Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

125 
folgungen der römischen Behörden sich beirren zu 
lassen. Gott mehr zu gehorchen als den Menschen 
waren die Apostel unter allen Umständen bereit, 
und kostete es auch das Leben. Dabei hielten sie 
sich frei von jedem Gefühl der Bitterkeit gegen den 
heidnischen Staat und dessen Regierungsgewalten; 
sie legten den Gläubigen die Pflicht des Gebetes 
für die Obrigkeit, des Gehorsams, und zwar nicht 
nur der Strafe, sondern des Gewissens wegen 
(Röm. 13, 5), eindringlichst ans Herz; sie trugen 
kein Bedenken, von den Staatseinrichtungen Ge- 
brauch zu machen, wie Paulus wiederholt auf sein 
römisches Bürgerrecht sich berief und verurteilt 
an den Kaiser appellierte. VFgl. Allies, Church 
and State as seen in the Formation of the 
Christendom (Lond. 1882); Weinel, Die Stel- 
lung des Urchristentums zum Staat (1908). 
III. Der römische Staat störte die unter- 
worfenen Völker nicht in der Übung ihrer eigen- 
tümlichen Kulte, verbot aber seinen Bürgern die 
Teilnahme an den sacra peregrina. Demnach 
waren die Judenchristen als jüdische Sekte tole- 
riert; die Heidenchristen aber, welche immer mehr 
die ersteren zurückdrängten, waren aus mehr als 
einem Grunde proskribiert. Abgesehen von dem 
orientalischen, oder richtiger, der nationalen Fär- 
bung entbehrenden Charakter der christlichen Re- 
ligion, welcher sie zur religio llicita stempelte, 
wurden die Christen wegen Magie, wegen Besitzes 
von Zauberbüchern, als welche die von ihnen 
heilig gehaltenen Bibeln galten, vorzüglich aber 
wegen Majestätsverbrechen gerichtlich verfolgt. 
Des letzteren Verbrechens machte sich aber nach der 
lex lulia maiestatis jeder schuldig, welcher an 
geheimen, ungesetzlichen Vereinen teilnahm, dem 
Herrscher die Ehrfurcht der Opferung vor dessen 
Genius verweigerte und mit den bestehenden Ver- 
hältnissen sich nicht zufrieden zeigte. Diese vagen 
Gesetzesbestimmungen kosteten ungezählten, von 
der fanatisierten Volksmenge wegen ihres ein- 
gezogenen Wandels als Menschenfeinde gehaßten, 
von grausamen Statthaltern und Richtern wegen 
ihrer Fernhaltung von öffentlichen Festen und 
Amtern mit Mißtrauen als staatsfeindlich an- 
gesehenen Christen das Leben. Des Sakrilegs 
machten sich die Christen schuldig durch die den 
staatlich anerkannten Göttern bezeigte Mißachtung 
oder verweigerte Verehrung. Alle diese Verbrechen 
wurden von Rechts wegen mit dem Tode bestraft; 
dazu kamen die ausdrücklich gegen die Christen 
erlassenen Verfolgungsedikte nicht weniger Kaiser. 
Bei alledem versäumten die als rechtlos ver- 
folgten Christen in nichts die Erfüllung ihrer 
Bürgerpflichten. Die Apologeten wiesen darauf 
hin, daß die Christen, trotz ihrer großen, steigen- 
den Zahl, nie einen Aufstand erregt hätten; sie 
legten das Unmenschliche und Widersinnige des 
gegen ruhige Bürger eingeschlagenen Verfahrens 
dar; sie verlangten mit Nachdruck Freiheit ihrer 
Religion. In der Tat waren trotz alledem in 
Rom und anderswo die Christengemeinden als 
Kirche und Staat. 
  
126 
collegia fratrum in der Form der allein noch 
geduldeten Begräbnisvereine gesetzlich anerkannt 
und konnten die Kirchen als solche Eigentum be- 
sitzen. Aber zur Zeit der Verfolgung boten auch 
die Katakomben keine sichern Zufluchtsstätten. 
Vgl. Neumann, Der römische Staat und die all- 
gemeine Kirche bis auf Diokletian 1I (1890); 
Conrat [Cohn], Die Christenverfolgungen vom 
Standpunkte des Juristen (1897); dagegen 
Allard, Le christianisme et empire romain 
de Néron (Paris 1897); J. E. Weis, Christen- 
verfolgungen (1899). 
IV. Einen Wendepunkt in dem Verhältnis von 
Staat und Kirche bezeichnete die Regierung Kon- 
stantins d. Gr. Von Jugend auf den Christen 
wohlgeneigt, gewährte er ihnen (313) gesetzliche 
Toleranz, restituierte nicht nur das in der vorauf- 
gegangenen Verfolgung konfiszierte Kirchengut, 
sondern stattete die Kirchen mit Besitz, mit Erb- 
fähigkeit und mit den Privilegien der heidnischen 
Tempel und Priesterkollegien aus. Was aber 
weit wichtiger ist, er erhob die christliche Religion 
und Kirche, deren Haupt der römische Bischof ist, 
zur Staatsreligion und zur Reichskirche und ging 
daran, dem römischen Staatswesen einen christ- 
lichen Charakter aufzudrücken. Wunderbar rasch 
vollzog sich die Umwandlung des heidnischen 
Römerreichs zum christlichen, meist zweigeteilten 
Kaiserreich. Im Interesse des Reiches war es ge- 
legen, daß alle Bürger, wie schon Theodosius d. Gr. 
(380) wünschte, derselben, der katholischen Kirche 
angehörten. Heiden und Sektierer wurden in 
steigendem Maße beschränkt und zurückgedrängt; 
endlich (425) wurde allen Untertanen (die Juden 
ausgenommen), welche sich weigerten, den katho- 
lischen Glauben anzunehmen, Proskription an- 
gedroht (I. 63, cod. Theod. 16, 5). Tatsächlich 
wurde dieses Gesetz so wenig genau ausgeführt 
als die vorausgegangenen Gesetze, welche bei 
Todesstrafe die Teilnahme am heidnischen und 
teilweise auch am häretischen Gottesdienste unter- 
sagten. — In zweifacher Richtung machten sich 
bedenkliche Schattenseiten der eingetretenen Ver- 
änderung des Verhältnisses von Staat und Kirche 
geltend. Einige Kaiser waren orthodox nach ihrer 
Weise, in der Tat aber Arianer; sie liehen den 
Ketzern ihren starken Arm gegen die Katholiken. 
Weit mehr Kaiser konnten aber der Versuchung 
nicht widerstehen, nicht nur die kirchlichen Kanones 
durchzuführen, sondern ihrerseits und eigenmächtig 
Kirchengesetze, ja selbst Glaubensgesetze zu erlassen. 
Gegenüber diesen staatlichen Ubergriffen in das 
innerste und eigenste Leben der Kirche, dem sog. 
Byzantinismus, hielten im Morgenlande 
meist nur die Mönche am Ideale der kirchlichen 
Freiheit und Selbständigkeit fest, deren Gewäh- 
rung die römischen Päpste unablässig von den 
byzantinischen Kaisern forderten. Vgl. Riffel, Ge- 
schichtliche Darstellung des Verhältnisses zwischen 
Kirche und Staat 1 (bis Justinian, 1836); 
Broglie, L'église et I’empire romain au
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.