Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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heiligen Leben in der Nachahmung Gottes und 
Christi berufen waren. „Seid heilig, denn ich 
bin heilig, der Herr, euer Gott“, sprach einst 
Jehovah zu Moses. „Seid vollkommen, wie euer 
himmlischer Vater vollkommen ist“, ermahnt Jesus 
seine Jünger (Matth. 5, 48). „Das ist der Wille 
Gottes, eure Heiligung“ (1 Thess. 4, 3. 7. Eph. 4, 
22 ff. Röm. 6, 19 ff). Das apostolische Sym- 
bolum hatte ursprünglich und bis zum 5. Jahrh. 
nur sanctam ecclesiam, Ignatius gebraucht das 
Epitheton von der Einzelkirche (Trall., inscr.), 
Lermas- Tertullian, die apostolische Lirurgie, 
yprian legen es der allgemeinen Kirche bei. Die 
Apologeten benutzten dieses Merkmal, um die Be- 
deutung des Christentums für die Familie, Ge- 
meinde, den Staat im Gegensatz zu der boden- 
losen Lasterhaftigkeit der heidnischen Welt zu 
veranschaulichen. Die Kirche war wirklich eine 
„Gemeinschaft der Heiligen“. Soll aber die Heilig- 
keit ein Unterscheidungsmerkmal der Konfessionen 
sein, da alle die Gnadenschätze des Christentums 
zum Zweck der Heiligung anerkennen, so muß die 
Mischung von Weizen und Unkraut berücksichtigt 
werden, welche durch den „Feind“ und den Welt- 
geist auch im Christentum und der Kirche ver- 
anlaßt wurde. In dieser Beziehung konnten aber 
schon die Väter sagen, daß man vergebens bei den 
Sekten dieselbe Heiligkeit suche. Indem die katho- 
lische Kirche in den sieben Sakramenten die Quellen 
der Gnaden eröffnet und die guten Werke als not- 
wendige Mittel zur Erlangung der Seligkeit be- 
trachtet, ja in den evangelischen Räten den bevor- 
zugten Seelen den Weg zur christlichen Voll- 
kommenheit und einem Schatz im Himmel zeigt, 
legt sie den Grund zum Streben nach Heiligkeit. 
Viele haben dieses Ziel auch erreicht, denn es hat 
zu allen Zeiten Heilige in der Kirche gegeben, die 
Gott auch durch Zeichen und Wunder verherrlicht 
hat; aber noch mehr sind zurückgeblieben, in 
Sünden und Laster gefallen. Die Kirche ist all- 
zeit heilig, aber ihre Glieder, mitunter auch die 
höchsten, waren oft durch ihre eigene Schuld un- 
heilig. Deshalb hat schon der hl. Augustinus bei 
der Verwendung dieses Merkmals Vorsicht emp- 
fohlen und Eph. 5, 27 auf die triumphierende 
Kirche bezogen. Andere, auch der hl. Thomas, 
folgten ihm. Allerdings ist es in diesem Gebiet, 
in welchem sich so vieles der Einsicht der Außen- 
welt entzieht, schwer, ein genaues Urteil abzu- 
geben; der Statistik fehlen die festen Anhalts- 
punkte. Aber doch darf man die Gegner, welche 
nur die Makeln und Runzeln an der Kirche sehen 
und aufdecken wollen, auf die großartige Kultur- 
aufgabe hinweisen, welche die katholische Kirche im 
Kampfe mit allen feindlichen Mächten und Leiden- 
schaften laut dem Zeugnisse der Geschichte gelöst 
hat. Daher ist sie, wie schon die Bäter gesagt 
haben, gleichsam „ein großes und fortdauerndes 
Motiv der Glaubwürdigkeit“, die als „ein unter 
den Nationen errichtetes Zeichen diejenigen ein- 
ladet, die noch nicht geglaubt haben, und ihre 
  
Kirche und Staat. 
  
