1193
Was den Ursprung der Monarchie betrifft,
so scheint es am nächsten zu liegen, denselben aus
der Familie herzuleiten. Aus eignem Recht, und
solange er lebt, ist der Hausvater die oberste Autori-
tät. Weil er der Vater ist, herrscht er über Weib
und Kinder. Aber daraus folgt trotzdem nicht,
daß jedes monarchische Staatswesen unmittelbar
aus dem Familienverhältnis müsse hervorgegangen
sein. Denn zunächst ist die Familie als solche noch
kein Staat, und sie wird es auch nicht, wenn sich
das einzelne Hauswesen zur Sippe und zum
Stamme erweitert, solange das Bewußtsein der
Zusammengehörigkeit allein auf dem Familien-
und Stammesgefühl beruht. Ein Staat ist erst
gegeben, wo sich ein Menschheitskomplex unab-
hängig von Familienbanden, und deshalb auch
darüber hinausgreifend, in Anerkennung einer für
alle Glieder gemeinsamen Wohlfahrt und einer für
alle gültigen Rechtsordnung zu einem Ganzen zu-
sammenschließt. Alsdann kann allerdings der an
der Spitze stehende Herrscher, das anerkannte
Staatshaupt, ursprünglich Familienhaupt ge-
wesen sein; der Patriarch (s. d. Art. Patriarchie),
der zuerst nur über Kinder und Kindeskinder seine
hausväterliche Gewalt ausübte, kann zum König
geworden sein, weil etwa fremde, schwächere
Stämme,die sich anschlossen, bereitwillig sich da-
mit seiner Autorität unterwarfen, oder auch, weil
während seines langen, mehrere Generationen
umfassenden Lebens die Familienbande unter den
zahlreichen Nachkommen sich naturgemäß gelockert
und das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit
jenen veränderten Charakter angenommen hatte.
Mit dem Staat zugleich entstand auf solche Weise
eine Monarchie; die lange Gewöhnung an die
vorgefundene Autorität trug wesentlich zu ihrer
Befestigung bei; die Verehrung, welche den Pa-
triarchen umgeben hatie, hob den König in eine
höhere Sphäre, und es konnte wohl auch als
selbstverständlich erscheinen, daß die endlich durch
den Tod hervorgerufene Lücke von demjenigen
ausgefüllt wurde, welcher dem Verstorbenen wäh-
rend seines Lebens am nächsten gestanden hatte,
von seinem ältesten Sohn also, wenn ein solcher
vorhanden war. Immerhin aber wird doch auch
da, wo man sich das monarchische Staatswesen
aus der Familie hervorgegangen denkt, beim
Thronwechsel der persönliche Wert des Nach-
folgers von Bedeutung gewesen sein, und ehe der
Erbgang gesetzlich geregelt war, die größere kör-
perliche oder geistige Tüchtigkeit den Ausschlag
gegeben haben. — Den ausschließlichen Bestim-
mungsgrund aber gab der persönliche Wert in
den ohne Frage weit zahlreicheren Fällen ab, in
denen ein monarchisches Staatswesen aus dem
Kriege hervorging. Das Bedürfnis gemeinsamer
Abwehr feindlicher Angriffe verknüpfte bis dahin
gesonderte gesellschaftliche Elemente zu einem ein-
heitlichen Ganzen, ebenso führten Eroberungs-
züge, unternommen, um bessere Wohnsitze und
fruchtbareren Boden zu gewinnen, zur Bildung
Monarchie.
1194
von Staaten. Einheitliche Leitung aber, Manns-
zucht und willige Unterwerfung unter die Befehle
des Vorgesetzten sind im Kriege die unerläßlichen
Bedingungen des Erfolges; je länger die Kriegs-
gefahr dauert, je mehr sich in ihr das Verdienst
des Heerführers bewährt, desto näher wird es
liegen, daß er auch nach dem Eintritte friedlicher
Zustände die oberste Gewalt in Händen behält.
Der Erretter des Volkes, der ruhmgekrönte Kriegs-
held wird zum König, und der Vorrang in alle-
dem, worauf kriegerische Tugend beruht, Tapfer-
keit und Stärke, Ausdauer und Umsicht, gibt den
Anspruch darauf, zum König berufen zu werden.
Bei den Athiopiern wurde nach Herodot der körper-
lich Größte König. Saul überragte um Hauptes-
länge alles Volk Israel; noch Wilhelm dem Er-
oberer war es förderlich, daß er einen Bogen
im Galopp spannen konnte, den kein anderer
stehend zu handhaben vermochte.
2. Verschiedene Formen. Auf solche
Weise mag man sich das erste Aufkommen der
Monarchie in den Urzeiten vorstellen. Späterhin
konnte sich dann die Errichtung einer monarchischen
Verfassung in einem bestimmten Lande und die
Berufung einer einzelnen Persönlichkeit zur Herr-
schaft unter sehr mannigfaltigen Umständen und
aus sehr verschiedenen Beweggründen vollziehen.
Ebenso erhellt bereits aus dem gleich zu Anfang
Gesagten, daß auch die Formen, in denen
hierbei der monarchische Gedanke seine Verwirk-
lichung gefunden hat, sehr verschieden gewesen
sind. Es mag auf sich beruhen, ob wirklich, wie
manche geglaubt haben, die gleichmäßig wieder-
kehrende Reihenfolge dieser Formen in der Ge-
schichte der verschiedenen Völker eine naturgesetz-
liche Entwicklung der Monarchie erkennen lasse.
Der Ablauf der Begebenheiten und der Wechsel
der Zustände widerstreiten in der Regel den An-
forderungen einer systematischen Gliederung und
lassen sich nur gezwungen und unter Anerkennung
zahlreicher Ausnahmen derselben einordnen. Da-
gegen ist es für das Verständnis ihres Wesens
von Wichtigkeit, die hauptsächlichen Formen, in
denen die Monarchie tatsächlich aufgetreten ist, des
näheren zu betrachten.
Dererste und am meisten in die Augen springende
Unterschied ist der zwischen unbeschränkter
(absoluter) und beschränkter Monarchie. In
der ersteren ist der Monarch der ausschließliche
Träger der vollen Staatsgewalt; in der Bestim-
mung der staatlichen Aufgaben wie in der Wahl
der ihrer Erfüllung dienenden Mittel ist er allein
von seinem Ermessen abhängig. Daß sich auch hier
noch verschiedene Stufen und Phasen unterscheiden
lassen, ist anderwärts gezeigt worden (s. d. Art.
Absolutismus). Bezüglich der beschränkten Mon-
archie ergibt sich ein weiterer Unterschied, je nach-
dem die Beschränkung den Umfang der Staats-
gewalt oder die Ausübung derselben betrifft. Man
kann sich eine Einrichtung denken, durch welche
dem Monarchen freie Verfügung über die in seiner