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reichsdeuischen Pastoren unter dem Deckmantel
des Kampfs gegen den Klerikalismus und gegen
den römischen Internationalismus inszenierte Ab-
fallsbewegung gegen die katholische Kirche (Los
von Rom-Bewegung) führte zwar zu einer starken
Vermehrung der protestantischen Gemeinden und
Predigtstationen, muß aber schon jetzt in An-
betracht der ausgewendeten Personal= und Finanz-
mittel als gescheitert betrachtet werden.
2. Die Verfassung der protestantischen
Kirche ist geordnet durch Gesetz vom 15. Dez.
1891. Als Organ des landesfürstlichen Kirchen-
regiments für beide evangelischen Bekenntnisse
(Augsburger und Helvetisches) fungiert der Ober-
kirchenrat. Die Kirchenverwaltung ist aufgebaut
auf der Pfarrgemeinde (Presbyterium und Ge-
meindeversammlung). Zweite Stufe ist das
Seniorat (Senior, Senioratsausschuß und Se-
nioratsversammlung), dritte Stufe die Super-
intendenz. Als höchstes Organ fungiert die
Generalsynode. Die evangelische Kirche zählt
10 Superintendenzen, 20 Seniorate, 268 Pfarren
und 346 Seelsorger. Die griechisch-orien-
talische Kirche zählt 1 Erzbistum (Czernowitz),
2 Bistümer in Dalmatien und 361 Pfarren. Die
Israeliten besitzen 555 Kultusgemeinden.
Dieselben werden von gewählten Vorständen unter
Staatsaufsicht verwaltet.
Die interkonfessionellen Verhält-
nisse sind durch das Gesetz vom 25. Mai 1868
geregelt. Hiernach ist das Religionsbekenntnis der
Eltern auch das ihrer Kinder bis zum 7. Lebens-
jahr. Zwischen dem 7. und 14. Lebensjahr ist ein
Religionswechsel nicht zulässig, nach diesem Zeit-
punkt genügt hierfür eine Anzeige an die Ver-
waltungsbehörde des Wohnsitzes. Die Seelsorger
einer Konfession dürfen an Angehörigen anderer
Konfessionen ohne ausdrückliches Ersuchen der-
selben keine seelsorgerlichen Funktionen vornehmen,
Angehörige einer Konfession können zu Beiträgen
für Zwecke anderer Konfessionen, die nicht auf
privatrechtlichen Titeln beruhen, nicht herangezogen
werden. Keine Religionsgemeinschaft kann den
nicht ihrer Konfession Angehörigen das anständige
Begräbnis auf ihren Friedhöfen verweigern, falls
diese hier ein Familiengrab besitzen oder sich in
dieser Ortsgemeinde kein Friedhof der betreffenden
Konfession befindet.
Neue Religionsgesellschaften können durch Ver-
ordnung des Kultusministers anerkannt werden,
wenn der Bestand mindestens einer Kultusge-
meinde gesichert ist und das betreffende Religions-
bekenntnis nichts sittlich Anstößiges enthält. Das
Verhältnis der Kirche zur Schule ist durch Gesetz
vom 25. Mai 1868 geregelt. Hiernach steht dem
Staat die oberste Leitung und Beaufsichtigung
des gesamten Unterrichtswesens zu. Im Rahmen
derselben verbleibt den Religionsgesellschaften die
Besorgung und Beaufsichtigung des Religions=
unterrichts in den Volks= und Mittelschulen. Der
Unterricht in den übrigen Lehrgegenständen ist
Osterreich-Ungarn.
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unabhängig von dem Einfluß jeder Kirche, doch
ist nach dem Reichsvolksschulgesetz von 1869 die
sittlich-religiöse Erziehung Aufgabe der Volks-
schule. Es steht jeder Religionsgesellschaft frei,
aus ihren Mitteln Schulen für den Unterricht der
Jugend von bestimmten Glaubensbekenntnissen zu
errichten. Die vom Staat oder den autonomen
Körperschaften errichteten Schulen stehen den Kin-
dern aller Religionsbekenntnisse offen; die Lehr-
stellen an denselben sind allen Staatsbürgern, die
die gesetzlich vorgeschriebene Lehrbefähigung nach-
weisen, zugänglich. Nur Religionslehrer bedürfen
der Bestätigung durch die betreffende kirchliche
Behörde. Lehrbücher der weltlichen Gegenstände
bedürfen nur der Genehmigung der Unterrichts-
verwaltung. In den Schulaufsichtsbehörden sind
auch die Geistlichen aller Konfessionen vertreten,
doch wird die allgemeine Schulaufsicht von aus
dem Lehrstand hervorgegangenen Schulinspektoren
und nur im Religionsunterricht von der kirchlichen
Oberbehörde geübt.
Durch die Aufhebung des Konkordats sind für
das Eherecht wieder die Bestimmungen des
B. G. B. in Kraft getreten. Hiernach betrachtet
der Staat die Ehe als ein staatliches Institut und
unterstellt sie seiner Rechtsprechung. Er trägt der
kirchlichen Auffassung aber insoweit Rechnung,
als er die staatliche Anerkennung an die Form der
kirchlichen Eheschließung knüpft und das staatliche
Forum zur Eheschließung nur dann zur Ver-
fügung stellt, wenn sich der konfessionelle Seel-
sorger aus vom Staat nicht anerkannten Gründen
weigert, die Trauung vorzunehmen (Notzivilehe).
Er erklärt ferner die Ehe dem Bande nach für un-
lösbar, wenn auch nur einer der beiden Teile zur
Zeit der Eheschließung katholisch war, und er an-
erkennt das Ehehindernis der Priesterweihe und
der vota sollemnia. Die Matrikenführung wird
vom Klerus aller Konfessionen im Auftrag des
Staats besorgt.
Das gesamte Unterrichtswesen in Oster-
reich steht unter staatlicher Leitung und Aufsicht,
jedoch wird nur ein Teil der Schulen vom Staat
erhalten. Staatlich sind alle Universitäten, bei-
nahe alle andern Hochschulen, ein Teil der Mittel-
chulen und nur ganz wenige Volksschulen. Ein
anderer Teil der Mittelschulen wird von Ländern
und Gemeinden, wieder ein anderer von Fach-
korporationen und Privaten erhalten. Die Ele-
mentarschulen werden teils von den Gemeinden
teils von eignen Schulverbänden und den Ländern
erhalten. Die Grundzüge der Organisation des
Volksschulwesens sind im Gesetz vom 14. Mai
1869 gegeben. Die näheren Ausführungen über
Errichtung und Erhaltung der Schulen und über
die Verhältnisse der Lehrpersonen sind durch die
Landesgesetzgebung gegeben. Für die Volksschule
besteht Schulzwang, die Schulpflicht dauert vom
6. bis 14. Lebensjahr. Der Unterricht ist in den
meisten Kronländern unentgeltlich. Trotzdem ist
in Osterreich die Zahl der Analphabeten sehr groß:
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