Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Dienst im Heer wird eingeteilt in die Dienstpflicht 
im stehenden Heer, altive Dienstpflicht und Re- 
servepflicht umfassend, die Landwehrpflicht und 
die Ersatzreservepflicht. Die Pflicht zum Dienst 
in der Marine zerfällt in die Dienstpflicht in der 
stehenden Marine, aktive Dienstpflicht und Ma- 
rine-Reservepflicht umfassend, die Seewehrpflicht 
und die Marine-Ersatzreservepflicht. Eine gesetzliche 
Verpflichtung zum Dienst in den Schutztruppen 
der deutschen Schutzgebiete und in der ostasiatischen 
Besatzungstruppe besteht nicht; die Ergänzung 
dieser Truppen erfolgt auf Grund freiwilliger 
Meldungen (Schutztruppenordnung vom 25. Juli 
1898, §6; vgl. auch Laband, Staatsrecht des 
Deutschen Reichs IV 147). Die Dienstpflicht 
dauert vom vollendeten 20. Lebensjahr bis zum 
31. März desjenigen Kalenderjahres, in welchem 
das 39. Lebensjahr vollendet ist; während dieser 
Zeit gehört der Wehrfähige sieben Jahre lang, 
in der Regel vom vollendeten 20. bis zum be- 
ginnenden 28. Lebensjahre dem stehenden Heere 
oder der stehenden Marine, und zwar die ersten 
drei Jahre bei den Fahnen, die letzten vier Jahre 
in der Reserve, die folgenden fünf Jahre der Land- 
wehr oder Seewehr ersten Aufgebots und sodann 
der Landwehr oder Seewehr zweiten Aufgebots 
an. Die Ersatzreserve und Marine-Ersatzreserve 
dienen zur Ergänzung des Heeres und der Marine 
bei Mobilmachungen und zur Bildung von Ersatz- 
truppenteilen; die Ersatzreservepflicht und Marine- 
Ersatzreservepflicht dauert zwölf Jahre, gerechnet 
vom 1. Okt. desjenigen Kalenderjahres, in welchem 
das 20. Lebensjahr vollendet wird; nach Ablauf 
dieser Zeit treten die Ersatzreservisten, welche geübt 
haben, zur Landwehr zweiten Aufgebots, die 
übrigen Ersatzreservisten zum Landsturm ersten 
Aufgebots über, während die Marine-Ersatz- 
reservisten nach erfolgter militärischer Ausbildung 
je nach ihrem Alter zur Marinereserve oder See- 
wehr ersten Aufgebots übertreten. Diese Bestim- 
mungen über die Dauer der Dienstpflicht gelten 
übrigens nur für den Frieden; im Kriege finden, 
da hier allein das militärische Bedürfnis maß- 
gebend ist, Übertritte von einer Kategorie des 
Dienstes zur andern, z. B. vom stehenden Heer 
zur Landwehr, von der Landwehr ersten Auf- 
gebots zur Landwehr zweiten Aufgebots oder Ent- 
lassungen, nicht statt (Reichsverf. Art. 59, 63; 
Wehrgesetz vom 9. Nov. 1867, 8 14; Wehr- 
gesetz vom 11. Febr. 1888, Art. 1 und 2, 
88 5, 8/22). — 1) Aktive Dienstpflicht. 
Die für bürgerliche wie militärische Interessen 
gleich wichtige Hauptfrage betrifft die Bemessung 
ihrer gesetzlichen Dauer. Der politische Kampf 
wird um die gesetzliche Festsetzung einer zwei- 
jährigen Dauer der aktiven Dienstpflicht ge- 
führt. Preußen hat in seinem Wehrgesetz von 
1814 die dreijährige aktive Dienstzeit eingeführt 
und im Gesetz nie aufgegeben, wenngleich 1833 
bis 1852 nur zweijährige, 1852/57 nur zwei- 
undeinhalbjährige Dienstzeit durchgeführt wurde. 
