Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

1559 
Familien Grundstücke zur lebenslänglichen Nutz- 
nießung. Auch die Häuser wurden von der Ge- 
meinde gebaut und ausgebessert, wenn die Feld- 
arbeit ruhte. Getreide, Salz, Fleisch, Tee wurden 
regelmäßig von der Gemeinde ausgeteilt, auch 
jährlich zweimal neue Kleider. Gebaut wurde 
hauptsächlich Mais, daneben europäisches Getreide, 
Maniok, Zuckerrohr, Baumwolle, Südfrüchte und 
Tee. Mit letzterem wurde die Trunksucht der 
Indianer wirksam bekämpft. Schon wegen der 
großen Entfernung der europäischen Siedlungen, 
namentlich aber als Mittel gegen den Hang der 
Naturkinder zum Müßiggang bürgerten die Je- 
suiten überall auch Handwerke ein; selbst Uhr- 
macherei und Buchdruckerkunst fehlten nicht. Der 
Überschuß der Wirtschaft wurde jährlich einmal 
auf den Märkten in Buenos Aires und Santa Fe 
verkauft, hauptsächlich Tee, Häute und Baum- 
wolle, und dafür Salz sowie Eisen, Kupfer und 
Zinn für die Handwerker und Edelmetalle für die 
Kirchen eingetauscht. Der Handel, der den Jesuiten 
zum Vorwurf gemacht wurde, als ob sie große 
Reichtümer daraus zögen, war unbedeutend. In 
den Reduktionen selbst wurde kein Geld gebraucht. 
Von jeder Berührung mit den meist verkommenen 
Spaniern wurden sie ferngehalten oder durften 
nur unter Aufsicht mit ihnen verkehren. Kraft 
königlicher Privilegien standen die Reduktionen 
unmittelbar unter der Krone und zahlten eine 
Kopfsteuer; auch die spanischen Behörden durften 
die Reduktionen ohne besondere Erlaubnis nicht 
betreten. Auch kirchlich waren sie meist exemt, 
weshalb es wiederholt zu Zwistigkeiten mit den 
Bischöfen kam. Selbstgewählte Beamte (Alcalden 
und Corregidoren) besorgten unter Leitung der 
Jesuiten die Aussicht bei der Arbeit, die Verteilung 
der Lebensmittel und die Rechtsprechung. Die 
Religion beherrschte das ganze Leben in den Re- 
duktionen. Jeder Tag begann mit gemeinsamem 
Anhören der heiligen Messe und schloß mit ge- 
meinsamer Abendandacht. Der Gottesdienst wurde 
sehr feierlich gehalten, in den Kirchen und bei den 
häufigen Prozessionen viel Pracht entfaltet; für 
die Kirchenmusik zeigten die Eingebornen viel 
Talent und Neigung. Die Tagesordnung war 
streng durch Glockenzeichen geregelt. Die Berichte 
der geistlichen und weltlichen Visitatoren und der 
Europäer, die wie Bougainville bald nach der 
Vertreibung der Jesuiten kamen, sprechen sich über 
den religiösen Eifer und die sittliche Führung in 
den Reduktionen höchst anerkennend aus. Des- 
halb war auch die Strafjustiz sehr milde, zumal 
im Vergleich mit den von den Statthaltern re- 
gierten Ländern. Der Jesuitenstaat in Paraguay 
ist der einzige Staat, der dauernd ohne die Todes- 
strafe auskam. Im ganzen gewährte dieser halb 
kommunistische halb theokratische christliche Ideal- 
staat ein Bild seltener Friedlichkeit; die Indianer 
lehnten sich nie auf und bewahrten den weißen 
Bätern noch lange nach der Vertreibung ein kind- 
liches Andenken. 
  
Paraguay. 
  
1560 
Den ersten Anlaß zum Vorgehen gegen die Je- 
suiten gab der Vertrag von 1750, worin Spanien 
die strittige Kolonie S. Sacramento erhielt und 
dafür 7 Reduktionen links des Uruguay an Por- 
tugal abtrat. Die dortigen Indianer, etwa 30.000, 
sollten auf spanisches Gebiet verpflanzt werden, 
wehrten sich aber mit Gewalt („Krieg der 7 Mis- 
sionen“ 1753/56). Mit Unrecht beschuldigte 
Pombal 1757 in einer Duruckschrift Relacäo 
abreviada da repüblica de los Jesuitas die 
letzteren, den Widerstand angestiftet zu haben. 
Nachdem die bourbonischen Höfe die Jesuiten aus 
ihren Staaten vertrieben hatten, erließ Karl III. 
oder vielmehr sein Minister Aranda 27. Febr. 
1767 das Dekret, das sie aus allen spanischen 
Kolonien und damit auch aus Paraguay auswies. 
Sie wurden 1768, etwa 500 an der Zahl, durch 
den Gouverneur Buccarelli nach dem Kirchenstaat 
eingeschifft. Die Vorwürfe, die man ihnen damals 
machte, sind ungerecht. Der Hauptvorwurf, der 
ihnen heute gemacht wird, die Indianer in Un- 
mündigkeit gelassen und nicht zur Selbständigkeit 
erzogen zu haben, mag etwas Wahres enthalten, 
doch hat die spanische, französische oder englische 
Verwaltung in Amerika in dieser Beziehung sicher 
keine besseren Leistungen aufzuweisen. Die In- 
dianer setzten der neuen, weder glücklichen noch ehr- 
lichen Verwaltung eine Zeitlang passiven Wider- 
stand entgegen und verfielen großenteils wieder in 
Unkultur und Heidentum. 
Nach dem Abfall Argentiniens sagte sich 14. Mai 
1811 auch Paraguay von der spanischen Herr- 
schaft los. An die Spitze der Regierung traten 
1813 zwei Konsuln, von denen der eine, Dr Gas- 
par Rodriguez Francia, sich bald zum Diktator 
machte und bis zu seinem Tod 1840 regierte. 
Ihm verdankt Paraguay, daß es sich als selb- 
ständiger Staat gegen die Regierung in Buenos 
Aires behauptete. Er schloß den Staat vollständig 
gegen das Ausland ab und regierte ohne Gesetz 
und Volksvertretung mit Spionage, Güterkonfis- 
kationen und Hinrichtungen, war aber wenigstens 
uneigennützig in Geldsachen und legte durch die 
Ruhe, die er dem Land verschaffte, den Grund zur 
Entwicklung der Landwirtschaft. Auch unter seinem 
Neffen Carlos Antonio Lopez, der ihm zuerst als 
Konsul mit seinem Bruder, seit 1844 als alleiniger 
Präsident folgte, entwickelte sich das Land gut. 
Er schuf eine Nationalvertretung, öffnete die 
Grenze und zog europäische Ingenieure, Arzte usw. 
heran. Paraguay besaß ein tüchtiges Heer, gute 
Finanzen und eine pünktliche Verwaltung, und 
die Bevölkerung stieg auf 800 000 Einwohner. 
1862 folgte ihm sein Sohn Francisco Solano 
Lopez, der 1864 einen leichtfertigen Krieg mit Bra- 
silien begann und durch Einmischung in die innern 
Parteihändel 1865 auch Uruguay und Argen- 
tinien zu Gegnern machte. In diesem Krieg gegen 
die weit überlegenen Gegner, den Lopez, mit ty- 
rannischer Grausamkeit jeden Widerstand im eignen 
Land niederschlagend, bis zum Außersten trieb,
	        
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