Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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d. 95, a. 2 3; q. 96, a. 4; St Augustinus, 
De lib. arb. 1, 5; Suarez, De leg. 1, c. 9; 
. 12, § 4; c. 19, § 11). Ubrigens findet sich 
dieselbe Anschauung schon bei den edel denkenden 
Heiden deutlich ausgesprochen. Wir verweisen 
z. B. auf die klassischen Stellen bei Sophokles 
(Oedip. Reg. v. 863/871; Antigone v. 446 
ad 460); bei Plato (Apolog. Socrat. ed. 
Steph. p. 29 D, c. 17; Respubl. 4, p. 427; 
Gorg. p. 483e, 488 b, 491e) u. a. Die Werke 
Ciceros endlich sind voll der glänzendsten Zeugnisse 
dieser Art, so unter anderem: Pro Milone 4, 10; 
Philipp. 11, c. 12, n. 28; De leg. 1, c. 6; De 
leg. 2, c. 4; 1. 3 de Republ. (bei Laktamius, 
Inst. 6, 8). Eingehend hat die Lehren der griechisch- 
römischen Philosophie über das ewige Gesetz zu- 
sammengestellt Seydl, Das ewige Gesetz (1902). 
3. Als drittes charakteristisches Merkmal des 
natürlichen Rechts ist endlich noch zu erwähnen 
seine der Allgemeingültigkeit entsprechende Pro- 
mulgation, welche sich vermittels der jedem Men- 
schen von Natur innewohnenden Vernunft- 
erkenntnis vollzieht. Dadurch unterscheidet 
sich das natürliche Recht als solches offenbar von 
jedem positiven Recht, dem göttlichen sowohl wie 
dem menschlichen. Der Vernunfterkenntnis, so- 
weit sie bestimmt ist, dem freien Willen als prak- 
tische Leuchte zu dienen, ist es eigen, aus all- 
gemeinen, jedem vernünftigen Denken in sich klaren 
und evidenten Prinzipien durch logische Schluß- 
folgerungen auf das Besondere und schließlich auf 
das Einzelne und Konkrete des menschlichen Han- 
delns herabzusteigen. Diese allgemeinen Prin- 
zipien der praktischen Vernunft sind zwar als solche 
keineswegs sog. „angeborne Ideen“, aber sie folgen 
mit Notwendigkeit der physischen Entwicklung des 
Geisteslebens als ein wesentlicher Bestandteil des- 
selben und bilden das eigentliche Merkmal der 
Vernünftigkeit eines Wesens. Der logische Denk- 
prozeß, der sodann zur praktischen Verwertung der 
Prinzipien erforderlich ist, vollzieht sich, wenig- 
stens bezüglich der näher liegenden und ein- 
fachen Deduktionen, gewöhnlich leicht und oft un- 
bewußt, so daß die Ergebnisse häufig wie eine 
unmittelbare Anschauung der gesunden Vernunft 
erscheinen. Der Grund hiervon liegt teils in der 
Evidenz der Prinzipien selbst, teils in der provi- 
dentiellen Veranlagung der vernünftigen Natur, 
welche bewirkt, daß, wie der hl. Thomas lehrt, 
nach den ersten Anfängen der Vernunfttätigkeit 
nicht nur jene allgemeinsten Prinzipien, sondern 
auch die näheren Folgerungen aus denselben un- 
verzüglich zu einem habituellen, daher bleibenden 
Besitz der Vernunfterkenntnis werden, der sich bald 
zu der sog. Synteresis des Gewissens erweitert. 
Hiermit nun ist zugleich die Art und Weise an- 
gezeigt, in welcher das natürliche Sittengesetz 
überhaupt und die natürliche Rechtsordnung im 
besondern jedem vernünftigen Menschen auf dem 
Wege der Natur sich offenbart. Die erwähnten 
praktischen Vernunftprinzipien nämlich samt ihrem 
Naturrecht usw. 
  
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virtuellen Inhalt von Pflichten und Rechten, 
3, welche im einzelnen erst durch die logische Deduk- 
tion gleichsam paragraphiert werden, sind selbst 
das vom Schöpfer in die vernünftige Natur ein- 
geschriebene und so in der Vernunfterkenntnis 
eines jeden promulgierte Naturgesetz. 
Den objektiven Inhalt des Naturgesetzes bilden 
nach dem hl. Thomas zwei Klassen oder gleich- 
sam Stufen allgemeiner natürlicher Gesetze. Die 
erste besteht aus den obersten und allgemeinsten 
Gesetzesnormen für jedes freie menschliche Han- 
deln (praecepta prima et communissima). 
Dieselben gehen aus von dem notwendig erkannten 
Unterschied zwischen gut und böse und gipfeln in 
dem obersten Gebot, das Böse zu meiden und das 
(als vernunftnotwendig erkannte) Gute zu tun. 
Dieser allgemeinste Inhalt des natürlichen Sitten- 
gesetzes ist so wesentlich mit der Vernunfterkenntnis 
verbunden, daß eine Unkenntnis desselben in keinem 
Menschen, der zum Gebrauch der Vernunft gelangt 
ist, angenommen werden kann. Die zweite Klasse 
enthält die zunächst abgeleiteten Naturgebote (prae- 
cepta secundaria et magis propria). Durch 
diese findet das oberste Gesetz, wenn auch immer 
noch im allgemeinen, seine Anwendung auf die 
verschiedenen Gebiete der gesamten Moralordnung, 
nämlich: 1) zu Gott, dem Schöpfer und Gesetz- 
geber der Welt (Religion); 2) zu den Mitmenschen 
und zur menschlichen Gesellschaft, in die jeder 
eingegliedert ist (Rechts= und Liebespflichten); 
3) zu sich selbst und seiner eignen höchsten 
Lebensaufgabe (wahre Selbstliebe). Auch die 
hierauf bezüglichen allgemeinen Vernunftfolge- 
rungen nehmen teil an der Evidenz des obersten 
Prinzips und liegen ihrem wesentlichen Inhalte 
nach jeder Vernunftbetätigung so nahe, daß sie 
vom Menschen, auch im Zustande der gefallenen 
Natur, nur zufällig und durch selbstverschuldete 
Ursachen, z. B. tierische Entartung der ver- 
nünftigen Natur, zeitweilig mißkannt werden 
können. Durch eine gütige Vorsehung und mit 
Rücksicht auf die unmittelbare Wichtigkeit für den 
Bestand der Gesellschaft scheinen namentlich die 
Pflichten der Gerechtigkeit der natürlichen Ver- 
nunft (dem „natürlichen Rechtsgefühl“) besonders 
nahe gelegt. — Zu den genannten beiden Klassen 
allgemeiner Naturgebote kommen dann noch die 
mehr oder weniger entfernten Ableitungen und 
Schlußfolgerungen in Bezug auf besondere Lebens- 
verhältnisse und vorkommende praktische Fälle 
(conclusiones remotae). Hier nun ist aller- 
dings, besonders wenn vielseitige oder verwickelte 
Umständeeinen richtigen Vernunftschluß erschweren, 
weder unverschuldete Unkenntnis noch Irrtum aus- 
geschlossen, sei es wegen unzureichenden Schluß-- 
vermögens, sei es durch unbewußte Bestechlichkeit 
der Eigenliebe oder irgend eine andere Vorein- 
genommenheit (St Thomas, S. theol. 2, 1, q. 94, 
a. 46; q. 100, a. 1). 
Die natürliche Promulgation des Naturgesetzes 
und der darin enthaltenen natürlichen Rechts- 
 
	        
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