Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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ins Gewicht. Desgleichen wird in sozialer Be- 
ziehung der Eigenwirtschaft der Vorzug zu geben 
sein, indem von dem intensiveren Interesse des 
Eigentümers an dem Verhältnis zur Bevölkerung, 
namentlich zur Arbeiterschaft, zu Gemeinde und 
Kommunalverband, durchschnittlich nach dieser 
Richtung günstigere Wirkungen erwartet werden 
dürfen. Dagegen dürfte mehr der Besitz als die 
Betriebsform für die persönliche soziale Stellung 
des Wirtschafters entscheidend sein. — Auch daß 
unter den erwähnten Voraussetzungen vom privat- 
wirtschaftlichen Standpunkt aus die Selbstbewirt- 
schaftung, wo sie ausführbar ist, der Verpachtung 
vorzuziehen ist, bedarf keiner weiteren Darlegung; 
kommt doch bei jener dem Wirtschafter neben dem 
auf den Naturfaktor entfallenden Teil des Rein- 
ertrags, der Landrente, der Arbeitsertrag ebenso 
zugute, wie er dem Pächter zufällt. Indessen 
wird man im allgemeinen annehmen dürfen, daß 
die Notwendigkeit, dem Verpächter den Pachtzins 
entrichten zu müssen, den Pächter zu intensiverer 
Arbeit anspornen wird, als sie der Eigenwirt- 
schafter zu entwickeln pflegt, ein Umstand, der 
auch volkswirtschaftlich nicht bedeutungslos ist. 
Die Statistik zeigt auch, daß in Deutschland die 
Pachtung dort am verbreitetsten ist, wo der Be- 
trieb am intensivsten sich entwickelt hat. „Der 
Eigentümer pflegt, wenn er arm ist, knauseriger 
zu wirtschaften als der Pächter; wenn er reich ist, 
verschwenderischer.“ — Die volkswirtschaftlichen 
Nachteile des Pachtbetriebs zeigen sich am deut- 
lichsten bei der Zeitpacht, und dort namentlich 
dann, wenn die Pachtperiode ihrem Ende zugeht 
oder überhaupt kurz ist. In diesen Fällen wird 
der Pächter zu eignen Aufwendungen kaum sich 
verstehen, in den von dem Eigentümer unter- 
nommenen Meliorationsarbeiten aber oft genug 
eine Störung seines Betriebs erblicken und mit- 
hin ihnen Hindernisse bereiten, da ihm nur in 
seltenen Fällen noch die Vorteile zufließen. Diese 
Schattenseiten sind daher nur zu vermeiden, wenn 
der Pächter nach beiden Richtunger sichergestellt ist; 
die Bestimmungen des B.G. B. dürften in dieser 
Beziehung als praktisch anzusprechen sein. Auch 
zeigt sich in jenen Fällen häufig bei den Pächtern 
die Neigung, schädlichen Raubbau zu treiben; auch 
in dieser Richtung ist durch die mitgeteilten Vor- 
schriften des B.G.B., soweit dies durch Gesetz 
überhaupt geschehen kann, ausreichend Vorkehrung 
getroffen. Am wirksamsten würden die etwaigen 
Nachteile abgewehrt, wenn „dem Pächter, so viel 
wie möglich, dieselbe Sicherheit der Kapitalver- 
wendung und dieselbe Freiheit und Würde der 
Arbeit“ gewährt würde, wie sie der selbstwirt- 
schaftende Eigentümer besitzt. Diese Forderung 
erfüllte das Institut der Erbpacht unter gewissen 
ganz heilsamen Einschränkungen der Bewegungs- 
freiheit des Erbpächters besser als die Zeitpacht. 
Es wird daher heute fast allgemein als ein legis- 
latorischer Fehler betrachtet, daß dasselbe fast 
allerwärts ausgehoben ist (ogl. unter I, 2) und 
Pacht. 
