Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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in den Manufalturen, 4. März 1840). An innerer 
Bedeutung und einschneidender Kraft werden diese 
Reden überboten durch die über die Unterrichts- 
freiheit (1. März 1842, 26. April bis 7. Mai 
1844, 10./20. Mai 1844, 14. April 1845 und 
9. Jan. 1846), die Freiheit der Kirche (16. April 
1844, 21. Mai 1844, 183./14. Jan. 1845), die 
Freiheit der religiösen Orden (8. Mai 1844), 
insbesondere die Jesuiten (11./12. Juni 1845, 
15. Juli 1845). 
Zum erstenmal seit dem Beginn des 19. Jahrh. 
erhob sich unter den Katholiken unter Monta- 
lemberts Führung eine breite volkstümliche 
Bewegung für die Sicherung ihrer Glaubens- 
und Gewissensfreiheit auf Grund der Verfassung 
und ihrer Bestimmungen im Angesichte des neuen 
Rechts, jenes liberalen Staates, der selbst keinen 
Gott kennen, keine offizielle Religion haben und 
doch die katholischen Gewissen, Papst und Bischof 
regieren, ihnen die sog. gallikanischen Freiheiten 
auferlegen, staatsrätliche Jurisdiktion in Sachen 
des Glaubens und der Sitten ausüben, eine dem 
Glauben und der Sittlichkeit entfremdete Unter- 
richts- und Erziehungsgewalt aufzwingen und die 
von der Kirche gutgeheißenen Orden unterdrücken 
wollte. Montalembert kam immer wieder auf die 
Notwendigkeit einer organisierten Abwehr der hier 
drohenden Gefahren zurück. In der als „katho- 
lisches Manifest“ bezeichneten Rede vom 16. April 
1844 sagte Montalembert: „In diesem Frank- 
reich, das gewohnt ist, nur Leute von Geist und 
Herzhervorzubringen, sollten wir Katholiken allein, 
ganz allein uns zu Schwachköpfen und Feiglingen 
erniedrigen lassen? Wir sollten uns für so ver- 
kommene, so entartete Söhne unserer Väter halten, 
daß wir unsere Vernunft an den Rationalismus, 
unser Gewissen an die Universität, unsere Frei- 
heit und Würde jenen Advokaten überantworten 
müßten, deren Haß gegen die Freiheit der Kirche 
nur der vollendeten Unwissenheit in Sachen der 
kirchlichen Rechte und Dogmen gleichkommt? Ich 
sage im Namen der Katholiken gleich mir, im 
Namen der Katholiken des 19. Jahrh.: Mitten 
in einem freien Lande wollen wir keine Heloten 
sein. Wir sind die Nachkommen der Märtyrer, 
wir zittern nicht vor denen Julians des Apostaten. 
Wir sind die Söhne der Kreuzfahrer und werden 
nicht weichen vor den Söhnen Voltaires.“ Gegen- 
über der alle Tiefen der öffentlichen Meinung auf- 
regenden liberalen Agitation hielt Montalembert 
mit hohem Mute und seltener Kraft aus; er er- 
reichte zwar in Sachen der Jesuiten, wie die 
Mission Rossis nach Rom zeigte, nicht alles; aber 
was er in der Beseitigung zahlloser Vorurteile 
bei den gerechter Denkenden seiner Landsleute, in 
dem Schwanken der zur Anderung ihrer Unter- 
richtspolitik zweimal, 1844 und 1847, gezwunge- 
nen Regierung und vor allem in der Hebung und 
Stärkung der katholischen Volksbewegung erreichte, 
war groß, so groß, daß er unter Zustimmung des 
Episkopates nach Gründung des „Komitees für 
Montalembert. 
  
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die Verteidigung der religiösen Freiheit“ zur 
regelrechten Organisation der Wahlen, der katho- 
lischen Presse und des Vereinswesens schreiten 
konnte angesichts des immer deutlicher sich an- 
zeigenden Sturmes, der nicht, wie die Doktrinäre 
träumten, gegen die Kirche und ihre Ordnung, 
sondern gegen die Fundamente alles gesellschaft- 
lichen Lebens sich richten sollte. Am 14. Jan. 
1848 hatte Montalembert die Pairs nachdrücklich 
auf die Symptome des Sturmes „in drei Mo- 
naten“ hingewiesen; daß derselbe schon in weniger 
als einem Monat da war, die Februarrevo- 
lution, überraschte ihn, aber drängte ihn nicht 
von der betretenen Bahn ab. 
Als Montalembert, im Departement du Doubs 
für die Constituante gewählt, nun als Volksver- 
treter in das Luxembourg einzog und Louis Blanc 
ihn am Präsidentenstuhle höhnisch begrüßte, wurde 
ihm die veränderte Lage vollends klar: es 
handelte sich nicht mehr bloß um die Freiheit, 
sondern um die Ordnung schlechthin. Die Regie- 
rung der gehässigen, kleinlichen, verfolgungs- 
süchtigen Politik gegen die Katholiken war zurück- 
getreten; die katholische Opposition war geachtet 
bis in die Reihen der Radikalen. „In dieser so 
großen und so unvorhergesehenen Umwälzung“, 
rief Montalembert (28. Febr. 1848), „haben vor 
allen wir Katholiken nichts zu ändern. Unsere 
Rechte, unsere Pflichten, unsere Interessen bleiben 
dieselben. Keiner unter uns hat das Recht, abzu- 
danken. Die Erkämpfung aller politischen und 
sozialen Freiheiten für all unsere Mitbürger ist 
unsere heilige, nationale, christliche Pflicht.“ Der 
Bergpartei rief er auf die erneute Verhöhnung zu, 
er könne der Gegner oder auch das Opfer der 
zweiten Republik werden, aber nie ihr Mitschul- 
diger oder ihr Lakai. Der entschlossene Kampf 
gegen den Umsturz sah ihn demgemäß stets in 
erster Reihe. Gelegentlich des Art. 8 des neuen 
Verfassungsentwurfs forderte er jetzt (18. bis 
20. Sept. 1848) Verfassungsgarantie für die 
Unterrichtsfreiheit. Am 30. Nov. 1848 und noch- 
mals am 19. Okt. 1849 erhob er sich zu einem 
der größten Triumphe parlamentarischer Rede mit 
entscheidendem Erfolge für die Intervention in 
Italien und die römische Expedition zugunsten 
Pius' IX. mit Berufung auf die moralische Hoheit 
und Gewalt des Papsttums. Er verlangte die 
Anwendung des allgemeinen Stimmrechts in den 
Landkommunen (17. Febr. 1849), die Unabsetz- 
barkeit der Richter (10. April 1849), die Freiheit 
der Presse (21. Juli 1849), die Wahlreform 
(28. Juni 1850), das entschiedenste Eintreten 
für die Unterrichtsfreiheit auf Grund des vom 
Grafen Falloux am 18. Juni 1849 eingebrachten 
Unterrichtsgesetzes. Am 15. März 1850 wurde 
der Fallouxsche Entwurf Gesetz, ein Kompromiß= 
gesetz zwischen Thiers, Saint-Marc Girardin, 
Cousin, Dupanloup, welches auf ein halbes Jahr- 
hundert wenigstens die Alleinherrschaft des Unter- 
richtsmonopols zugunsten der Katholiken brach, 
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