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folgungen der römischen Behörden sich beirren zu
lassen. Gott mehr zu gehorchen als den Menschen
waren die Apostel unter allen Umständen bereit,
und kostete es auch das Leben. Dabei hielten sie
sich frei von jedem Gefühl der Bitterkeit gegen den
heidnischen Staat und dessen Regierungsgewalten;
sie legten den Gläubigen die Pflicht des Gebetes
für die Obrigkeit, des Gehorsams, und zwar nicht
nur der Strafe, sondern des Gewissens wegen
(Röm. 13, 5), eindringlichst ans Herz; sie trugen
kein Bedenken, von den Staatseinrichtungen Ge-
brauch zu machen, wie Paulus wiederholt auf sein
römisches Bürgerrecht sich berief und verurteilt
an den Kaiser appellierte. VFgl. Allies, Church
and State as seen in the Formation of the
Christendom (Lond. 1882); Weinel, Die Stel-
lung des Urchristentums zum Staat (1908).
III. Der römische Staat störte die unter-
worfenen Völker nicht in der Übung ihrer eigen-
tümlichen Kulte, verbot aber seinen Bürgern die
Teilnahme an den sacra peregrina. Demnach
waren die Judenchristen als jüdische Sekte tole-
riert; die Heidenchristen aber, welche immer mehr
die ersteren zurückdrängten, waren aus mehr als
einem Grunde proskribiert. Abgesehen von dem
orientalischen, oder richtiger, der nationalen Fär-
bung entbehrenden Charakter der christlichen Re-
ligion, welcher sie zur religio llicita stempelte,
wurden die Christen wegen Magie, wegen Besitzes
von Zauberbüchern, als welche die von ihnen
heilig gehaltenen Bibeln galten, vorzüglich aber
wegen Majestätsverbrechen gerichtlich verfolgt.
Des letzteren Verbrechens machte sich aber nach der
lex lulia maiestatis jeder schuldig, welcher an
geheimen, ungesetzlichen Vereinen teilnahm, dem
Herrscher die Ehrfurcht der Opferung vor dessen
Genius verweigerte und mit den bestehenden Ver-
hältnissen sich nicht zufrieden zeigte. Diese vagen
Gesetzesbestimmungen kosteten ungezählten, von
der fanatisierten Volksmenge wegen ihres ein-
gezogenen Wandels als Menschenfeinde gehaßten,
von grausamen Statthaltern und Richtern wegen
ihrer Fernhaltung von öffentlichen Festen und
Amtern mit Mißtrauen als staatsfeindlich an-
gesehenen Christen das Leben. Des Sakrilegs
machten sich die Christen schuldig durch die den
staatlich anerkannten Göttern bezeigte Mißachtung
oder verweigerte Verehrung. Alle diese Verbrechen
wurden von Rechts wegen mit dem Tode bestraft;
dazu kamen die ausdrücklich gegen die Christen
erlassenen Verfolgungsedikte nicht weniger Kaiser.
Bei alledem versäumten die als rechtlos ver-
folgten Christen in nichts die Erfüllung ihrer
Bürgerpflichten. Die Apologeten wiesen darauf
hin, daß die Christen, trotz ihrer großen, steigen-
den Zahl, nie einen Aufstand erregt hätten; sie
legten das Unmenschliche und Widersinnige des
gegen ruhige Bürger eingeschlagenen Verfahrens
dar; sie verlangten mit Nachdruck Freiheit ihrer
Religion. In der Tat waren trotz alledem in
Rom und anderswo die Christengemeinden als
Kirche und Staat.
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collegia fratrum in der Form der allein noch
geduldeten Begräbnisvereine gesetzlich anerkannt
und konnten die Kirchen als solche Eigentum be-
sitzen. Aber zur Zeit der Verfolgung boten auch
die Katakomben keine sichern Zufluchtsstätten.
Vgl. Neumann, Der römische Staat und die all-
gemeine Kirche bis auf Diokletian 1I (1890);
Conrat [Cohn], Die Christenverfolgungen vom
Standpunkte des Juristen (1897); dagegen
Allard, Le christianisme et empire romain
de Néron (Paris 1897); J. E. Weis, Christen-
verfolgungen (1899).
IV. Einen Wendepunkt in dem Verhältnis von
Staat und Kirche bezeichnete die Regierung Kon-
stantins d. Gr. Von Jugend auf den Christen
wohlgeneigt, gewährte er ihnen (313) gesetzliche
Toleranz, restituierte nicht nur das in der vorauf-
gegangenen Verfolgung konfiszierte Kirchengut,
sondern stattete die Kirchen mit Besitz, mit Erb-
fähigkeit und mit den Privilegien der heidnischen
Tempel und Priesterkollegien aus. Was aber
weit wichtiger ist, er erhob die christliche Religion
und Kirche, deren Haupt der römische Bischof ist,
zur Staatsreligion und zur Reichskirche und ging
daran, dem römischen Staatswesen einen christ-
lichen Charakter aufzudrücken. Wunderbar rasch
vollzog sich die Umwandlung des heidnischen
Römerreichs zum christlichen, meist zweigeteilten
Kaiserreich. Im Interesse des Reiches war es ge-
legen, daß alle Bürger, wie schon Theodosius d. Gr.
(380) wünschte, derselben, der katholischen Kirche
angehörten. Heiden und Sektierer wurden in
steigendem Maße beschränkt und zurückgedrängt;
endlich (425) wurde allen Untertanen (die Juden
ausgenommen), welche sich weigerten, den katho-
lischen Glauben anzunehmen, Proskription an-
gedroht (I. 63, cod. Theod. 16, 5). Tatsächlich
wurde dieses Gesetz so wenig genau ausgeführt
als die vorausgegangenen Gesetze, welche bei
Todesstrafe die Teilnahme am heidnischen und
teilweise auch am häretischen Gottesdienste unter-
sagten. — In zweifacher Richtung machten sich
bedenkliche Schattenseiten der eingetretenen Ver-
änderung des Verhältnisses von Staat und Kirche
geltend. Einige Kaiser waren orthodox nach ihrer
Weise, in der Tat aber Arianer; sie liehen den
Ketzern ihren starken Arm gegen die Katholiken.
Weit mehr Kaiser konnten aber der Versuchung
nicht widerstehen, nicht nur die kirchlichen Kanones
durchzuführen, sondern ihrerseits und eigenmächtig
Kirchengesetze, ja selbst Glaubensgesetze zu erlassen.
Gegenüber diesen staatlichen Ubergriffen in das
innerste und eigenste Leben der Kirche, dem sog.
Byzantinismus, hielten im Morgenlande
meist nur die Mönche am Ideale der kirchlichen
Freiheit und Selbständigkeit fest, deren Gewäh-
rung die römischen Päpste unablässig von den
byzantinischen Kaisern forderten. Vgl. Riffel, Ge-
schichtliche Darstellung des Verhältnisses zwischen
Kirche und Staat 1 (bis Justinian, 1836);
Broglie, L'église et I’empire romain au