Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Derartige Verträge sind daher in Wirklichkeit, ab- 
gesehen von ihrem etwaigen privatrechtlichen In- 
halt, nur Scheinverträge; sie sollen einerseits 
der Okkupation den Charakter eines Gewaltakts 
nehmen und die Selbständigkeit auch der wilden 
Völker anerkennen (deshalb wurden sie gerade von 
der Kongokonferenz empfohlen), anderseits den 
andern Staaten gegenüber ein Beweis dafür sein, 
daß ein Staat bereits das fragliche Gebiet okku- 
piert oder seinem Okkupationsrecht vorbehalten 
hat, indem die Häuptlinge die Verpflichtung ein- 
gingen, ohne Zustimmung des Vertragsstaats 
keine „Gebietsabtretungen“ an fremde Regie- 
rungen vorzunehmen. Demgemäß sind auch die 
Erwerbungen der deutschen Kolonien in Afrika 
und auf Neuguinea, ferner die der Marshall= und 
Samoa-Inseln trotz der teilweise geschlossenen 
Schutzverträge als originär durch Okkupation er- 
folgt anzusehen. Eine Ausnahme bildet jener Teil 
von Deutsch-Ostafrika, der 1890 vom Sultan von 
Sansibar abgetreten wurde, da dieser völkerrecht- 
lich als Staatsoberhaupt anerkannt war. Samoa 
war zur Zeit der Erwerbung nicht mehr völker- 
rechtlich anerkannter Staat, da der bisherige 
Herrscher schon den Protektoratsmächten von 1889 
(Deutschland, England und Vereinigte Staaten) 
gegenüber auf seine Hoheitsrechte verzichtet hatte, 
diese drei Mächte aber 1899 das gemeinschaftliche 
Protektorat aufhoben und die herrenlosen Inseln 
untereinander zur Okkupation verteilten. (Vgl. 
hierüber die kolonialrechtliche Literatur, insbeson- 
dere G. Meyer, Die staatsrechtliche Stellung der 
deutschen Schutzgebiete .„1888); v. Stengel, Die 
Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete 
[19011; v. Poser u. Groß-Naedlitz, Die rechtliche 
Stellung der deutschen Schutzgebiete (1903); 
Koebner, Deutsches Kolonialrecht, in Holtzendorff- 
Kohlers Enzyklopädie der Rechtswissenschaft II 
(1904. 1080 ff; v. Hoffmann, Deutsches Kolo- 
nialrecht (1906) 13 ff.) 
2. Subjektiv okkupationsfähig (Subjekte 
der Okkupation) sind nach der älteren Anschauung 
nur Staaten, weil allein diese Subjekte des Völker- 
rechts und somit nur sie fähig sind, derartige 
völkerrechtliche Akte, wie es die Okkupation ist, 
vorzunehmen. Danach kann die Begründung einer 
staatlichen Herrschaft über ein herrenloses Gebiet 
nur erfolgen entweder durch die Organe des be- 
treffenden Staats (auch die Befehlshaber von 
Kriegsflotten gehören selbst ohne Spezialvollmacht 
hierher) oder durch Privatpersonen, Gesellschaf- 
ten usw., wenn sie zur Okkupation ermächtigt sind, 
oder die Besitznahme durch sie nachträglich vom 
Staat genehmigt wird. Solange diese Geneh- 
migung nicht erteilt ist, haben die Besitzer des 
Gebiets nur reine Privatrechte an den von ihnen 
erworbenen Ländereien, die erst durch den Ge- 
nehmigungsakt in Herrschaftsrechte des öffentlichen 
Rechts umgestaltet werden. Allerdings nimmt 
auch diese ältere Ansicht an, daß Private oder 
Gesellschaften einen Staat (z. B. Serawak, Nord- 
  
Okkupation, völkerrechtliche. 
  
1424 
borneo) gründen und ihrer Macht unterstellen 
können, zu einem Mitglied der Völkerrechtsgemein- 
schaft wird ein solcher Staat aber erst durch die 
Anerkennung dritter Staaten. — Auf Grund 
einer Reihe von Präzedenzfällen aber will man 
neuerdings auch die Privatpersonen als Subjekte 
der Okkupation ansehen, ihnen die Fähigkeit zu- 
sprechen, durch Okkupation nicht allein Eigentum 
an Grund und Boden, sondern Gebietshoheit, 
Souveränität zu erlangen. Der Grund hierfür 
liegt in der Erwägung, daß wenn Privatpersonen 
nur Privatrechte erwerben können, sie auch nur in 
der Lage sind, privatrechtliche, nicht aber öffentlich- 
rechtliche Befugnisse an eine staatliche Macht zu 
zedieren, diese somit ihrerseits zur Begründung 
der Gebietshoheit eine besondere Okkupations= 
handlung vornehmen muß. Dem widerspricht aber 
die Tatsache, daß Staaten die Zession von Rechten 
seitens Privatpersonen als hinreichend zur Be- 
gründung ihrer Gebietshoheit ansahen. Wenn 
somit auch Privatpersonen als okkupationsfähig 
anerkannt sind, so wird dadurch der Grundsatz: 
nur Staaten sind Subjekte des Völkerrechts, doch 
nicht erschüttert (uogl. neuestens insbesondere Ull- 
mann, Völkerrecht [19081 § 93). 
III. Die Voraussetzungen der Okkupation 
sind folgende: 
1. Der Okkupant muß die Absicht haben, das 
Gebiet dauernd zu beherrschen. Dieser Wille äußert 
sich in symbolischen Handlungen, wie Hissen der 
Flagge, Anbringung von Wappen usw. Die Er- 
richtung von Anstalten zu rein wissenschaftlichen 
oder Missionszwecken spricht dagegen noch nicht 
für die Okkupationsabsicht. Im Zeitalter der 
Entdeckungen galten schon diese als Okkupation, 
ohne daß es irgend welcher äußerer, die Okku- 
pationsabsicht erkennen lassender Handlungen be- 
durfte. Davon ging auch die bekannte Verleihungs- 
bulle Nikolaus' V. von 1454, die Guinea den 
Portugiesen zusprach, und die Alexanders VI. von 
1493 aus, welche die Neue Welt zwischen Spanien 
und Portugal teilte. Noch in neuester Zeit hält 
die englische Theorie an der Entdeckung wenigstens 
als den Anfang eines Rechtstitels fest, welcher von 
den andern Völkern eine gewisse Zeit hindurch be- 
rücksichtigt werden muß, um dem Entdecker die 
Möglichkeit der wirklichen Okkupation freizulas- 
sen. Im Karolinenstreitfall, der durch päpstlichen 
Schiedsspruch vom 22. Okt. 1885 beigelegt wurde, 
hatte sich Spanien gleichfalls auf sein Entdeckungs- 
recht berufen. « 
2. Zur Absicht, das Gebiet dauernd zu be- 
herrschen, muß des weiteren die tatsächliche 
Herrschaft über dasselbe hinzutreten. Die 
Okkupation muß effektiv sein, d. h. Hand- 
lungen aufweisen, die eine dauernde Erhaltung 
der Staatsgewalt sichern. Hierher gehört nament- 
lich die Einrichtung einer regelmäßigen Regie- 
rung, die Einsetzung von Justiz= und Verwal- 
tungsorganen, ferner Befestigungen, Stationierung 
von Truppen, auch die Erbauung von Hafen-
	        
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