Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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1862 den nachteiligen Frieden von Skutari schlie- 
ßen, der den Türken eine befestigte Etappenlinie 
durch Montenegro gewährte. Als 1875 der Auf- 
stand in Bosnien ausbrach, verbündete sich Niko- 
laus mit Serbien und führte 1876/78 selbst glück- 
lich den Krieg gegen die Türken. Auf dem Ber- 
liner Kongreß erhielt Montenegro (13. Juli 1878) 
die Anerkennung seiner Unabhängigkeit und eine 
Vergrößerung auf mehr als das doppelle seines 
bisherigen Gebietes, darunter den Hafen Antivari 
(und damit Zutritt zum Meere), jedoch unter den 
Kanonen der österreichischen Festung Spizza; nach 
Art. 29 des Berliner Vertrags blieb es hinsicht- 
lich der Küstenpolizei Osterreich unterstellt und 
durfte keine Kriegsschiffe halten und die Küste 
nicht befestigen. An Stelle der Distrikte Gusinje 
und Plava, deren Abtretung sich die Albanesen 
widersetzten, erhielt Montenegro nach einer Flotten- 
demonstration der Mächte am 12. Okt. 1880 
Duleigno. Als Osterreich= Ungarn Okt. 1908 
Bosnien und Hercegovina annektierte, protestierte 
auch Montenegro und verbündete sich für den 
Kriegsfall mit Serbien, dessen Ansprüche auf einen 
territorialen Zusammenhang Serbiens und Mon- 
tenegros es unterstützte; außerdem forderte Mon- 
tenegro von Osterreich Verzicht auf Art. 29 des 
Berliner Vertrags. Osterreich gestand April 1909 
diesen Punkt zu, lehnte aber alle andern Forde- 
rungen, wie die Räumung von Spizza, ab und 
setzte die Beibehaltung der Bestimmung durch, daß 
Antivari nicht in einen Kriegshafen verwandelt 
werden darf. Durch die Tüchtigkeit seines Herr- 
schers und seines Heeres und die dynastischen Be- 
ziehungen zu Rußland und Italien ist Monte- 
negro trotz seines kleinen Gebietes ein nicht zu 
verachtender Faktor in der Balkanpolitik geworden. 
— Das innere Staatswesen wurde unter Niko- 
laus durch Trennung von Hof= und Staatshaus- 
halt, von Gericht und Verwaltung, Einsetzung 
eines Ministeriums, Rechtskodifikation usw. mo- 
dernisiert. 6./19. Dez. 1905 erließ er eine konsti- 
tutionelle Verfassung. Die erste gewählte Skup- 
tschina. in der die Radikalen mit großserbischer Ten- 
denz die Mehrheit hatten, wurde nach wiederholten 
Konflikten mit dem Fürsten und dreimaligem 
Wechsel des Ministeriums Juli 1907 aufgelöst, 
und durch die Neuwahlen wurde eine gefügige 
Kammer geschaffen. 
2. Bevölkerung. Montenegro hat auf einem 
Flächenraumvon 9080 qkm (nachamtlicher Angabe 
nur 8433) an 250 000 Einwohner (27 auf lkm), 
größtenteils von unvermischt serbischer Abstam- 
mung; an 228 500 sind Griechisch-Orthodoxe, 
12500 Katholiken (meist Albanesen), 14000 
Mohammedaner. Die Zahl der Montenegriner 
im Ausland beträgt an 15 000, die in Osterreich, 
Rußland, Serbien, in der Türkei, auch in Alex- 
andria und San Francisco wohnen. Hauptort 
des Landes ist Cetinje (4355 Einwohner, ohne 
Garnison), die wichtigeren Orte sind Podgorica 
(100583), Niksié (83875), Dulcigno (5081), Anti- 
Montenegro. 
  
1230 
vari (2317), Njegos (1890), Rieka (1557), 
Danilovgrad (1125 Einwohner). Überall herrscht 
noch patriarchalischer Geist in der Familie; die 
gemeinsame Wirtschaftsführung mehrerer Gene- 
rationen der gleichen Familie (Zadruga) ist in 
neuerer Zeit im Rückgange begriffen. Der Fa- 
milienälteste ist das Haupt der ganzen Zadruga; 
mehrere verwandte Zadrugen bilden eine Brüder- 
schaft (bratstvo) mit einem Glavar oder Knez 
als Vorstand, mehrere Bratstvo, die von einem 
gemeinsamen Stammvater abzustammen glauben, 
vereinigen sich zu einem Stamm (pleme), der in 
Kriegszeiten früher von einem Vojvoda (Heer- 
führer) befehligt wurde. 
3. Staatswesen. Montenegro ist eine kon- 
stitutionelle, im Mannesstamm des Hauses Petro- 
vic Njegos nach dem Recht der Erstgeburt erbliche 
Monarchie. Die Verfassung vom 6./19. Dez. 
1905 hat die Macht des Fürsten nicht wesentlich 
eingeschränkt. Der Fürst ist oberster Chef der 
Armee und Schutzherr aller anerkannten Konfes- 
sionen, er erklärt den Krieg, schließt Friedens- 
und Bundesverträge, ernennt die Beamten, be- 
ruft, vertagt und schließt die Skuptschina (in 
unbeschränkter Weise). Für Handelsverträge und 
solche Verträge, deren Durchführung irgend welche 
Zahlung aus der Staatzkasse erfordern, ist die 
Zustimmung der Skuptschina erforderlich. Die 
Zivilliste ist durch Gesetz festgelegt; sie kann ohne 
Zustimmung der Volksvertretung nicht erhöht, 
ohne die des Fürsten nicht vermindert werden. 
Die alljährlich vom Fürsten am Tag des hl. Lukas 
(18./31. Okt.) berufene Volksvertretung (Skup- 
tschina) besteht aus den vom Volk nach allgemeinem 
direkten Wahlrecht auf 4 Jahre gewählten Ver- 
tretern (je 1 für jede der 56 Kapitanien und 5 
Bezirkshauptorte), serner 12 Mitgliedern von 
Amts wegen (der Metropolit, der katholische Erz- 
bischof von Antivari, der Mufti von Montenegro, 
die Mitglieder des Staatsrats, der Vorsitzende 
des obersten Gerichtshofs und der Staatsgeneral- 
kontrolle und 3 vom Fürsten ernannte Brigadiers). 
Wahlberechtigt ist jeder volljährige Bürger Mon- 
tenegros, mit Ausnahme der aktiven Militärper- 
sonen; zur Wählbarkeit ist ein Alter von 30 Jahren, 
stabiler Aufenthalt in Montenegro und Entrich- 
tung von 15 Kronen Steuern und Abgaben er- 
fordert. Ausschließungsgründe sind strafrechtliche 
Verurteilung, Konkurs, Kuratel, Eintritt in frem- 
den Staatsdienst ohne Bewilligung der Regie- 
rung. Nicht wählbar sind die Beamten der Ver- 
waltungsbehörden (Polizei). Die Skuptschina 
teilt sich mit dem Fürsten in die gesetzgebende 
Gewalt; sie hat das Recht der Gesetzesinitiative, 
der (jährlichen) Budget-, Anleihen= und Steuer- 
bewilligung und -verweigerung. Die Abgeord- 
neten sind unverantwortlich; sie wählen bei jedem 
Sessionsbeginn in geheimer Abstimmung 1 Präsi- 
denten, 1 Vizepräsidenten und 2 Sekretäre. 
Die Minister können wegen Hochverrats, Ver- 
fassungsverletzung oder Verschwendung der Staats-
	        
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