Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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ein unantastbares Gesetz bei der Reglung der 
Erbfolge, und aus den fürstlichen Dienern sind 
überall Beamte des Staates geworden; aber die 
Beurteilung, welche die Rechtsansprüche deposse- 
dierter Dynastien bis in die Gegenwart hinein da 
und dort gefunden haben, verrät noch deutlich die 
Nachwirkung der älteren Anschauungsweise, welche 
die Begriffe des Privatrechts auf öffentliche In- 
stitutionen überträgt. 
Völlig ein anderer ist der Grundgedanke der 
Lehnsmonarchie; von dem des modernen 
Staates ist er freilich nicht weniger verschieden. 
Alles beruht hier auf dem persönlichen, durch 
einen Eidschwur bekräftigten Verhältnis, welches 
den obersten Lehnsherrn mit seinen Vassallen ver- 
bindet. Die persönliche Treue, welche die Seele 
jener schon von Tacitus geschilderlen germanischen 
Gefolgschaften gebildet hatte, ist hier zum obersten 
Staatsbegriff erhoben. Diese Treue ist eine gegen- 
seitige: der Herr ist dem Vassallen ganz ebenso zur 
Treue verbunden wie dieser ihm. Der König hat 
seine Macht von Gott zu Lehen erhalten, von ihm 
sodann leiten die niederen Herren in geordneter 
Stufenfolge die ihre ab, und zwar nicht so, daß 
sie dadurch Beamte des Staates, Organe der Re- 
gierung würden, sondern sie erhalten die Gewalt 
für ihre bestimmt abgegrenzte Sphäre zu eignem 
Gebrauch und Genuß. Daher die Erblichkeit der 
Lehnsämter in einzelnen Familien. Der König 
kann sich ebensowenig weigern, dem erbberechtigten 
Vassallen die Herrschaft zu verleihen, wie es ihm 
gestattet ist, in die Sphäre der einmal verliehenen 
Herrschaft leitend oder beschränkend einzugreifen. 
Hierin und mehr noch in dem Bestreben, die ge- 
samten Eigentumsverhältnisse in das Lehnssystem 
einzugliedern, dem König ein Obereigentum über 
das ganze Land zuzuweisen und alle Einzelgüter, 
nicht nur die wirklich verliehenen, als von ihm 
abgeleiteten Besitz zu bezeichnen, zeigt sich eine 
Verquickung mit dem Patrimonialprinzip, welche 
in dem eignen Wesen der Lehnsmonarchie nicht 
notwendig eingeschlossen lag. Niemand wird ernst- 
haft in Abrede stellen, daß uns in derselben eine 
ebenso eigenartige als groß gedachte Institution 
entgegentritt. Ebenso aber leuchtet ein, daß sie 
sich nur so lange auf ihrer Höhe halten konnte, 
als jene ihre Seele, die gegenseitige persönliche 
Treue, lebendig blieb. Wurde dieses Band ge- 
lockert, so mußte die Zersplitterung der Staats- 
gewalt in zahlreiche selbständige Machtsphären 
die Einheit des Staates selbst gefährden und 
einen Antagonismus zwischen der Krone und einer 
übermächtigen Aristokratie erzeugen. Anderseits 
wird man auch heute noch in einem Verhältnis 
persönlicher Treue zwischen dem König und den 
ihm nahestehenden hohen Würdenträgern, da wo 
es sich findet, ein wertvolles Vermächtnis der 
Bäterzeit zu erblicken haben. 
Der bekannte Ausspruch Friedrichs II. von 
Preußen, der König sei der erste Diener des 
Staates, bezeichnet in absichtlicher Schärfe die 
Monarchie. 
  
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völlig veränderte Stellung des Königtums im 
modernen Staatsleben. Da ist nicht mehr von 
einem höheren Rechte des Fürsten, nicht mehr von 
Besitz und Eigentum, nicht einmal von einem Ver- 
hältnis zwischen Person und Person die Rede, 
sondern das unpersönliche Staatsganze erscheint 
allein als das Höhere. Der König ist nur ein 
Glied, wenn auch das erste und vornehmste Glied, 
in der Organisation dieses Ganzen, das König- 
tum eine im öffentlichen Interesse ausgeübte Funk- 
tion. Ob aber damit nicht der Monarchie im 
Grunde der Boden entzogen wird? Wenn das 
allumfassende Staatsganze allein ein Höheres ist, 
was kann es dann noch für einen Sinn haben, 
einer Einzelperson die bevorrechtete Stellung an- 
zuweisen, welche das Königtum in jeder Gestalt 
mit sich bringt und auf welche zu verzichten 
Friedrich II. sicherlich am wenigsten gewillt war? 
Oder vielmehr, wenn die veränderte Denkweise 
den Fürsten in eine gewisse Abhängigkeit vom 
Staatsganzen bringt, wie verträgt sich dies mit 
der oben gegebenen Definition, welche es als ent- 
scheidendes Merkmal der Monarchie bezeichnete, 
daß das Staatsoberhaupt die in seinen Händen 
befindliche Gewalt aus eignem Rechte besitze? 
Frühere Zeiten glaubten an den höheren Ursprung 
der Monarchie, an eine irgendwie nähere Be- 
ziehung des Königs zu Gott, und dies genügte, 
um daraus die Pflicht der Ehrerbietung gegen 
seine Person und des Gehorsams gegenüber seinen 
Befehlen herzuleiten. Aber die Publizisten des 
17. Jahrh. mühten sich vergebens, diesem Glau- 
ben eine Art von rationeller oder wissenschaftlicher 
Begründung zu geben. Wenn sie sich mit Vor- 
liebe auf das Alte Testament beriefen, so konnten 
doch die angezogenen Stellen eben das nicht be- 
weisen, was vor allem hätte bewiesen werden 
müssen, nämlich: daß bestimmte Einrichtungen 
des jüdischen Volkes und gewisse Vorgänge in 
seiner unter spezieller göttlicher Leitung verlaufen- 
den Geschichte ein für alle Zeiten und Völker gül- 
tiges Gesetz aussprächen. Das Neue Testament 
aber schärft nur die allgemeine Lehre ein, daß jede 
öffentliche Gewalt von Gott kommt, die königliche 
also nicht mehr und nicht in anderer Weise. David 
Strauß hat die Monarchie ein Mysterium genannt, 
an das wir noch glauben und noch glauben sollen, 
nachdem alle Mysterien des Christentums, ja selbst 
der Glaube an Gott über Bord geworfen sind. 
So wäre sie also einer Rechtfertigung vor der 
Vernunft nicht fähig? Dennoch hat der Bestand 
der monarchischen Verfassungsform den Glauben 
an eine höhere Weihe derselben überdauert. Lebens- 
kräftige republikanische Gemeinwesen haben längst 
den Nachweis erbracht, daß die Monarchie nicht 
die einzige Staatsform ist, sondern nur eine neben 
andern mögliche; aber hervorragende Kulturvölker 
sind ihr trotzdem treu geblieben und denken nicht 
daran, sie abzuschaffen. Ja man kann die Bemer- 
kung machen, daß die Gegnerschaft gegen die Mon- 
archie an Schärfe verloren hat. Ausbrüche revo- 
 
	        
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