1428
Derartige Verträge sind daher in Wirklichkeit, ab-
gesehen von ihrem etwaigen privatrechtlichen In-
halt, nur Scheinverträge; sie sollen einerseits
der Okkupation den Charakter eines Gewaltakts
nehmen und die Selbständigkeit auch der wilden
Völker anerkennen (deshalb wurden sie gerade von
der Kongokonferenz empfohlen), anderseits den
andern Staaten gegenüber ein Beweis dafür sein,
daß ein Staat bereits das fragliche Gebiet okku-
piert oder seinem Okkupationsrecht vorbehalten
hat, indem die Häuptlinge die Verpflichtung ein-
gingen, ohne Zustimmung des Vertragsstaats
keine „Gebietsabtretungen“ an fremde Regie-
rungen vorzunehmen. Demgemäß sind auch die
Erwerbungen der deutschen Kolonien in Afrika
und auf Neuguinea, ferner die der Marshall= und
Samoa-Inseln trotz der teilweise geschlossenen
Schutzverträge als originär durch Okkupation er-
folgt anzusehen. Eine Ausnahme bildet jener Teil
von Deutsch-Ostafrika, der 1890 vom Sultan von
Sansibar abgetreten wurde, da dieser völkerrecht-
lich als Staatsoberhaupt anerkannt war. Samoa
war zur Zeit der Erwerbung nicht mehr völker-
rechtlich anerkannter Staat, da der bisherige
Herrscher schon den Protektoratsmächten von 1889
(Deutschland, England und Vereinigte Staaten)
gegenüber auf seine Hoheitsrechte verzichtet hatte,
diese drei Mächte aber 1899 das gemeinschaftliche
Protektorat aufhoben und die herrenlosen Inseln
untereinander zur Okkupation verteilten. (Vgl.
hierüber die kolonialrechtliche Literatur, insbeson-
dere G. Meyer, Die staatsrechtliche Stellung der
deutschen Schutzgebiete .„1888); v. Stengel, Die
Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete
[19011; v. Poser u. Groß-Naedlitz, Die rechtliche
Stellung der deutschen Schutzgebiete (1903);
Koebner, Deutsches Kolonialrecht, in Holtzendorff-
Kohlers Enzyklopädie der Rechtswissenschaft II
(1904. 1080 ff; v. Hoffmann, Deutsches Kolo-
nialrecht (1906) 13 ff.)
2. Subjektiv okkupationsfähig (Subjekte
der Okkupation) sind nach der älteren Anschauung
nur Staaten, weil allein diese Subjekte des Völker-
rechts und somit nur sie fähig sind, derartige
völkerrechtliche Akte, wie es die Okkupation ist,
vorzunehmen. Danach kann die Begründung einer
staatlichen Herrschaft über ein herrenloses Gebiet
nur erfolgen entweder durch die Organe des be-
treffenden Staats (auch die Befehlshaber von
Kriegsflotten gehören selbst ohne Spezialvollmacht
hierher) oder durch Privatpersonen, Gesellschaf-
ten usw., wenn sie zur Okkupation ermächtigt sind,
oder die Besitznahme durch sie nachträglich vom
Staat genehmigt wird. Solange diese Geneh-
migung nicht erteilt ist, haben die Besitzer des
Gebiets nur reine Privatrechte an den von ihnen
erworbenen Ländereien, die erst durch den Ge-
nehmigungsakt in Herrschaftsrechte des öffentlichen
Rechts umgestaltet werden. Allerdings nimmt
auch diese ältere Ansicht an, daß Private oder
Gesellschaften einen Staat (z. B. Serawak, Nord-
Okkupation, völkerrechtliche.
1424
borneo) gründen und ihrer Macht unterstellen
können, zu einem Mitglied der Völkerrechtsgemein-
schaft wird ein solcher Staat aber erst durch die
Anerkennung dritter Staaten. — Auf Grund
einer Reihe von Präzedenzfällen aber will man
neuerdings auch die Privatpersonen als Subjekte
der Okkupation ansehen, ihnen die Fähigkeit zu-
sprechen, durch Okkupation nicht allein Eigentum
an Grund und Boden, sondern Gebietshoheit,
Souveränität zu erlangen. Der Grund hierfür
liegt in der Erwägung, daß wenn Privatpersonen
nur Privatrechte erwerben können, sie auch nur in
der Lage sind, privatrechtliche, nicht aber öffentlich-
rechtliche Befugnisse an eine staatliche Macht zu
zedieren, diese somit ihrerseits zur Begründung
der Gebietshoheit eine besondere Okkupations=
handlung vornehmen muß. Dem widerspricht aber
die Tatsache, daß Staaten die Zession von Rechten
seitens Privatpersonen als hinreichend zur Be-
gründung ihrer Gebietshoheit ansahen. Wenn
somit auch Privatpersonen als okkupationsfähig
anerkannt sind, so wird dadurch der Grundsatz:
nur Staaten sind Subjekte des Völkerrechts, doch
nicht erschüttert (uogl. neuestens insbesondere Ull-
mann, Völkerrecht [19081 § 93).
III. Die Voraussetzungen der Okkupation
sind folgende:
1. Der Okkupant muß die Absicht haben, das
Gebiet dauernd zu beherrschen. Dieser Wille äußert
sich in symbolischen Handlungen, wie Hissen der
Flagge, Anbringung von Wappen usw. Die Er-
richtung von Anstalten zu rein wissenschaftlichen
oder Missionszwecken spricht dagegen noch nicht
für die Okkupationsabsicht. Im Zeitalter der
Entdeckungen galten schon diese als Okkupation,
ohne daß es irgend welcher äußerer, die Okku-
pationsabsicht erkennen lassender Handlungen be-
durfte. Davon ging auch die bekannte Verleihungs-
bulle Nikolaus' V. von 1454, die Guinea den
Portugiesen zusprach, und die Alexanders VI. von
1493 aus, welche die Neue Welt zwischen Spanien
und Portugal teilte. Noch in neuester Zeit hält
die englische Theorie an der Entdeckung wenigstens
als den Anfang eines Rechtstitels fest, welcher von
den andern Völkern eine gewisse Zeit hindurch be-
rücksichtigt werden muß, um dem Entdecker die
Möglichkeit der wirklichen Okkupation freizulas-
sen. Im Karolinenstreitfall, der durch päpstlichen
Schiedsspruch vom 22. Okt. 1885 beigelegt wurde,
hatte sich Spanien gleichfalls auf sein Entdeckungs-
recht berufen. «
2. Zur Absicht, das Gebiet dauernd zu be-
herrschen, muß des weiteren die tatsächliche
Herrschaft über dasselbe hinzutreten. Die
Okkupation muß effektiv sein, d. h. Hand-
lungen aufweisen, die eine dauernde Erhaltung
der Staatsgewalt sichern. Hierher gehört nament-
lich die Einrichtung einer regelmäßigen Regie-
rung, die Einsetzung von Justiz= und Verwal-
tungsorganen, ferner Befestigungen, Stationierung
von Truppen, auch die Erbauung von Hafen-