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und sollen immer dem nächsten Reichstag vor-
gelegt werden.“ Also auch hier ist die erste Be-
dingung für die Erlassung eines Notgesetzes das
Vorliegen eines „dringenden Falles“. Die Ent-
scheidung hierüber liegt naturgemäß im Ermessen
der Regierung, und zwar so, daß die Minister für
die Richtigkeit dieser Entscheidung vor dem Reichs-
gericht zur Verantwortung gezogen werden können.
Durch die Annahme des provisorischen Gesetzes
seitens der beiden Abteilungen des Reichstags
und durch die Bestätigung seitens des Königs
wird es definitiv. Wird es vom Reichstag ver-
worfen, so verliert es seine Geltung ex nunc,
aber nicht ex tunc.
In Schweden kommt nach der Verfassung
(der sog. schwedischen Regierungsform) dem
König in einer Reihe von Fällen, die im § 89 der
Verfassung aufgezählt sind, das ausschließliche
Gesetzgebungsrecht zu. So kann der König auf
ökonomischem Gebiet viele Vorschriften geben,
welche sogar sehr tief in die Handlungsfreiheit
der Bürger eingreifen. So ordnet er den Berg-
bau, die Forstwirtschaft, die Fabriktätigkeit, den
Handel und das Handwerk, das Bau-, Feuer-
und Gesundheitswesen.
Das niederländische Staatsrecht kennt
keine Verordnungen, die provisorisch als Gesetze
gelten sollen, dagegen gestatten manche Gesetze der
Krone, eine Anderung in einer bestimmten Vor-
schrift eines Gesetzes provisorisch auf dem Wege
der Verordnung zu erlassen mit der Beifügung,
daß wenn nicht innerhalb eines bestimmten Ter-
mins die Sache im Wege der Gesetzgebung ge-
ordnet wird, die Verordnung ihre Rechtskraft
verliert.
Dem luxemburgischen Recht ist das In-
stitut der Notverordnungen unbekannt.
In Belgien verbietet der Art. 67 der Ver-
fassung, die die Anlehnung an das Werk der
französischen Nationalversammlung von 1830
nicht verleugnen kann, dem König ausdrücklich,
„jemals die Gesetze selbst aufzuheben oder von
ihrer Ausführung dispensieren zu können“; wohl
aber kann ein Gesetz selbst für seine Anwendung
Ausnahmen oder Umwege vorsehen, die es der
Regierung überläßt.
Das italienische Recht kennt das Staats-
notrecht nur in der Form des Belagerungszustan-
des, der durch königliches Dekret unter ministe-
rieller Verantwortlichkeit verhängt werden kann.
Ebenso kann in Zollsachen die Regierung durch
Dekret die Vorerhebung von Zöllen, wenn drin-
gend nötig, anordnen unter der Verpflichtung
zur Unterbreitung des Dekrets behufs Genehmi-
gung durch das Parlament.
In Spanien gestattet die Verfassung der
Regierung zur Ausfüllung von Lücken des Ge-
setzes und bis zu geeignetem Ersatz gesetzliche Vor-
schriften durch königliche Dekrete zu treffen.
In Portugal kann die Regierung in Ab-
wesenheit der gesetzgebenden Faktoren angesichts
Notrecht.
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außergewöhnlicher Umstände die Diktatur über-
nehmen. In solchen Fällen haben die Verord-
nungen der Regierung Gesetzeskraft und treten
gerade so, als wenn es eigentliche Gesetze wären,
entweder mit dem Tag der Veröffentlichung oder
nach Ablauf der in ihnen festgesetzten Frist in
Kraft, oder sie folgen der für ihre Geltung an-
wendbaren allgemeinen Regel. Doch bleiben solche
Dekrete von der Genehmigung des Parlaments
oder der Gewährung einer Indemnitätsbill ab-
hängig, um ihre Gültigkeit beibehalten zu können;
sie helken in diesem Falle „Dekrete mit Gesetzes-
traft“.
Die Verfassung des Königreichs Griechen-
land schließt das Notverordnungsrecht aus. Hier
können also ebenfalls Notverordnungen nur auf
Grund und in den Grenzen einer spezialgesetzlichen
Delegation ergehen, die wieder nur nach Maß-
gabe der Verfassung, in den Grenzen der Kom-
petenz der Legislative erfolgen kann.
Wenn num in den Staaten, die ein Notrecht des
Staats nicht kennen, die Exekutivgewalt sich ge-
nötigt sieht, in Zeiten der Not ihre Rechte zu
überschreiten, so hat der Parlamentarismus hier
durch das Indemnitätsverfahren ein ge-
eignetes Hilfsmittel gefunden. In diesen Staaten,
wo das Ministerium regelmäßig eine Mehrheit
des Parlaments hinter sich hat, wird seine Er-
wartung, daß die Volksvertretung die Indemnität
nicht versagen werde, wohl kaum getäuscht werden.
Eine weitere Form der Anwendung des Staats-
notrechts ist die Verhängung des Belage-
rungszustandes. über dessen Verhängung
im Gebiet des Deutschen Reichs vgl. d. Art.
Garantien, staatsrechtliche, Bo II, Sp. 400 f.
Fast alle Verfassungen der außerdeutschen Staaten
sehen für Fälle innerer Unruhe und äußerer
Gefahr die Verhängung des Belagerungszustan-
des vor.
In Frankreich kann nach der Verfassung
vom 3. April 1878 nur durch ein Gesetz dieser
Zustand erklärt werden, in Ausnahmefällen darf
auch der Präsident der Republik nach eingeholtem
Rat des Ministerrats den Kriegszustand ver-
hängen, falls die Kammern zur Zeit vertagt sind,
aber dann versammeln sich diese binnen zweier
Tage ohne besondere Berufung seitens des Präsi-
denten der Republik. Im Falle der Auflösung
der Deputiertenkammer darf der Belagerungs-
zustand vom Präsidenten der Republik nicht ein-
mal provisorisch verhängt werden; nur beim Aus-
bruch eines Kriegs dürfte der Präsident nach
eingeholtem Rat des Ministerrats den Belage-
rungszustand in den vom Feind bedrohten Orten
erklären, müßte aber dann in kürzester Frist die
Wahlkollegien berufen und die Kammern zusam-
mentreten lassen.
Das belgische Recht verbietet die Verhän-
gung des politischen Belagerungszustandes durch
den Art. 130 der Verfassung, der besagt, daß „die
Verfassung weder ganz noch teilweise aufgehoben