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nalitätsprinzip entzündet hat. Denn unter
diesem Schlagworte wurde hier das alte legitime
Königtum, dort die alte Rechtsordnung umge-
stoßen und dadurch eine Rechtsunsicherheit ge-
schaffen, welche die Grundsätze der modernen
Staatslehren in furchtbare Praxis umsetzt. Man
klagt über die unerträgliche Last des Militarismus
in allen Volksschichten, vom schlichten Bürger und
Landmann bis hinauf zum Gelehrten und Staats-
mann, und doch rüstet man fort und bietet den
letzten Mann und Pfennig auf, dem drohenden
Nachbar noch drohender zu erscheinen. Kein
Wunder, wirkt doch die Ursache fort, welche die
Völker zu feindlichen Brüdern macht, die Abwen-
dung nämlich in Wissenschaft, Gesellschaft und
Staat von Gott und Natur. Nur mit Beseiti-
gung dieser Ursache wird auch die Wirkung ge-
hoben, werden die Völker wieder freier aufatmen
und ihr irdisches Wohl wirken können. Daher
sollte der Militarismus endlich sein ein Weg-
weiser, der Wissenschaft, Gesellschaft und Staat
zurückführt auf ihren natürlichen Ursprung, wie
ihn das Christentum nicht erfunden oder ge-
schaffen, sondern überkommen hat und lehrend
wahrt zu Nutz und Frommen aller Völker, welche
die Kirche hören und ihr folgen.
IV. Abhilfe. Die sittliche Erneuerung der
Völker in Christus vermag allein der Welt einen
segensreichen, glückbringenden Frieden zu gewähr-
leisten, und das Maß dieser Erneuerung ist auch
für das Maß des Völkerfriedens entscheidend.
Alle die eifrigen Bemühungen edeldenkender
Männer um die Beseitigung des Militarismus
und die Erlangung des Weltfriedens sind ohne
das Fundament einer solchen Erneuerung ver-
geblich. In einer doppelten Richtung haben sich
bisher diese Bemühungen bewegt:
1. Vor allem ist an die Bestrebungen zu er-
innern, völkerrechtliche Vereinbarungen über
Schiedsgerichte zur Entscheidung inter-
nationaler Streitfragen und über Beschrän-
kung der Kriegshandlungen zu er-
langen. Es verdient gewiß alles Lob, wenn die
Staaten statt der Entscheidung durch Waffen-
gewalt das Urteil eines unparteiischen Gerichts-
hofes anrufen. Nicht minder ist jede internatio-
nale Einschränkung der Kriegshandlungen zu be-
grüßen, denn jede solche Beschränkung bedeutet
einen Schritt vorwärts auf der Bahn zur Ver-
hütung des Krieges und beseitigt einen Anlaß zu
den hohen Ausgaben für die Kriegsrüstungen.
Allein kein Volk kann seine Lebensfragen der
Entscheidung irgend eines internationalen Ge-
richts unterstellen und das Urteil darüber, was
zu seinen Lebensfragen gehört, einem andern über-
lassen; deshalb können alle Versuche, den Krieg durch
internationale Vereinbarungen über Schiedsgerichte
und Kriegsrecht abzuschaffen, nicht zum Ziele führen
(bgl. d. Art. „Frieden, ewiger").
2. Mehr Aussichten haben immerhin die Be-
mühungen, wenigstens eine Erleichterung der Mi-
Militarismus.
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litärlasten durch gegenseitige Abrüstung
oder vielmehr gegenseitige Einschränkung der
Rüstung, insbesondere gegenseitige Ermä-
ßhigung im Tempo der Neurüstungen
zu schaffen. Jeder die Rüstungen verringernde
Staat erhöht für sich die Schwierigkeit des An-
griffes und vermindert damit die Kriegsgefahr.
Eine internationale Vereinbarung über die gegen-
eitige Ermäßigung der Rüstungen mag noch so
schwierig sein, unmöglich ist sie keinesfalls. Einen
ehr bemerkenswerten Schritt zur Anbahnung einer
olchen internationalen Vereinbarung ist auf der
zweiten Haager Konferenz geschehen, wo in der
Plenarsitzung vom 17. Aug. 1907 der Vertreter
Großbritanniens folgende Erklärung abgab: „Die
Regierung Großbritanniens ist bereit, alljähr-
lich den Mächten, die das gleiche tun
würden, die Pläne zum Bau neuer
Kriegsschiffe sowie die Kosten der-
selben mitzuteilen. Dieser Austausch von
Mitteilungen würde den Austausch von Ge-
sichtspunkten unter den Regierungen
über die Abstriche, die man machen
könnte, erleichtern. Die großbritannische
Regierung glaubt, daß man auf diese Weise zu
einer Verständigung kommen könnte über die Aus-
gaben, welche diejenigen Staaten, die sich ver-
pflichten würden, diesen Weg zu beschreiten, in
ihre Budgets einzusetzen berechtigt wären.“ Auf
dieses Anerbieten ist jedoch von keiner andern
Seite eingegangen oder auch nur geantwortet
worden. Vgl. im übrigen d. Art. Abrüstung.
3. Der von den Sozialisten gepflegte Anti-
militarismus wendet sich nicht nur gegen den
„Militarismus nach außen“ und den Krieg, son-
dern fast noch mehr gegen den „Militarismus nach
innen“, insbesondere die Verwendung von Militär
gegen streikende Arbeiter. Dieser Antimilitarismus
sordert zur Bekämpfung des Militarismus über
die in Ziffer 1 und 2 angeführten Hilfsmittel
hinaus den Ersatz der stehenden Heere durch eine
Volkswehr, die Beantwortung der Kriegserklä-
rung durch den Generalstreik der Arbeiter (Brüs-
seler Kongreß der Internationale 1868), Verwei-
gerung der Militärkredite (Züricher Kongreß der
Internationale 1893), Entscheidung über Krieg
und Frieden durch das Volk (Londoner Kongreß
der Internationale 1896), Erziehung und Or-
ganisation der Jugend zum Zweck der Bekämp-
fung des Militarismus (Pariser Kongreß der
Internationale 1900, ähnlich der Stuttgarter
Kongreß 1907) und möchte im Grunde genom-
men, wie besonders die Agitation in der Schweiz
und Holland deutlich zeigt, alles Militärwesen,
das zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung
und Niederschlagung einer revolutionären Be-
wegung befähigt ist, beseitigt wissen. Eine beson-
dere internationale antimilitaristische Assoziation
haben die Anarchisten unter Leitung von Nieuwen-
huis im Juni 1904 auf einem Kongreß zu Amster-
dam gegründet; Ortsgruppen (Sektionen) dieser