Militärwesen des Deutschen Reichs. 
  
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Die Frankfurter Nationalversammlung brachte es 
zu keiner Lösung dieser Frage; der oben erwähnte, 
vom Ausschuß ausgearbeitete Gesetzentwurf schlug 
vor: für die Infanterie höchstens 1 ½ Jahre 
Dienstzeit, davon wenigstens 6 Monate ohne 
Unterbrechung zur ersten Ausbildung; für die 
Reiterei und Artillerie höchstens 3 Jahre Dienst- 
zeit, davon wenigstens 2 Jahre ununterbrochen 
für die erste Ausbildung; für die Genietruppen 
2½ Jahre fortlaufende Dienstzeit. Der Prinz 
von Preußen sprach sich in dem angeführten Pro- 
memoria für mindestens zweijährige ununter- 
brochene Dienstzeit bei der Infanterie, dreijährige 
Dienstzeit bei den übrigen Truppengattungen aus. 
Der Kampf um die zweijährige Präsenzzeit, welchen 
die Fortschrittspartei 1861/65 im preußischen Ab- 
geordnetenhaus führte, war erfolglos. Unter dem 
Eindruck der militärischen Erfolge des Krieges von 
1866 erklärte sich bei Beratung der Verfassung des 
Norddeutschen Bundes die nationalliberale Frak- 
tion für die von dem Abgeordneten Frhr v. Moltke 
warm befürwortete dreijährige Dienstzeit, und die 
Fortschrittspartei begnügte sich mit einem Antrag, 
welcher unter Anerkennung der dreijährigen Dienst- 
zeit eine Abkürzung der Dienstzeit künftiger gesetz- 
licher Reglung vorbehalten wollte (Amendement 
v. Forckenbeck: „bei den Fahnen höchstens die 
ersten drei Jahre“). Ubrigens kam auch jetzt die 
dreijährige Dienstzeit nie voll zur Durchführung, 
da die Rekruten nicht sofort nach der Entlassung 
der Reserden einberufen wurden (Rekrutenvakanz) 
und ein erheblicher Teil der Mannschaften schon 
nach zweijährigem Dienst zur Disposition beur- 
laubt wurde (Königsurlauber). Die Bemessung 
der Dauer der Rekrutenvakanz und der Zahl der 
Dispositionsurlauber hing von den finanziellen 
und politischen Verhältnissen ab. In der Zeit 
der Pauschalwirtschaft, 1867/74, half sich die 
Militärverwaltung behufs Einhaltung der Pau- 
schalsumme sogar durch beträchtliche Winterbeur- 
laubungen. Der erste kräftige Vorstoß, welcher 
im Reichstag zugunsten der zweijährigen Dienst- 
zeit unternommen wurde, ging von der Zentrums- 
fraktion aus bei Gelegenheit der Beratung des 
Militärgesetzes (v. Mallinckrodt 27. Febr. 
und 14. April 1874). Von da ab gab jede Vor- 
lage über die Friedenspräsenzstärke Anlaß zu er- 
neuter Geltendmachung des Verlangens nach Ab- 
kürzung der aktiven Dienstzeit, bis es dem Abge- 
ordneten Dr Windthorst bei Beratung des Ge- 
setzes über die Friedenspräsenzstärke vom 15. Juli 
1890 gelang, von den verbündeten Regierungen 
die Zusage einer Vermehrung der Dispositions- 
urlauber um jährlich 6000 Mann zu erlangen und 
die Mehrheit des Reichstags in einer Resolution 
zu vereinigen, welche ernstliche Erwägung einer 
Einführung der zweijährigen Dienstzeit bei den 
Fußtruppen forderte. Die Zahl der Dispositions- 
urlauber, welche 35 % der eingestellten Mann- 
schaften betrug, erreichte damit 39 % der Einge- 
stellten, so daß, da noch weitere 6 % sonstiger
	        
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