiedsgerichte zur Entscheidung inter- 
nationaler Streitfragen und über Beschrän- 
kung der Kriegshandlungen zu er- 
langen. Es verdient gewiß alles Lob, wenn die 
Staaten statt der Entscheidung durch Waffen- 
gewalt das Urteil eines unparteiischen Gerichts- 
hofes anrufen. Nicht minder ist jede internatio- 
nale Einschränkung der Kriegshandlungen zu be- 
grüßen, denn jede solche Beschränkung bedeutet 
einen Schritt vorwärts auf der Bahn zur Ver- 
hütung des Krieges und beseitigt einen Anlaß zu 
den hohen Ausgaben für die Kriegsrüstungen. 
Allein kein Volk kann seine Lebensfragen der 
Entscheidung irgend eines internationalen Ge- 
richts unterstellen und das Urteil darüber, was 
zu seinen Lebensfragen gehört, einem andern über- 
lassen; deshalb können alle Versuche, den Krieg durch 
internationale Vereinbarungen über Schiedsgerichte 
und Kriegsrecht abzuschaffen, nicht zum Ziele führen 
(bgl. d. Art. „Frieden, ewiger"). 
2. Mehr Aussichten haben immerhin die Be- 
mühungen, wenigstens eine Erleichterung der Mi- 
Militarismus. 
  
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litärlasten durch gegenseitige Abrüstung 
oder vielmehr gegenseitige Einschränkung der 
Rüstung, insbesondere gegenseitige Ermä- 
ßhigung im Tempo der Neurüstungen 
zu schaffen. Jeder die Rüstungen verringernde 
Staat erhöht für sich die Schwierigkeit des An- 
griffes und vermindert damit die Kriegsgefahr. 
Eine internationale Vereinbarung über die gegen- 
eitige Ermäßigung der Rüstungen mag noch so 
schwierig sein, unmöglich ist sie keinesfalls. Einen 
ehr bemerkenswerten Schritt zur Anbahnung einer 
olchen internationalen Vereinbarung ist auf der 
zweiten Haager Konferenz geschehen, wo in der 
Plenarsitzung vom 17. Aug. 1907 der Vertreter 
Großbritanniens folgende Erklärung abgab: „Die 
Regierung Großbritanniens ist bereit, alljähr- 
lich den Mächten, die das gleiche tun 
würden, die Pläne zum Bau neuer 
Kriegsschiffe sowie die Kosten der- 
selben mitzuteilen. Dieser Austausch von 
Mitteilungen würde den Austausch von Ge- 
sichtspunkten unter den Regierungen 
über die Abstriche, die man machen 
könnte, erleichtern. Die großbritannische 
Regierung glaubt, daß man auf diese Weise zu 
einer Verständigung kommen könnte über die Aus- 
gaben, welche diejenigen Staaten, die sich ver- 
pflichten würden, diesen Weg zu beschreiten, in 
ihre Budgets einzusetzen berechtigt wären.“ Auf 
dieses Anerbieten ist jedoch von keiner andern 
Seite eingegangen oder auch nur geantwortet 
worden. Vgl. im übrigen d. Art. Abrüstung. 
3. Der von den Sozialisten gepflegte Anti- 
militarismus wendet sich nicht nur gegen den 
„Militarismus nach außen“ und den Krieg, son- 
dern fast noch mehr gegen den „Militarismus nach 
innen“, insbesondere die Verwendung von Militär 
gegen streikende Arbeiter. Dieser Antimilitarismus 
sordert zur Bekämpfung des Militarismus über 
die in Ziffer 1 und 2 angeführten Hilfsmittel 
hinaus den Ersatz der stehenden Heere durch eine 
Volkswehr, die Beantwortung der Kriegserklä- 
rung durch den Generalstreik der Arbeiter (Brüs- 
seler Kongreß der Internationale 1868), Verwei- 
gerung der Militärkredite (Züricher Kongreß der 
Internationale 1893), Entscheidung über Krieg 
und Frieden durch das Volk (Londoner Kongreß 
der Internationale 1896), Erziehung und Or- 
ganisation der Jugend zum Zweck der Bekämp- 
fung des Militarismus (Pariser Kongreß der 
Internationale 1900, ähnlich der Stuttgarter 
Kongreß 1907) und möchte im Grunde genom- 
men, wie besonders die Agitation in der Schweiz 
und Holland deutlich zeigt, alles Militärwesen, 
das zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung 
und Niederschlagung einer revolutionären Be- 
wegung befähigt ist, beseitigt wissen. Eine beson- 
dere internationale antimilitaristische Assoziation 
haben die Anarchisten unter Leitung von Nieuwen- 
huis im Juni 1904 auf einem Kongreß zu Amster- 
dam gegründet; Ortsgruppen (Sektionen) dieser 
 
	        
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