  
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in den Rentengütern nur einen unvollkommenen 
Ersatz erhalten hat. Die angedeuteten Nachteile 
lassen sich nur auf dem Weg langfristiger Pacht- 
verträge einigermaßen vermeiden, eine Maßregel, 
auf welche der Gesetzgebung keine oder wenigstens 
nur eine sehr mäßige Einwirkung zu verschaffen 
möglich sein dürfte. Es muß schon als ein sozial 
und volkswirtschaftlich verdienstvolles Beginnen 
anerkannt werden, wenn das B.G.B. die Möglich- 
keit der vorzeitigen Endigung seitens des Ver- 
pächters tunlichst einschränkt, insbesondere den 
Pächter, außer, wie ganz gerechtfertigt, gegen die 
Folgen seines eignen Verschuldens in hohem 
Maß sicherstellt. — Das im vorstehenden Ge- 
sagte gilt gleichmäßig von der Naturalienpacht 
wie von der Geldpacht. Tiefer als beide steht der 
Teilbau mit gewissen Ausnahmen. Indem dieses 
System dem Grundherrn nur eine wechselnde, also 
unsichere Rente bringt, ihm dauernd die Quelle 
zu Mißtrauen wegen Veruntreuung ist, von dem 
Wirtschafter anderseits um so drückender empfunden 
wird, je intensiver und lohnender dessen Arbeit, 
je größer also das abzugebende Quantum des 
Rohertrags ist, befriedigt es nicht nur keinen der 
beiden Teile, es leidet dazu auch noch an dem 
nationalökonomischen Fehler, daß keiner von beiden 
Teilen erhebliche Opfer für Verbesserungen zu brin- 
gen geneigt ist, die ja doch zur Hälfte dem andern 
zugute kommen. Nur da, wo es sich um die Nutzung 
perennierender Kulturpflanzen (Obst-, Ol-, Maul- 
beer-, Kaffee= usw. Bäume, Weinstöcke u. dgl.) han- 
delt, ist der Teilbau angebracht und kann von 
Nutzen sein; daher ist er auch, wie oben (I, 2) 
bereits bemerkt, noch im ganzen südlichen Europa, 
namentlich in Italien und Südfrankreich, ferner 
in Vorderasien und Japan weit verbreitet (vogl. 
ferner unter V, 2). 
2. Am deutlichsten ergibt sich die soziale und 
volkswirtschaftliche Bedeutung der Pacht aus ihrer 
der Statistik zu entnehmenden tatsächlichen 
Verbreitung. Die statistischen Erhebungen 
darüber sind in den verschiedenen Staaten nach 
verschiedenen Grundsätzen, dem eignen Bedürfnis 
angepaßt, angestellt, so daß ein Vergleich der Er- 
gebnisse untereinander nur in sehr beschränktem 
Maß möglich ist. Österreich, Italien, Schweiz, 
Portugal haben nur für Teile ihres Staatsgebiets 
Erhebungen, bleiben also im folgenden außer 
Betracht. Nur möge hier bemerkt sein, daß nach 
dem Handbuch der politischen Okonomie von 
Schönberg in Italien noch im Jahr 1871 neben 
1532 795 kleinen Grundeigentümern, welche selbst 
ihr eignes Besitztum bewirtschafteten, sich 1 503 476 
Teilbauern fanden. 
In Deutschland ist die Ausdehnung der 
Pacht und ihre Entwicklung gemäß den letzten Be- 
rufs= und Betriebszählungen aus den Tabellen auf 
Sp. 1523 zu ersehen. 
Gegen das Jahr 1895 hat also die Zahl der Be- 
triebe mit Pachtland wie auch die gepachtete Fläche 
zugenommen, aber auch die Zahl der Betriebe mit 
ausschließlich eignem Land. Die eigenbewirtschaftete 
Fläche und das nicht verpachtete Land haben da- 
gegen an Umfang abgenommen. Vergleicht man
	        
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