Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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sich auf Pflichten und Verhältnisse der einzelnen 
Länder Telihen urr beziehen; 14) die Gesetz- 
gebung betreffend die Form der Behandlung der 
durch die Vereinbarung mit den ungarischen Län- 
dern als gemeinsam festgestellten Angelegenheiten. 
Zu jedem Gesetz ist die Übereinstimmung beider 
Hüfer und die Sanktion des Kaisers erforderlich. 
as Staatsgrundgesetz über die Reichsvertretung 
enthält jedoch auch einen Notparagraphen 
G 14), der die Regierung berechtigt, im Fall 
dringender Notwendigkeit, und falls der Reichsrat 
nicht versammelt ist, Anordnungen, welche die 
verfassungsmäßige Zustimmung des Reichsrats 
erfordern, durch kaiserliche Verordnung zu erlassen. 
Doch darf durch diese kein Staatsgrundgesetz ab- 
geändert werden, keine dauernde Belastung des 
Staatsschatzes und keine Veräußerung von Staats- 
gut erfolgen. Diese Verordnungen haben provi- 
sorische Gesetzeskraft, bis sie von dem wiederver- 
sammelten Reichsrat angenommen oder abgelehnt 
worden sind. Von diesem Notverordnungsrecht 
ist in den Obstruktionsjahren ausgiebiger Ge- 
brauch gemacht worden. Den Mitgliedern des 
Reichsrats kommt Immunität zu wegen der in 
Ausübung ihres Mandats geschehenen Abstim- 
mungen und Außerungen. Gerichtliche Verfolgung 
wegen Übertretungen des Strafgesetzes kann nur 
mit Zustimmung des Abgeordnetenhauses gegen 
sie eingeleitet werden. Die Abgeordneten beziehen 
während der Tagung des Hauses Taggelder 
(20 K) und Reisekostenentschädigungen. Die Ge- 
schäftsordnung beider Häuser ist geregelt durch 
das Geschäftsordnungsgesetz vom 12. Mai 1873 
und die Geschäftsordnungsbeschlüsse des Herren- 
hauses vom 25. Okt. 1875 und des Abgeordneten- 
hauses vom 2. März 1875. Das Präsidium des 
Herrenhauses (1 Präsident, 2 Vizepräsidenten) 
wird vom Kaiser ernannt, das des Abgeordneten- 
hauses (1 Präsident, 7 Vizepräsidenten) gewählt. 
Der Präsident vertritt das Haus nach außen, 
leitet die Vollversammlungen und übt die Diszi- 
plinargewalt aus. Disziplinarmittel sind Ruf 
zur Sache oder zur Ordnung, Entziehung des 
Worts und Einsetzung eines Mißbilligungsaus- 
schusses. Gegenstand der Verhandlungen sind: 
Regierungsvorlagen, Initiativanträge von Ab- 
geordneten oder Ausschüssen des Hauses, Inter- 
pellationen und Petitionen. Den Regierungsvor- 
lagen kommt der Vorrang in der Tagesordnung 
zu, Initiativanträge müssen von 20 Abgeordneten, 
Interpellationen von 15 Abgeordneten unterfertigt 
sein. Über Interpellationen kann eine Debatte 
abgeführt werden, jedoch dürfen hierbei keine An- 
träge gestellt werden. Petitionen müssen von einem 
Mitglied des Hauses überreicht werden. Gesetz- 
entwürfe werden einer dreifachen Lesung im Ple- 
num und zwischen den ersten zwei Lesungen der 
Ausschußberatung unterzogen, doch müssen über 
Beschluß einer Zweidrittel-Mehrheit gehörig unter- 
stützte Anträge sofort in Beratung gezogen werden 
(Dringlichkeitsanträge). Zur Beschlußfassung ist 
Osterreich-Ungarn. 
  
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im Abgeordnetenhause die Anwesenheit von 100, 
im Herrenhause von 40 Mitgliedern und einfache 
Mehrheit gefordert. Beschlüsse über Abänderung 
von Staatsgrundgesetzen erfordern im Abgeord- 
netenhause die Anwesenheit von mindestens der 
Hälfte der Mitglieder und in beiden Häusern Zwei- 
drittel-Mehrheit. Zur Abänderung gewisser Be- 
stimmungen des neuen Wahlgesetzes ist die An- 
wesenheit von mindestens 343 Abgeordneten erfor- 
derlich. Durch ein Gesetz vom 21. Dez. 1909 wurde 
provisorisch für 1 Jahr die Disziplinargewalt des 
Präsidenten verschärft (Ausschließung von Abge- 
ordneten für 3 Sitzungstage) und derselbe ermäch- 
tigt, Dringlichkeitsanträge auch während oder erst 
nach der Behandlung der Tagesordnung in Ver- 
handlung zu ziehen. Hierdurch soll die Obstruk- 
tionsmöglichkeit für kleine Gruppen ausgeschaltet 
und der Versuch gemacht werden, während dieses 
Jahrs eine brauchbare definitive Geschäftsordnung 
einzuführen. 
Die Rechtsstellung der Landesvertretun- 
gen beruht auf den Landesordnungen vom 
26. Febr. 1861 und dem Staatsgrundgesetz vom 
21. Dez. 1867. Die 17 Kronländer sind Ge- 
bietskörperschaften mit Gesetzgebungs= und Ver- 
waltungsrecht. Die Gesetzgebungskompetenzen um- 
fassen 1)jene Gegenstände, die gesetzlich ausdrücklich 
der Landesgesetzgebung vorbehalten sind; 2) jene 
Gegenstände, in denen die Reichsgesetzgebung die 
allgemeinen Grundsätze feststellt, während den 
Ländern die näheren Anordnungen vorbehalten 
sind (Gemeindegesetzgebung, Volksschulgesetzge- 
bung usw.). In die Verwaltungskompetenz der 
Landtage fällt die Verwaltung des Landesver- 
mögens, die Feststellung des Landeshaushalts, 
das Recht, Zuschläge zu den Staatssteuern (über 
eine gewisse Höhe mit kaiserlicher Genehmigung) 
einzuheben bzw. eigne Landesabgaben zu erheben, 
und die Verwaltung der Landeswohlfahrts= und 
Kulturanstalten und Einrichtungen; ferner die 
Überwachung der Vermögensgebarung der Be- 
zirke und Gemeinden sowie die Entscheidung über 
Beschwerden gegen Verfügungen derselben. Landes- 
gesetze bedürfen der kaiserlichen Sanktion. Die 
Landtage werden nach Kurien auf Grund der 
Interessenvertretung und Steuerleistung gewählt, 
doch wurde den meisten Landtagen in den letzten 
Jahren eine Kurie des allgemeinen Stimmrechts, 
in der allerdings meist auch die privilegierten 
Wähler zum zweitenmal wahlberechtigt sind, an- 
gegliedert. Den Vorsitz im Landtag führt der vom 
Kaiser ernannte Landmarschall oder Landeshaupt- 
mann, die Geschäftsbehandlung schließt sich eng 
der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses an. 
Zur Besorgung seiner Verwaltungsagenden wählt 
der Landtag als ständiges Organ den Landes- 
ausschuß, der ihm hierfür verantwortlich ist. 
Als untere autonome Verbände allgemeiner 
Kategorie erscheinen auf Grund des Gemeinde- 
gesetzes vom 5. März 1862 die Ortsgemein- 
den und in den drei Kronländern Steiermark,
	        
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