Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Seemacht. Dagegen ist bei der Landmacht die Ein- 
heitlichkeit von Anfang an beschränkt worden auf 
das unbedingt Notwendige: den Oberbefehl des 
Kaisers im Krieg und sein Besichtigungsrecht im 
Frieden, die Gesetzgebung über das Heerwesen 
und Gliederung des Heeres, sowie die Feststellung 
der Präsenzstärke und des Ausgabeetats, während 
die Kontingentsherrlichkeit und Verwaltung den 
Bundesstaaten verblieben ist. Erst später ist dazu 
noch die Einheitlichkeit der militärischen Straf- 
rechtspflege gekommen. Im folgenden werden die 
dem Heer und der Marine gemeinsamen Einrich- 
tungen und Ordnungen behandelt; über das Be- 
sondere s. die Art. Heerwesen und Seemacht. 
A. Die Militärgesetzgebung steht nicht nur 
in Sachen der Kriegsflotte, sondern auch in An- 
gelegenheiten des Heeres unbeschränkt dem Reiche 
zu (Reichsverf. Art. 4, Ziff. 14). Nach dem In- 
krafttreten der Reichsverfassung wurde zunächst die 
gesamte preußische Militärgesetzgebung im Reiche 
eingeführt, wobei nur für Bayern und Württem- 
berg auf Grund der Versailler Verträge Aus- 
nahmen gemacht wurden (Reichsverf. Art. 61 und 
Schlußbestimmung zum XI. Abschn.). Seitdem 
ist durch die Gesetzgebung des Reichs auf allen 
Gebieten des Militärrechts, mit einziger Aus- 
nahme der Militärkirchenordnung, ein 
einheitliches Reichsrecht geschaffen worden. Zum 
Schutz der erprobten Einrichtungen dient die Ver- 
fassungsbestimmung (Art. 5, Abs. 2), daß bei Ge- 
setzesvorschlägen über Heerwesen und Marine im 
Bundesrat die Stimme des Präsidiums, d. h. 
Preußens, den Ausschlag gibt, wenn sie sich für 
die Aufrechterhaltung der bestehenden Einrichtungen 
ausspricht. Sehr kompliziert ist die Reglung des 
Militärverordnungsrechts. Die zur Aus- 
führung der Reichsgesetze erforderlichen Vorschrif- 
ten zu erlassen steht, soweit nicht durch das Reichs- 
gesetz etwas anderes bestimmt ist, dem Bundesrat 
zu (Reichsverf. Art. 7, Ziff. 2). Häufig ist durch 
Reichsgesetz das Verordnungsrecht dem Kaiser 
übertragen, und zwar entweder allgemein, oder 
soweit es sich um das Heerwesen handelt, mit 
Ausnahme der für Bayern und Württemberg zu 
erlassenden Vorschriften. Sofern das Verord- 
nungsrecht des Bundesrats und des Kaisers nicht 
Anwendung findet, sieht die Erlassung der Ver- 
ordnungen über Heeresangelegenheiten grundsätz- 
lich den Kontingentsherren zu; jedoch sind die 
Kontingentsherren von Bayern, Sachsen und 
Württemberg verpflichtet, bei Ausübung ihres 
Verordnungsrechts die Übereinstimmung mit den 
Verordnungen des preußischen Kontingentsherrn 
zu wahren. Letzteres wird bei Sachsen und Würt- 
temberg dadurch erreicht, daß die vom preußischen 
Kriegeminister gegengezeichneten Anordnungen für 
die preußische Armee den Kriegsministerien von 
Sachsen und Württemberg durch den Bundesrats- 
ausschuß für das Landheer und die Festungen „zur 
Nachachtung“ mitzuteilen und von diesen auf Be- 
fehl ihres Kontingentsherrn im eignen Armee- 
Militärwesen des Deutschen Reichs. 
  
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verordnungsblatt zu veröffentlichen sind (Reichs- 
verf. Art. 63, Abs. 5; sächsische Militärkonvention 
Art. 2; württembergische Militärkonvention Art. 
15). Bayern hat sich zwar die formelle Freiheit 
des Verordnungsrechts vorbehalten, zugleich aber 
die Verpflichtung übernommen, „in Bezug auf 
Organisation, Formation, Ausbildung und Ge- 
bühren volle Ubereinstimmung mit den für das 
Bundesheer bestehenden Normen herzustellen“ 
(Bündnisvertrag III, § 5, Ziff. 1 und 3). Die 
kaiserlichen Verordnungen ergehen unter Gegen- 
zeichnung des Reichskanzlers oder eines verant- 
wortlichen Stellvertreters desselben. 
B. Die Geschäfte der Militärverwalfung 
werden bei der Marine durchaus von eignen Or- 
ganen des Reichs, dagegen bei dem Heere in der 
Hauptsache von Organen der Bundesstaaten, durch 
die Kontingents ltungen, geführt (s. d. Art. 
Heerwesen). Nur für die militärische Strafrechts- 
pflege sind als einheitliche oberste Zentralbehörden 
Reichsorgane für Heer und Marine geschaffen 
worden, nämlich: 1) das Reichsmilitärgericht 
als gemeinsame höchste Instanz in Kriminalstraf- 
sachen. Bei demselben ist eine ständige staatsan- 
waltliche Militärbehörde, die Militäranwalt- 
schaft, errichtet. Die Militärjustizverwaltung 
bezüglich des Reichsmilitärgerichts und der Mili- 
täranwaltschaft wird von dem Präsidenten des 
Reichsmilitärgerichts, der nicht Richter ist, aus- 
geübt. 2) Der Disziplinarhof bei dem 
Reichsmilitärgericht als höchste Instanz für 
Disziplinarstrafsachen der richterlichen Militär- 
justizbeamten, ausgenommen die bayrischen Mili- 
tärjustizbeamten. 3) Der Disziplinarhof 
bei dem Reichsgericht als höchste Instanz 
für Disziplinarstrafsachen der übrigen Militär- 
beamten, ausgenommen die bayrischen Militär- 
beamten. 
C. Die militärische Befehlsgewalt (Kom- 
mandogewalt) steht bezüglich der Marine dem 
Kaiser unbeschränkt zu (Reichsverf. Art. 53, Abs. 
1), ist dagegen hinsichtlich des Heeres zwischen 
Kaiser und Kontingentsherren geteilt (s. d. Art. 
Heerwesen). Die militärische Befehlsgewalt um- 
faßt die Anordnungen zur militärischen Ausbildung 
und Verwendung der bewaffneten Macht; da ihre 
Ausübung rasche und freie Entschließungen er- 
fordert, ist dieselbe an die Mitwirkung des ver- 
antwortlichen Reichskanzlers bzw. des verant- 
wortlichen Kriegsministers nicht gebunden. Die 
Abgrenzung der militärischen Befehlsgewalt von 
dem allgemeinen Verordnungs= und Verwaltungs- 
recht, dessen Ausübung nur unter Gegenzeichnung 
des Reichskanzlers bzw. des Kriegsministers er- 
folgen kann, ist mangels einer gesetzlichen Reglung 
sehr bestritten und auch literarisch noch wenig ge- 
klärt. Die Militärverwaltungen der verschiedenen 
Kontingente haben es noch zu keiner überein- 
stimmenden Ubung gebracht; so werden im preußi- 
schen Kontingent nach einem Erlaß vom 18. Jan. 
1861 betr. die Gegenzeichnung der Armeebefehle 
 
	        
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