Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Staatsanzeigen“ (1816/18) und „Unparteiischer 
Literatur= und Kirchenkorrespondent“ erscheinen 
ließ, wohnte den Konferenzen von Karlsbad und 
Wien an, wurde auf „Vortrag“ des Fürsten 
Metternich, der seine Dienste hochschätzte und viel 
in Anspruch nahm, 1826 in den Ritterstand er- 
hoben mit dem Prädikate: von Nittersdorf, und 
1827 nach Wien zurückgerufen, zum Hofrat er- 
nannt und bei der Hof= und Staatskanzlei in 
außerordentlichem Dienste verwendet. Er starb 
am 17. Jan. 1829, während ihm ein von Fr. 
Gentz zugesendetes, den Tod Fr. Schlegels be- 
richtendes Billet vorgelesen wurde. 
Nach dem Urteile der Zeitgenossen erzielte Adam 
Müller mehr Wirkung durch die Macht seines 
mündlichen Wortes als durch die Schrift; immer- 
hin aber war auch seine literarische Tätigkeit eine 
bedeutsame. Seine Hauptschriften sind folgende: 
Lehre vom Gegensatz (1804); Vorlesungen über 
die deutsche Wissenschaft u. Literatur (1806); 
Von der Idee des Staates (1809); Die Elemente 
der Staatskunst (3 Bde, 1810); Friedrich II. 
(1810); Theorie der Staatshaushaltung (2 Bde, 
1812); Vermischte Schriften über Staat, Philo- 
sophie u. Kunst (2 Bde, 1812); Versuch einer 
neuen Theorie des Geldes (1816); Studien über 
die Beredsamkeit (1817); Von der Notwendigkeit 
einer theologischen Grundlage der gesamten Staats- 
wissenschaften (1820; Neuausgabe 1898); Die 
Gewerbepolizei in Beziehung auf den Landbau 
(1824); Vorschlag zu einem historischen Ferien- 
kursus (1829). 
Die „Elemente der Staatskunst“, die jedenfalls 
als sein Hauptwerk zu gelten haben, enthalten 
folgende Grundgedanken. Der Staat bewegt sich 
in Gegensätzen wie alles, was da Leben hat im 
Bereiche der endlichen Dinge. Er ist kein bloßer 
Friedensstaat, sondern auch ein Kriegsstaat. Wäh- 
rend die Idee ihn lebensvoll erfaßt, macht der 
Begriff aus ihm ein totes Produkt der einzelnen. 
Ein solches kann er jedoch nicht sein, da die ein- 
zelnen nicht vor ihm existieren, ihn also nicht er- 
zeugen können. Es gibt keinen Naturstand vor 
dem Staate, kein Naturrecht vor dem positiven 
Rechte; alles „positive Recht ist zugleich ein natür- 
liches Recht“. Der Staat ist nicht „eine bloße 
Manufaktur, Meierei, Assekuranzanstalt oder mer- 
kantilische Sozietät; er ist die innige Verbindung 
der gesamten physischen und geistigen Bedürfnisse, 
des gesamten physischen und geistigen Reichtums, 
des gesamten innern und äußern Lebens einer 
Nation zu einem großen, energischen, unendlich 
bewegten und lebendigen Ganzen"“. Als solches 
lebendiges Ganze „ruht er ganz in sich; unab- 
hängig von menschlicher Willkür und Erfindung, 
kommt er unmittelbar und zugleich mit dem Men- 
schen eben daher, wo der Mensch kommt: aus der 
Natur — aus Gott, sagten die Alten“ (1 40, 51 
bis 52, 62, 75). 
Der Staat bewegt sich auch im Gegensatze von 
Recht und Nutzen. Er ist ein rechtliches Ge- 
Staatslexikon. III. 8. Aufl. 
  
Miüller. 
  
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meinwesen zur Wahrung des Bestehenden und ein 
ökonomisches Gemeinwesen zur Förderung der 
öffentlichen Wohlfahrt im Kampfe mit der Erde 
vermittels einer fortgehenden Umbildung des 
Rechts. Es ist Sache der höchsten Staatskunst, 
diese Gegensätze auszugleichen (I 80, 91 fl). In 
den griechischen Gesetzgebungen begegnet uns das 
Staatsrecht als besonders ausgebildet, in der mo- 
saischen der persönliche und in der römischen der 
sachliche Teil des Privatrechts. Im Mittelalter 
trat an die Stelle des römischen Rechts, dessen 
Grundsatz ist: absolut freies Privateigentum unter 
einer allbeherrschenden Zwangsgewalt, das Lehn- 
recht, dessen Grundsatz ist: Besitz gegen Dienst, 
geleistet einem Oberlehnsherrn als „Distributor 
der Gnade, die aus einer höheren Hand in seine 
gelegt ist“ (I1 56, 79 ff). Der Adel, das Bürger- 
tum mit seinen verschiedenen Zünften und In- 
nungen und der Klerus als deren ausgleichendes 
Element bildeten die drei mittelalterlichen Stände. 
Zu erstarrten, ideelosen Formen herabgesunken, 
wurden sie durch den alles atomisierenden moder- 
nen Staat verschlungen, sollen aber in verjüngter 
Gestalt wieder zu neuem Leben gebracht werden 
(I1 123/124). 
Das ökonomische Gemeinwesen im Unter- 
schiede vom rechtlichen hat es mit der Förderung 
des Nationalreichtums zu tun. Geld ist der Wert, 
welchen Sachen oder Personen für die Gesellschaft 
haben; die Größe dieses Wertes bezeichnet die 
Größe des Nationalreichtums. Dieser umfaßt 
nicht bloß die materiellen Werte, sondern auch die 
ideellen und vorzüglich die Nationalkraft, welche 
denselben eine feste Garantie gewährt und den 
Nationalkredit begründet. Der Nationalreichtum 
besteht nicht in dem von Jahr zu Jahr erzielten 
reinen Einkommen, besteht nicht, wie die moderne 
Nationalökonomie will, in bloß materiellen Gütern 
des bürgerlichen Standes und insbesondere nicht 
nach Maßgabe des Systems von Adam Smith 
nur in solchen materiellen Gütern, welche Pro- 
dukte industrieller Arbeit sind, im freien Spiele 
der individuellen Kräfte und in freiem, durch keine 
Schranken beengtem Umsatze derselben (II 192ff, 
222 ff). Sowohl das rechtliche wie das wirtschaft- 
liche Staatsleben aber hat zu seiner Voraussetzung 
die — Religion. Staatsrechte und Staatspflichten 
sind nur Abteilungen aus einer über den Staaten 
waltenden Gottesmacht. Nicht bloß für die Men- 
schen, sondern auch für die Staaten ist Christus 
gestorben (III 238 ff. 
Schon in den „Elementen der Staatskunst“ 
hatte Adam Müller dagegen protestiert, daß „das 
gesamte im Staate geltende Recht erst in ein ab- 
solutes und ewig getrenntes Privatrecht und dann 
in ein absolut getrenntes Staatsrecht" zersplittert 
werde (II 156). Durch den Einfluß der seit 
1816 erschienenen „Restauration der Staatswissen- 
schaften“ K. L. v. Hallers (s. Bd II, Sp. 996) kam 
er aber dahin, das Staatsrecht auch seinerseits nur 
als ein erweitertes Privatrecht zu fassen, also 
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