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Söhne vergewissert, daß ihr Glaube auf dem 
festesten Fundament ruhe“ (Vatic. sess. III, 
ap. 3). » 
Literatur. Turrecremata (gest. 1458), Summa de 
ecclesia; M. Canus (gest. 1560), Loci theologici; 
Bellarmin, Disputationes de controversis chri- 
stiange fidei II (1581); Stapleton, Principiorum 
fidei doctrinalium demonstratio (1582); P. u. 
Adr. de Walenburch, Tractatus generales de con- 
troversiis fidei (1670); Passaglia, De ecclesia 
Christi Commentarius (1853); Pilgram, Physio- 
logie der K. (1860); Murray, Tractatus de eccle- 
sia Christi (1860 f); Döllinger, K. u. K. n. Papsttum 
u. Kirchenstaat (1861); De Brouwer, Tractatus 
de ecclesia Christi (1882); Franzelin, Theses 
de ecclesia Christi (1887); De Groot, Summa 
apologetica de ecclesia catholica (1890); Wil- 
mers, De Cbhristi ecclesia libri sex (1897); Bou- 
gaud, Die K. Jesu Christi (1897); Schanz, Chri- 
stus u. die K. (Apologie III, 21906); E. Commer, 
Die K. in ihrem Wesen u. Leben dargestellt 1 
(1904); L. de San, Tract. de eccl. et Rom. pont. 
(1905). Weitere Lit. bei Scheeben-Atzberger, Hand- 
buch der kath. Dogmatik IV (1898). 
IP. Schanz, rev. Eichmann.] 
Kirche und Staat. lGrundsätzliches; Ge- 
schichtliches; Mittelalter; nationaler Gedanke; 
Gallikanismus; Polizeistaat; Rechtsstaat; freie 
Kirche im freien Staat; Indifferenz; Koordina- 
tion; Richtpunkte.]) 
I. Eine abschließende Fixierung des nach kirch- 
lichen Grundsätzen normalen Verhältnisses zwischen 
Staat und Kirche ist bislang von keinem all- 
gemeinen Konzil gegeben worden. Den Bätern des 
letzten, Vatikanischen Konzils hat ein Schema de 
ecclesia vorgelegen, dessen einschlägige Bestim- 
mungen (c. 13—15; dazu can. 18—21) zum 
Zwecke einer Orientierung über die doktrinelle 
Auffassung jenes Verhältnisses hier auszugsweise 
eine Stelle finden mögen. Gott ist der Urheber 
des Staates wie der Kirche, weshalb zwischen 
beiden nicht Streit, sondern Eintracht herrschen 
kann und soll. Die Trennung von Staat und 
Kirche ist nicht wünschenswert, vielmehr soll der 
Staat die Ubertretungen der Vorschriften der 
wahren Kirche mit weltlichen Strafen ahnden. 
Der höhere, übernatürliche Zweck der Kirche soll 
auch vom Staat unterstützt und gefördert werden. 
Nach Gottes Gebot ist dem Staat Gehorsam zu 
leisten. Derselbe ist aber keineswegs Quelle alles 
Rechts (insbesondere des Privateigentums, des 
Familienrechts) und jeglicher Autorität. Der 
Kirche Recht wie Pflicht ist es, auch über die 
staatlichen Vorschriften und politischen Hand- 
lungen zu urteilen; was nach göttlichem oder 
kirchlichem Recht unerlaubt ist, kann von Staats 
wegen nicht erlaubt sein; die Politik des einzelnen 
wie der Gesamtheit untersteht vielmehr dem 
Sittengesetz, dessen Dolmetsch das unfehlbare 
kirchliche Lehramt ist. Eine Verletzung der kirch- 
lichen Rechte darf nie aus politischen Gründen, 
so wenig vom einzelnen wie vom Staate, ver- 
fügt werden. Umgekehrt fehlt der Staatsgewalt 
 
	        
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