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ohne seine kluge, loyale Beurteilung. Allein für
die Besserung der Lage in Irland erreichte er
nichts. Dort regierte eine unduldsame, egoistische
Minorität zugunsten ihrer Interessen weiter, und
als O'Connell angesichts der unheilvollen, mon-
strösen Zustände, die nur ein nationales Parla-
ment unter der Autorität der Krone wirksam
ändern konnte, in dem Verein der „Freunde Ir-
lands aus allen Konfessionen“ die Agitation be-
ginnen wollte, proklamierte Lord Anglesey dessen
Auflösung, ja er ließ ihn infolge einer großen
ihm dargebrachten Ovation am 19. Jan. 1831
verhaften und ins Gefängnis abführen. „Libera-
tor, sprich nur ein Wort!“ rief die zum blutigen
Widerstand bereite Menge; aber O'Connell, der
wegen der Ungesetzlichkeit seiner Verhaftung keine
Kaution hatte leisten wollen, leistete sie nun, um
Blutvergießen zu hindern. Sein Repealantrag
im Parlament fiel (1834) mit 523 gegen 38
Stimmen. Die Wahlen von 1835 brachten den
Tories nur eine geringe Majorität, O'Connell
war Herr der Lage. Der Sturz des Torykabinetts
verpflichtete ihn indessen nach englischer Parla-
mentssitte, die Wighregierung mit Lord Mel-
bourne an der Spitze (April 1835) zu unter-
stützen. O'Connell tat es im Hinblick auf das
öffentliche Wohl und den Gerechtigkeitssinn der
Wighs mit Zurücksetzung seiner und Irlands be-
rechtigter Forderungen. In Irland wurde unter
der Verwaltung des liberalen Lord Mulgraves
vieles besser, namentlich wurde der Ubermut der
Orangisten gezügelt. Aber legislativ erreichte
O“Connell auch in dieser zweiten Periode seiner
Parlamentstätigkeit (bis 1840) nichts, weder in
Sachen des Zehntengesetzes (1838) noch des
Armengesetzes (1837). Während sein Ansehen
im Parlament und bei Hof stieg bis zu jener
denkwürdigen öffentlichen Huldigung in London
(21. Febr. 1838), wo General Lacy Evans, um-
geben von 400 Männern aller Parteien, ihn als
den bewundertsten, besten Mann Englands und
Europas feierte, wuchs mit dem irischen Elend
die Unzufriedenheit mit O'Connells „Vertrauens-
seligkeit". Man übersah, daß er ein hohes, ihm
angetragenes Staatsamt ausgeschlagen hatte, um
sich seinem Volk zu erhalten. Nicht die heftigen
Angriffe aus Irland, nicht das Sinken des
O'Connell-Tributs, selbst nicht der Tod seiner
Frau, der schwerste Schlag, der ihn treffen konnte,
hatten ihn die Notwendigkeit einer erneuten und
verschärften Repealbewegung aus den Augen ver-
lieren lassen. Aber der Augenblick ihrer Insze-
nierung schien ihm erst mit dem ersten sichern An-
zeichen des baldigen Sturzes der Regierung ge-
kommen zu sein, die „seit sech Jahrhunderten zum
erstenmal ehrlich und treu dem irischen Volk
dienlich sein wollte“. Das forderte die Loyalität.
Im Herbst 1840 erhob er die Fahne des Repeal
zu siebenjährigem Kampf, einem Riesenkampf,
den erst die Erschöpfung der letzten Kräfte und
sein Leben enden sollte.
O'Connell.
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O'Connell hatte in der sog. „Precursor“-Be-
wegung die einflußreichsten Kräfte des Landes ge-
sammelt; die Idee, daß nur die Selbstverwal-
tung Irlands Leiden beseitigen könnte, war jetzt
allgemeine Uberzeugung; Klerus und Volk, hoch
und niedrig waren eins, und unter dem Vortritt
der Bischöfe von Tuam, Meath und Dromore
hatte sich die Bewegung zu einer Nationalbe-
wegung im vollsten Sinne des Wortes ausge-
staltet. Als die von ihm eingebrachte Bill zur
Reglung der Wahlfreiheit nicht einmal eine erste
Lesung erhielt, hatte O'Connell in einer Adresse
an das irische Volk zum Eintritt in den Repeal-
verein (Loyal National Repeal Association)
aufgefordert. Nach dem Sturz der Wighs (Aug.
1841) richtete er seine ganze Energie auf die
Schulung und Züglung der gewaltigen Volks-
massen, um jeden Friedensbruch zu verhüten.
„Jeder, der ein Verbrechen begeht, stärkt die Macht
des Feindes.“ Am 1. Nov. 1841 war O'Connell
als erster Katholik seit der Reformation zum
Lordmayor von Dublin erwählt worden.
Ein Riesenmeeting folgte jetzt dem andern, ge-
wöhnlich an Orten, die den Iren durch patriotische
Erinnerungen heilig waren, wie der Königshügel
von Tara. Bei der Zurückhaltung der Regierung
wurde O'Connell zu siegesgewiß, so daß er zu
Anfang 1843 den Repeal als sicher bevorstehend
ankündigte. Anfang März beschloß der Dubliner
Magistrat eine Petition an das Parlament in
diesem Sinne. Außer 70 kleineren hatte O'Connell
allein von März bis September 30 Riesen-
meetings abgehalten. In Limerick, Kells, Tip-
perary waren an 100 000, in Mullaghmast an
500000, in Tara nach den Times bis zu einer
Million Iren, von Dublin allein 1400 Wagen.
Zu Repealzwecken waren bis August an 50 000
Pfund eingegangen. Überall stand der Widerruf
der Union, das unermeßliche Volkselend, das Ver-
derben Irlands durch Aufruhr und Empörung
auf der Tagesordnung. Die gewaltige Bewegung
wuchs über alles hinaus, was das meetingfrohe
Irland bisher gesehen hatte. O'Connell wagte
den Vorschlag, in einem „Gerichtshof der Drei-
hundert“ ein Schiedsgericht für Irland als Vor-
läufer des kommenden Parlaments einzusetzen. Er
hatte auf den 8. Okt. eine Riesenversammlung nach
der großen Ebene von Clontarf ausgeschrieben.
Da trat das Ministerium Peel aus seiner Reserve
heraus und untersagte nach Mittag des 7. Okt.
durch eine Proklamation diese Versammlung, und
als am Abend die in hellen Haufen anlangenden
Repealer durch Militär auseinandergetrieben wur-
den, geschah, was in Irland nie geschehen war: die
fieberhaft erregten Massen kehrten auf O'Connells
Wort in Frieden heim, ohne den geringsten Wider-
stand zu leisten. Mitten in diesem beispiellosen
Triumph der Selbstbeherrschung ungezählter
Volksmassen beginnt die tragische Wendung in
O'Connells Leben. Am 14. Okt. wurde gegen
ihn und die Häupter der Bewegung der Staats-