1469
auch die formelle Absetzung der habsburgischen
Dynastie und die Ernennung Kossuths zum Dik-
tator. Der Traum des ungarischen Nationalstaats
war rasch ausgeträumt. Am 13. Aug. 1849
streckte die ungarische Insurrektionsarmee bei Vila-
gos gegenüber einem russischen Heer die Waffen.
Die ungarische Verfassung wurde als durch die
Empörung verwirkt erklärt. Der Verwirklichung
der österreichischen Gesamtstaatsidee schien nichts
mehr im Weg zu stehen. Es war das Unglück Oster-
reichs, daß man sie in diesem Augenblick nicht
mit seinen Völkern, sondern nur im Gegensatz
zu ihnen durchführen konnte und wollte. Der
Schwarzenbergsche Verfassungsentwurf konntenicht
ins Leben treten, da weder die mit der Verfassung
Bedachten noch die Hofkreise, in denen wieder
antikonstitutionelle Strömungen zur Vorherrschaft
gelangt waren, ihn wollten. So wurde 1851 die
Verfassung wieder zurückgenommen und 10 Jahre
hindurch bis 1861 der Versuch gemacht, in Oster-
reich den aufgeklärten Absolutismus fortzusetzen,
obwohl die ganze west- und mitteleuropäische
Staatenwelt sich bereits konstitutioneller Regierun-
gen erfreute. Die begabtesten Staatsmänner und
Verwaltungsorganisatoren, Schwarzenberg, Leo
Thun, Bach, Bruck, wurden für dieses System
aufgebraucht, die Grundlagen der noch heute be-
stehenden Verwaltungsorganisation geschaffen, auf
allen Gebieten der innern Verwaltung Großes
und Dauerndes geleistet. Das System war nicht
zu halten. Der moderne Staat mit der ungeheuren
Steigerung seiner Aufgaben läßt sich ohne organi-
sierte Mitwirkung seiner Bürger nicht mehr ver-
walten. Diese Erkenntnis, für die die meisten Völker
mehr oder weniger Lehrgeld zahlen mußten, wurde
für Osterreich doppelt empfindlich durch die
Schwierigkeiten seiner internationalen Lage und
durch die katastrophale Gestaltung seiner Finanzen.
Im Deutschen Bund gelang es Osterreich an-
fangs noch, durch die tatkräftige Politik Schwarzen-
bergs und die Schwäche der preußischen Regierung
sein ererbtes Ubergewicht zu behaupten. Der Ein-
tritt Bismarcks aber in die preußische Regierung
und die Übernahme der Regentschaft durch den
Prinzen von Preußen brachten sofort die großen
natürlichen Vorteile Preußens im Kampf um die
Vorherrschaft in Deutschland zur Geltung. In
der orientalischen Frage, die durch den Angriff
Rußlands auf die Türkei und das Eingreifen der
Westmächtezuderen Schutz im Krimkrieg (185 3/56)
sich zuspitzte, beobachtete Osterreich, an dessen Hof
eine franzosenfreundliche Partei mit dem Minister
des Außern Graf Buol und eine russenfreund-
liche mit Fürst Windischgrätz an der Spitze um
den Einfluß rangen, eine höchst unglückliche Politik
der bewaffneten Neutralität, die beide streitenden
Parteien, besonders aber Rußland unbefriedigt
ließ und Osterreich außerordentliche Geldopfer
kostete. Die politische Isolierung Osterreichs nach
dem Krimkrieg benutzte Piemont, um im Bund
mit Napoleon III. Osterreich in einem kurzen, aber
Osterreich-Ungarn.
1470
blutigen Krieg 1859 aus Italien zu verdrängen
und die Einigung dieses Landes unter savoyscher
Dynastie zu begründen. Die Heeresaufstellungen
während des Krimkriegs und die Kosten des
italienischen Kriegs hatten die österreichischen
Finanzen vollkommen zerrüttet. Das Währungs-
silber hatte ein Agio von 53 % erreicht, wodurch
das Silbergeld, ja vielfach sogar die Scheide-
münzen aus dem Verkehr vertrieben worden waren.
Die gesamte Staatsschuld hatte sich von 1847/58
von 1131 Mill. Gulden W. W. auf 2036 Mill.
gehoben und stieg bis 1867 um eine weitere
Milliarde.
Die innere Verwaltung dieser Periode hatte
in A. Bach ihren genialen, aber doktrinären Reor-
ganisator gefunden. Die wichtigsten Schritte sind:
Trennung von Justiz und Verwaltung auch in
den mittleren Instanzen, Beseitigung der Reste der
Patrimonialgerichtsbarkeit, Organisation der poli-
tischen Gemeinden durch Zusammenlegung aus
den grundherrschaftlichen Gemeinden; ferner das
große Werk der Grundentlastung, die rascher und
unter weitaus günstigeren Bedingungen für die
Verpflichteten durchgeführt wurde als in den
deutschen Staaten. Auf dem Gebiet der Unter-
richtsverwaltung Reorganisation des Hochschul-
und Mittelschulwesens durch Leo Thun (Gymnas.
Organisat. Entwurf 1849). In der Kultuspolitik
wurde mit dem josephinischen System gebrochen.
Durch kaiserliche Verordnung des Jahres 1850
wurde das Placetum regium beseitigt, die geist-
liche Strafgewalt der kirchlichen Behörden, der
bischöfliche Einfluß auf die Heranbildung des
Klerus und den Religionsunterricht in vollem
Umfang wieder hergestellt. Das 1855 mit der
römischen Kurie geschlossene Konkordat anerkennt
wieder das Koordinationsverhältnis von Staat
und Kirche. Es stellt die Geltung des kanonischen
Rechts in Ehesachen der Katholiken wieder her,
bestimmt für die katholische Jugend konfessionelle
Schulen unter Mitaussicht der geistlichen Behörden
und erweitert die bischöfliche Jurisdiktion in
Straf= und Patronatssachen. Hingegen wurden
auch dem Staat wertvolle Rechte eingeräumt, so
das kaiserliche Nominationsrecht für beinahe alle
österreichischen Bischofssitze, die staatliche Ge-
nehmigung für Ordensniederlassungen und für
Anderungen in der Einteilung der Diözesen und
Pfarrsprengel.
Der Hebung der materiellen Kultur dienten
der Ausbau und die Verstaatlichung eines Teils
des Eisenbahnnetzes, die Beseitigung der Zwischen-
zölle gegen Ungarn, der Übergang zur Handels-
vertragspolitik. Die neue Gewerbeordnung von
1859 brachte als Vorbote der liberalen Ara Ge-
werbefreiheit. Die unglückliche Außen- und Finanz-
politik, die durch den bureaukratischen Zug in der
innern Verwaltung und den starken Polizeidruck
erregte Unzufriedenheit der Bevölkerung bereiteten
schon Ende der 1850erJahre einen Systemwechsel
vor, der den liberalen Elementen des Jahres 1848