Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Verhältnisses der beiden Gewalten Bonifaz VIII. 
(1302) in der berühmten Konstitution Unam 
sanctam (c. 1, Extr. com. 1, 8) aus. Doch 
ist diese Erklärung, trotzdem die gegensätzliche 
Lehre von der Koordination beider Schwerter als 
manichälscher, zwei Prinzipien statuierender Irr- 
tum bezeichnet wird, keineswegs eine dogmatische 
Glaubensdefinition des unfehlbaren Papstes, wie 
von altkatholischer Seite mehrfach behauptet 
wurde. Vgl. Berchtold, Die Bulle Unam sanc- 
tam (1887); dagegen Martens. Das Vatikanum 
und Bonifaz VIII. (1888). 
Eine historische oder gar urkundliche Stütze 
des welfischen Systems war dem der historischen 
Kritik entbehrenden Mittelalter die Konstan- 
tinische Schenkung. In dieser verleiht Kaiser 
Konstantin dem Papste Sylvester, von dem er ge- 
tauft (1) worden, kaiserliche Würde und Insignien 
und schenkte ihm Rom, Italien mit den Inseln, 
ja das ganze Abendland (Hesperien). Diese ins 
kanonische Rechtsbuch (c. 14, Dist. 96) aufge- 
nommene Schenkung ist, wie längst erkannt wor- 
den, apokryph. Darüber, ob die Fälschung im 
8. oder 9. Jahrh., in Rom oder in Frankreich 
entstanden ist, besteht noch eine lebhaft geführte 
wissenschaftliche Kontroverse. Vgl. u. a. Grauert 
im Histor. Jahrb. III (1882) 3/30; IV (1883) 
45/91, 525/617, 674/680; Martens, Die 
Generalkonzession Konstantins d. Gr. (1889). 
Vgl. im allg. Gosselin, Pouvoir du pape au 
moyen-age (Löwen 21845); Friedberg, De 
finium inter ecclesiam et civitatem regun- 
dorum iudicio quid medüt saevi doctores et 
leges statuerint (1861); Hergenröther, Anti- 
Janus (1870); ders., Kath. Kirche und christl. 
Staat (2 Abt. 1872), gegen: Janus, Der Papst 
und das Konzil (1869, 2. Aufl. u. d. Tit.: Döl- 
linger, Das Papsttum, hrsg. von Friedrich, 1892), 
und v. Schulte, die Macht der röm. Päpste über 
Fürsten, Länder, Völker, Individuen (1871); 
v. Eicken, Gesch. und System der mittelalterl. 
Weltanschauung (1887) 169/307, 356/436; 
s. dagegen v. Hertling im Histor. Jahrbuch X 
(1889) 128/155. 
VIII. Die Geschichte des Mittelalters ist reich 
an Streitigkeiten der weltlichen und der geist- 
lichen Gewalten. Oft hatte die Kirche über Ge- 
waltmaßregeln der Fürsten zu klagen, über Ver- 
letzung der christlichen Sitte, über widerrechtliche 
Schließung und Lösung von Ehen, über frevent- 
lichen Bruch beschworener Verträge, über Usur- 
pation kirchlicher Rechte durch Anmaßung kirch- 
lichen Eigentums oder durch Nichtachtung der 
kirchlichen Selbstverwaltung in Besetzung kirch- 
licher Amter, über Schädigung der kirchlichen und 
klerikalen Vorrechte und Freiheiten, der Immuni- 
tätsprivilegien, welche die Freiheit des kirchlichen 
Gutes von den meisten Steuern, die Freiheit des 
Klerus von dem weltlichen Gerichtsbann, endlich 
das Asylrecht der Kirchen betrafen. Die Waffen 
der Kirche zur Verteidigung ihrer angegriffenen 
Staatslexikon. III. 3. Aufl. 
Kirche und Staat. 
  
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Stellung waren Drohungen und Bitten, Ver- 
hängung der kanonischen Zensuren: Bann und 
Interdikt, die Reprobation weltlicher Gesetze, end- 
lich in allerdings nicht unbestrittener Anlehnung 
an das Staatsrecht des Mittelalters Absetzung 
der Fürsten und Entbindung der Untertanen vom 
Treueide. Vgl. Libelli de lite imperatorum 
et pontificum saeculi Xl. et XII. conscripti 
(Mon. Germ., 3 Bde, 1891/97); Mirbt, Die 
Absetzung Heinrichs IV. durch Gregor VII. in 
der Publizistik jener Zeit (Kirchengeschichtliche 
Studien, H. Reuter gewidmet (1888)) 95/144; 
ders., Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII. 
(1894); Martens, Gregor VII. (2 Bde, 1894); 
Sdralek, Die Streitschriften Altmanns von Passau 
und Wezilos von Mainz (1890); Borch, Zur 
Absetzung des Königs der Deutschen (1886); 
Redlich, Die Absetzung deutscher Könige durch 
den Papst (1892); Domeier, Die Päpste als 
Richter über den deutschen König (1897); Hugel- 
mann, Die deutsche Königswahl im Corpus juris 
canonici, bei Gierke, Untersuchungen zur deutschen 
Staats-= und Rechtsgeschichte, Hft 98 (1909). 
Oft gelang es der Kirche, ihre Gegner zur 
Nachgiebigkeit zu bewegen; man denke an den 
Frieden von Venedig (1177), den Kaiser Fried- 
rich I. mit dem von ihm angefeindeten Papst 
Alexander III. schloß. Manchmal war ein Ver- 
gleich des Streites Ende; so wurde der langjährige 
Investiturstreit, in welchem Papst Gregor VII. 
nicht um die Herrschaft über den Staat, wohl 
aber für die Freiheit der Kirche von weltlicher 
Umarmung mit dem Aufgebot aller Kräfte kämpfte, 
durch das Calixtinische oder Wormser Konkordat 
(1122) abgeschlossen, in welchem Kirche wie Reich 
von ihren ursprünglichen Forderungen zugunsten 
des andern Teiles etwas aufgeben mußten. In 
andern Fällen gelang es der Kirche kaum, das 
Prinzip oder eine mehr nominelle Anerkennung 
ihres Rechtes zu erlangen; so in der auf der frän- 
kischen Synode von 743 beschlossenen sog. divisio 
oder restitutio des unter Karl Martell säkulari- 
sierten Kirchengutes. Endlich entbehrten die kirch- 
lichen Maßnahmen wohl auch des greifbaren 
Erfolges; Beispiele bieten unter andern die Ponti- 
fikate Innozenz' III., Bonifaz' VIII. Vgl. Tho- 
masius, Historia contentionis inter imperium 
et sacerdotium (Halle 1722). 
IX. Im 14. Jahrh. machte sich ein neues Ele- 
ment im Leben der Völker bemerklich: der natio- 
nale Gedanke. Ihn hatte Philipp IV. der 
Schöne in seinem Kampfe mit Bonifaz VIII. 
mit Nutzen beschworen; er war die treibende Kraft 
in den langwierigen Kriegen der Franzosen mit 
den Engländern. In Rom versuchte Cola di 
Rienzi (gest. 1354) den Traum von der Republik 
des souveränen römischen Volkes in die Wirklich- 
keit zu übersetzen. Glücklicher waren die deutschen 
Fürsten, als sie 1338 auf dem Kurverein zu Rhense 
feierlich erklärten, derjenige sei deutscher König, 
welchen die Majorität der deutschen Kurfürsten 
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