Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

1579 Parlamen 
Einschränkungen ist daher das unten unter 3 als 
geltende parlamentarische Maxime (um das Wort 
Recht zu vermeiden) Vorgetragene zu verstehen. 
Die Bedeutung dieses Zustands ist von nicht 
zu unterschätzender Tragweite. Hat die Übung 
nicht die Kraft eines abändernden Gewohnheits- 
rechts, so sind zum mindesten die Rechtsgrund- 
sätze des geschriebenen Verfassungsrechts nicht auf- 
gehoben; sie bestehen vielmehr fort und können 
ohne weiteres und ohne Verfassungsänderung 
wieder in die Praxis eingeführt werden. Andern 
sich die Verhältnisse, fällt jene politische Not- 
wendigkeit, sich dem Parlament unterzuordnen, 
für den Monarchen fort, fühlt letzterer sich politisch 
stark genug, die verfassungsgesetzlichen Grundsätze 
auch politisch durchzusetzen, so steht einem solchen 
Unternehmen rechtlich nichts entgegen; eine Ver- 
fassungsverletzung würde dadurch nicht begangen 
werden. Für England paßt diese Konstruktion 
allerdings nicht. Hier besteht, wie bereits bemerkt, 
keine Kodifikation des monarchischen Rechts; es 
ist die monarchische Gewalt nur durch einzelne 
Gesetze eingeschränkt. Die Frage ist daher hier 
die, ob dem englischen Monarchen alle diejenigen 
Rechte eines konstitutionellen Monarchen zustehen, 
die ihm nicht ausdrücklich durch diese Einzelgesetz- 
gebung entzogen sind, und ob keines derselben 
durch Nichtgebrauch erloschen sei. So z. B. ob 
ihm, wie von vielen behauptet, von andern aber 
auch bestritten wird, das Vetorecht gegenüber den 
vom Parlament beschlossenen Gesetzen verloren 
gegangen ist, nachdem es seit dem Jahre 1632 
nicht mehr ausgeübt wurde. Unter solchen Um- 
ständen kann es kaum überraschen, daß von manchen 
englischen Staatsrechtslehrern dem englischen König 
im wesentlichen die Stellung eines konstitutionellen 
Monarchen vindiziert, oder daß von deutschen 
Staatsrechtslehrern dies dahin formuliert wird, 
England sei juristisch auch heute noch keine parla- 
mentarische Monarchie, sondern nur im politischen 
Sinne. Der Engländer selbst pflegt auch — ob 
in diesem Bewußtsein, mag dahingestellt bleiben — 
das Verfassungs= und Regierungssystem seines 
Landes nicht als parlamentarisches zu bezeichnen; 
er nennt es ein konstitutionelles, constitutional 
government. Geschichtliche Vorgänge können 
diese Ansichten nur unterstützen. Man braucht nur 
an die untergeordnete Rolle zu erinnern, welche 
das englische Parlament den Tudors, namentlich 
Heinrich VIII. und Elisabeth gegenüber gespielt 
hat, und an die Tatsache, daß auch späterhin es 
den englischen Monarchen noch manches Mal 
gelungen ist, ihren Willen dem Parlament auf- 
zudringen. Man begegnet daher auch der Ansicht, 
daß eine ausgesprochen streng parlamentarische 
Übung mit unbezweifelter Vorherrschaft des Unter- 
hauses dort erst vom zweiten Rücktritt des Mini- 
tarismus. 1580 
festgestellt wurde. Es kann daher nicht für aus- 
geschlossen gelten, daß unter Begünstigung durch 
allgemeine politische Verhältnisse ein Monarch 
ohne Verfassungswidrigkeit wieder Zustände her- 
beiführen könnte, welche den ehedem herrschenden 
konstitutionellen konform oder wenigstens ähnlich 
sind. Was unter kraftvollen Tudors sich ereignete, 
kann unter klugen Coburgern sich wiederholen. 
Monarchische Staaten mit parlamentarischer 
Regierungsweise in Europa sind zurzeit folgende: 
Portugal, Spanien, Luxemburg, England, Bel- 
gien, Dänemark, Norwegen, Schweden, Rumänien, 
Bulgarien, Serbien, Griechenland, Osterreich, 
Ungarn und JItalien. 
2. Auch in den Republiken hat die parlamen- 
tarische Regierungsform wohl nirgends einen ad- 
äquaten verfassungsgesetzlichen Ausdruck gefunden, 
so z. B. nicht in der Verfassung der heutigen fran- 
zösischen Republik. Es mögen hierbei ähnliche 
Erwägungen obgewaltet haben wie bei der gleichen 
Unterlassung, deren oben hinsichtlich der Mon- 
archien Erwähnung geschah. Indessen sind hier 
Anzweiflungen des verfassungsrechtlichen Zu- 
stands im oben angeführten Sinne nicht zu er- 
warten, im übrigen auch, da hier statt des auf 
Lebenszeit berufenen und durch Erbgang bezeich- 
neten Monarchen ein nur auf Zeit gewählter 
Präsident oder kollegialer Vorstand an der Spitze 
des Staatswesens steht, ohne jene praktische Trag- 
weite, zumal hier einer sofortigen gesetzlichen Klar- 
stellung kaum Hindernisse entgegengesetzt werden 
könnten. 
3. Wie die konstitutionell regierten Staaten, 
so haben auch die parlamentarisch regierten ihr 
Verfassungssystem sehr verschieden ausgebaut; ja 
die Verschiedenheit ist bei diesen weit größer als 
bei jenen. Während der Konstitutionalismus im 
eigentlichen Sinne nur als Monarchie auftritt, ist 
der Parlamentarismus, wie eingangs schon be- 
merkt, nicht an diese Staatsform allein gebunden, 
sondern findet seine Verwirklichung auch in Repu- 
bliken; hier bildet er ausnahmslos die Regierungs- 
weise. Ob ferner der Monarch durch eine verfas- 
sungsmäßig festgestellte Erbfolge oder auf Grund 
einer Wahl — Wahlmonarchien gibt es indessen 
zurzeit nicht, wenn auch noch gewählte Monarchen 
— andie Spitze des Staats gestellt wird, ob in den 
Republiken ein Präsident oder ein Kollegium als 
oberstes Staatsorgan vorgesehen ist, ob die danach 
erforderlichen Wahlen unmittelbar vom Volk oder 
von der Volksvertretung vorgenommen werden, ob 
der Monarch auf Lebenszeit oder das sonstige 
oberste Staatsorgan auf diese oder jene kürzere 
oder längere Periode gewählt wird, sind Fragen, 
die von den verschiedenen Verfassungen sehr ver- 
schieden geregelt werden, aber für den Parlamen= 
tarismus als System ohne wesentliche Bedeutung, 
  
steriums Melbourne und dem Beginn des Mini- 
steriums Peel im Jahre 1841 datiere. Das Re- 
ultat wäre demnach hier das gleiche, welches eben 
für die Staaten mit geschriebenen Verfassungen 
  
wenn auch hie und da von praktischer Tragweite 
sind. Auch ist es kein wesentliches Kriterium des 
Parlamentarismus, daß etwa das oberste Staats- 
organ, wie dies in Frankreich in der Zeit von
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.