Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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ziehungen soll eine dem Rechte der Kirche abträg- 
liche Anderung nur im Einverständnisse beider 
Gewalten verfügt werden. Die Kirche bietet, 
überall unter Wahrung ihrer Prinzipien, dem 
Staate die Hand zu einer ihm staatlichen Interesse 
notwendig erscheinenden Anderung der beider- 
seitigen Beziehungen sowie auch zu deren durch- 
gängiger vertragsmäßiger Reglung. Abgesehen 
davon, sind die Konkordate eine politische Not- 
wendigkeit, wenn ein zwischen Staat und Kirche 
ausgebrochener Konflikt rechtlich ausgetragen und 
nicht nur ausgesetzt werden soll (vgl. auch die Art. 
Kirchengewalt, landesherrliche; Staatskirchentum). 
XXI. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, 
daß die Ordnung der zwischen Staat und Kirche 
obwaltenden Beziehungen im einzelnen Falle nicht 
so leicht sein kann, als dies nach den Lehren der 
Theorie zu sein scheint. Es können sich hier die 
mannigfachsten Schwierigkeiten ergeben: 
Kollisionen der beiderseitigen Rechte und In- 
teressen, die Erfolglosigkeit eingeleiteter Verhand- 
lungen, staatsrechtliche Bedenken gegen die An- 
wendbarkeit des Begriffs von ius quaesitum 
auf öffentlich-rechtliche Verhältnisse (ugl. Abschn. 
XX, 7), die Rücksicht auf die Stimmung des 
Volkes, auf die verschiedensten Faktoren der 
äußern wie der innern Politik, der Bestand von 
dem Buchstaben nach kirchenfeindlichen Staats- 
grundgesetzen, welche gleichwohl nicht kurzerhand 
abgeändert werden können, die Existenz anderer 
Religionsgenossenschaften im Lande, deren Zahl 
und Stärke, die Unzulänglichkeit der staatlichen 
Finanzen, endlich die Unmöglichkeit, die höchste, 
gleiche Selbständigkeit fordernde Instanz mit 
rechtlicher Wirksamkeit zu kontrollieren oder zu 
inhibieren. So erscheint unter allen Umständen 
ein ruhiger, leidenschaftsloser Blick nötig, um das 
Verhältnis zwischen Kirche und Staat entsprechend 
zu würdigen, und beiderseitiger guter Wille, ge- 
paart mit Verständnis für die Interessen und 
Ansprüche des andern Teils, um das Verhältnis 
zu einem friedlichen zu gestalten: Koexistenz, wenn 
nicht Harmonie! 
Literatur. Außer der bereits angeführten mögen 
hier noch vermerkt werden: Horoy, Des rapports 
du sacerdoce avec Dautorité civile (2 Bd 
Par. 1882); v. Hammerstein S. J., K. u. S. vom 
Standpunkte des Rechts (1883); De ecclesia 
et statu iuridice consideratis (Trier 1886); 
Ad. Franck, Philosophie du droit ecclésiast.: 
Des rapports de la religion et de D’état (Par. 
1884); Quilliet, De civilis potestatis origine 
(Lille 1893); Phillips, Kirchenrecht III (1848) 
1/569; v. Scherer, Handbuch des Kirchenrechts 1 
(1886) 27/110. 
Auf seiten der Protestanten: H. V. Schulze, 
Staat u. Christentum in ihren gegenseitigen Ver- 
hältnissen (1867); Friedberg, Die Grenzen zwischen 
Staat u. Kirche u. die Garantien gegen deren Ver- 
letzung (1872); Zeller, Staat u. Kirche (1873); 
Sohm, Verhältnis von Staat u. Kirche aus dem 
Begriffe von Staat u. Kirche entwickelt (Sep.= 
Abdr. aus der Zeitschrift für Kirchenrecht 1873); 
76 
— 
Kirchenamt. 
  
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Geffcken, Staat u. Kirche (1875); Hinschius, 
Allg. Darstellung der Verhältnisse von Staat u. 
Kirche, in Marquardsens Handbuch des öffentl. 
Rechts der Gegenwart 1 1 (1883), 187/372. 
Lv. Scherer.) 
Kirchenamt. lBegriff; Kirchenamt, Bene- 
fizium, Pfründe; Einteilung; Errichtung und 
Aufhebung; Besetzung; Erledigung.) 
1. Begriff. Das Kirchenamt (offcium eccle- 
siasticum) ist ein von der kirchlichen Rechtsord- 
nung fest und dauernd bestimmter Kreis von 
Funktionen, zu dessen Verwaltung nur ein Kle- 
riker berufen werden kann, und welcher diesem 
(dem Amtsträger, Kirchenbeamten, Kirchenorgan, 
persona ecclesiastica) entweder einen Anteil 
an der Ausübung der Kirchengewalt gewährt oder 
wenigstens solche Geschäfte umfaßt, die als Hilfs- 
sunktionen die Ausübung der Kirchengewalt vor- 
bereiten oder unterstützen sollen. Der Kreis der 
Amtsfunktionen, welche dem jeweiligen Amts- 
träger obliegen, welche er zu verwalten verpflichtet 
und berechtigt wird, ist vom objektiven Rechte 
bleibend und dauernd festgestellt; das Kirchenamt 
bedeutet seinem Wesen nach einen dauernden und 
regelmäßigen Bestandteil des kirchlichen Verwal- 
tungsorganismus; dieser stabile Charakter des 
Kirchenamtes als einer bleibenden kirchlichen Ein- 
richtung mit fest bestimmten Aufgaben unter- 
scheidet das Kirchenamt von der Stellung eines 
Klerikers, welcher von einem kirchlichen Amts- 
träger vorübergehend mit der Verwaltung kirch- 
licher Funktionen beauftragt wird, deren Dauer 
und Umfang vom Belieben des letzteren abhängen. 
Obwohl bleibende, für die Dauer geschaffene In- 
stitutionen der Kirche, sind die einzelnen Kirchen- 
ämter doch nur Gebilde der geschichtlichen Ent- 
wicklung, welche in der Kirche nicht mit Notwen- 
digkeit, ex iure divino, sondern „nur kraft 
menschlichen Rechts“ (Hinschius) bestehen und 
deshalb nach dem Zeugnisse der Geschichte als 
Schöpfungen der kirchlichen Rechtsentwicklung 
weder unveränderlich noch der Aufhebung durch 
die kirchliche gesetzgebende Autorität entrückt sind. 
Eine Ausnahme kann nur für den Primat des 
Papstes und das Bischofsamt behauptet werden, 
welche im göttlichen Rechte begründete fundamen- 
tale Institutionen des kirchlichen Regierungs- 
organismus, also nach dem Dogma der Kirche 
absolut notwendige, in ihrem Wesen unveränder- 
liche Amter sind. 
Wenn wir von dem Amte des Papstes absehen, 
dessen primatiale Stellung ihn verpflichtet, seine 
Gewalt in der gesamten Kirche zu üben, so ist 
jedem Kirchenamt auch ein bestimmter örtlicher 
Wirkungskreis vorgezeichnet, ein Amtsbezirk 
(Sprengel), innerhalb dessen der Amtsträger seine 
Funktionen zu verwalten berechtigt bzw. ver- 
pflichtet ist. Eigenmächtige Ausübung der Amts- 
befugnisse außerhalb des Amtssprengels ist immer 
unerlaubt und kann sogar die Nichtigkeit des 
Aktes begründen. Der Inbegriff der mit einem
	        
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