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ein unantastbares Gesetz bei der Reglung der
Erbfolge, und aus den fürstlichen Dienern sind
überall Beamte des Staates geworden; aber die
Beurteilung, welche die Rechtsansprüche deposse-
dierter Dynastien bis in die Gegenwart hinein da
und dort gefunden haben, verrät noch deutlich die
Nachwirkung der älteren Anschauungsweise, welche
die Begriffe des Privatrechts auf öffentliche In-
stitutionen überträgt.
Völlig ein anderer ist der Grundgedanke der
Lehnsmonarchie; von dem des modernen
Staates ist er freilich nicht weniger verschieden.
Alles beruht hier auf dem persönlichen, durch
einen Eidschwur bekräftigten Verhältnis, welches
den obersten Lehnsherrn mit seinen Vassallen ver-
bindet. Die persönliche Treue, welche die Seele
jener schon von Tacitus geschilderlen germanischen
Gefolgschaften gebildet hatte, ist hier zum obersten
Staatsbegriff erhoben. Diese Treue ist eine gegen-
seitige: der Herr ist dem Vassallen ganz ebenso zur
Treue verbunden wie dieser ihm. Der König hat
seine Macht von Gott zu Lehen erhalten, von ihm
sodann leiten die niederen Herren in geordneter
Stufenfolge die ihre ab, und zwar nicht so, daß
sie dadurch Beamte des Staates, Organe der Re-
gierung würden, sondern sie erhalten die Gewalt
für ihre bestimmt abgegrenzte Sphäre zu eignem
Gebrauch und Genuß. Daher die Erblichkeit der
Lehnsämter in einzelnen Familien. Der König
kann sich ebensowenig weigern, dem erbberechtigten
Vassallen die Herrschaft zu verleihen, wie es ihm
gestattet ist, in die Sphäre der einmal verliehenen
Herrschaft leitend oder beschränkend einzugreifen.
Hierin und mehr noch in dem Bestreben, die ge-
samten Eigentumsverhältnisse in das Lehnssystem
einzugliedern, dem König ein Obereigentum über
das ganze Land zuzuweisen und alle Einzelgüter,
nicht nur die wirklich verliehenen, als von ihm
abgeleiteten Besitz zu bezeichnen, zeigt sich eine
Verquickung mit dem Patrimonialprinzip, welche
in dem eignen Wesen der Lehnsmonarchie nicht
notwendig eingeschlossen lag. Niemand wird ernst-
haft in Abrede stellen, daß uns in derselben eine
ebenso eigenartige als groß gedachte Institution
entgegentritt. Ebenso aber leuchtet ein, daß sie
sich nur so lange auf ihrer Höhe halten konnte,
als jene ihre Seele, die gegenseitige persönliche
Treue, lebendig blieb. Wurde dieses Band ge-
lockert, so mußte die Zersplitterung der Staats-
gewalt in zahlreiche selbständige Machtsphären
die Einheit des Staates selbst gefährden und
einen Antagonismus zwischen der Krone und einer
übermächtigen Aristokratie erzeugen. Anderseits
wird man auch heute noch in einem Verhältnis
persönlicher Treue zwischen dem König und den
ihm nahestehenden hohen Würdenträgern, da wo
es sich findet, ein wertvolles Vermächtnis der
Bäterzeit zu erblicken haben.
Der bekannte Ausspruch Friedrichs II. von
Preußen, der König sei der erste Diener des
Staates, bezeichnet in absichtlicher Schärfe die
Monarchie.
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völlig veränderte Stellung des Königtums im
modernen Staatsleben. Da ist nicht mehr von
einem höheren Rechte des Fürsten, nicht mehr von
Besitz und Eigentum, nicht einmal von einem Ver-
hältnis zwischen Person und Person die Rede,
sondern das unpersönliche Staatsganze erscheint
allein als das Höhere. Der König ist nur ein
Glied, wenn auch das erste und vornehmste Glied,
in der Organisation dieses Ganzen, das König-
tum eine im öffentlichen Interesse ausgeübte Funk-
tion. Ob aber damit nicht der Monarchie im
Grunde der Boden entzogen wird? Wenn das
allumfassende Staatsganze allein ein Höheres ist,
was kann es dann noch für einen Sinn haben,
einer Einzelperson die bevorrechtete Stellung an-
zuweisen, welche das Königtum in jeder Gestalt
mit sich bringt und auf welche zu verzichten
Friedrich II. sicherlich am wenigsten gewillt war?
Oder vielmehr, wenn die veränderte Denkweise
den Fürsten in eine gewisse Abhängigkeit vom
Staatsganzen bringt, wie verträgt sich dies mit
der oben gegebenen Definition, welche es als ent-
scheidendes Merkmal der Monarchie bezeichnete,
daß das Staatsoberhaupt die in seinen Händen
befindliche Gewalt aus eignem Rechte besitze?
Frühere Zeiten glaubten an den höheren Ursprung
der Monarchie, an eine irgendwie nähere Be-
ziehung des Königs zu Gott, und dies genügte,
um daraus die Pflicht der Ehrerbietung gegen
seine Person und des Gehorsams gegenüber seinen
Befehlen herzuleiten. Aber die Publizisten des
17. Jahrh. mühten sich vergebens, diesem Glau-
ben eine Art von rationeller oder wissenschaftlicher
Begründung zu geben. Wenn sie sich mit Vor-
liebe auf das Alte Testament beriefen, so konnten
doch die angezogenen Stellen eben das nicht be-
weisen, was vor allem hätte bewiesen werden
müssen, nämlich: daß bestimmte Einrichtungen
des jüdischen Volkes und gewisse Vorgänge in
seiner unter spezieller göttlicher Leitung verlaufen-
den Geschichte ein für alle Zeiten und Völker gül-
tiges Gesetz aussprächen. Das Neue Testament
aber schärft nur die allgemeine Lehre ein, daß jede
öffentliche Gewalt von Gott kommt, die königliche
also nicht mehr und nicht in anderer Weise. David
Strauß hat die Monarchie ein Mysterium genannt,
an das wir noch glauben und noch glauben sollen,
nachdem alle Mysterien des Christentums, ja selbst
der Glaube an Gott über Bord geworfen sind.
So wäre sie also einer Rechtfertigung vor der
Vernunft nicht fähig? Dennoch hat der Bestand
der monarchischen Verfassungsform den Glauben
an eine höhere Weihe derselben überdauert. Lebens-
kräftige republikanische Gemeinwesen haben längst
den Nachweis erbracht, daß die Monarchie nicht
die einzige Staatsform ist, sondern nur eine neben
andern mögliche; aber hervorragende Kulturvölker
sind ihr trotzdem treu geblieben und denken nicht
daran, sie abzuschaffen. Ja man kann die Bemer-
kung machen, daß die Gegnerschaft gegen die Mon-
archie an Schärfe verloren hat. Ausbrüche revo-