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die Besetzung der niederen Benefizien auszudehnen.
Die Landesherren waren bestrebt, sich möglichst
weitgehende Provisionsrechte bezüglich der wich-
tigeren Kirchenämter ihres Gebietes zu sichern,
welche eine neue Garantie der Erweiterung der
fürstlichen Gewalt und Machtsphäre bieten. In-
dem die Landesherren die Vergebung kirchlicher
Benefizien, insbesondere der Stiftsprälaturen und
Kanonikate, von ihrer Gunst und Gnade ab-
hängig zu machen suchten, wurde nicht nur das
Interesse der fürstlichen Kammer gewahrt, welcher
bei solchen Anlässen bedeutende Abgaben entrichtet
werden mußten: die Geistlichkeit wurde in größere
Abhängigkeit vom Landesherrn gebracht und diesem
eine Stütze gegenüber den Forderungen der bevor-
rechteten weltlichen Landstände geschaffen. Die
rechtmäßig erworbenen Provisionsrechte der Lan-
desherren wurden mit aller Energie verteidigt, aber
auch neue ohne genügenden Rechtsgrund usurpiert
und mit den Mitteln der landesherrlichen Macht
durchgesetzt; die ungünstige Lage des Papsttums
nötigte die Kurie, neue Indulte, in welchen den
Landesherren Designationsrechte bewilligt wurden,
zu erteilen, usurpierten Besetzungsrechten durch
Indulte eine kirchliche Rechtsbasis zu gewähren
oder wenigstens deren Ausübung stillschweigend
zuzulassen.
Die Bekämpfung der päpstlichen Vorbehalte
gab den Landesherren zuerst Gelegenheit, all-
gemeine Anordnungen über die Vergebung kirch-
licher Benefizien ihres Gebietes zu erlassen: die
Landesherren, welche in dieser Frage bei ihren
Ständen und der einheimischen Geistlichkeit auf
Unterstützung rechnen konnten, traten der Aus-
dehnung der päpstlichen Vorbehalte entgegen und
verwehrten dem Papst insbesondere die Vergebung
der Benefizien des Landes an Auswärtige. Solche
Anordnungen, welche die Vergebung kirchlicher
Benefizien an Ausländer untersagen, finden sich
in einzelnen Territorien schon seit dem 14. Jahrh.;
auch nachdem die päpstlichen Vorbehalte ihre prak-
tische Bedeutung im wesentlichen eingebüßt hatten,
sind solche Bestimmungen, für welche man die
ausdrückliche oder stillschweigende Anerkennung
der Kirche zu erlangen suchte, aufrecht erhalten
und in vielen Gebieten neu eingeführt worden.
Das erstarkende Staats= und Nationalbewußtsein
erhob in der Neuzeit allgemein die Forderung,
daß auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens
nur den Angehörigen des Landes ein entscheidender
Einfluß eingeräumt werde. Auch die modernen
Gesetzgebungen, welche nur Staatsangehörige zu
Kirchenämtern zulassen wollen, beruhen auf dem
gleichen Gesichtspunkte. Da Forderungen dieser
Art in der Kirche nicht als grundsätzlich unstatthaft
angesehen werden können, so hat die kirchliche Praxis
solche staatliche Vorschriften nicht bloß toleriert,
dieselben sind häufig auch in besondern Verein-
barungen oder Indulten formell anerkannt worden.
Der staatliche Einfluß auf die Vergebung der
Kirchenämter wurde seit der Reformation stetig
Kirchenamt.
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erweitert. Um nicht die Fortschritte des Prote-
stantismus zu fördern und um der katholischen
Kirche den fortdauernden Beistand der katholischen
Landesherren zu sichern, mußten die Päpste nicht
nur die Usurpation einzelner Besetzungsrechte still-
schweigend zulassen oder verlangte Indulte be-
willigen; die Rückwirkung des Protestantismus
und der protestantischen Anschauungen über die
landesherrliche Kirchengewalt (s. d. Art.) auf die
Staatspraxis der katholischen Länder, ferner die
sortschreitende Entwicklung des fürstlichen Abso-
lutismus und der Verfall der landständischen
Rechte hatten noch viel weiter gehende Forde-
rungen im Gefolge. Die katholischen Landes-
herren nahmen auf Grund der fürstlichen Advokatie
(des Schutzrechts) wie des landesherrlichen Ober=
aussichtsrechts auch die Befugnis in Anspruch, die
Vergebung der Kirchenämter ihres Gebietes grund=
sätzlich als ein Attribut der Landeshoheit zu be-
handeln. Um „ex nobilissimo officio advo-
catiae“ unlautere und unverläßliche Elemente im
Interesse der Kirche selbst fernzuhalten und die
landesherrliche Kirchenhoheit zur Geltung zu brin-
gen, wurde dem Landesherrn die Besetzung der
kirchlichen Amter vorbehalten, oder wenn besondere
Rechtstitel ein Provisionsrecht Dritter begründeten,
die Wirksamkeit des Besetzungsaktes von der Ge-
nehmigung des Landesherrn abhängig gemacht.
Die Staatspraxis des 18. Jahrh. war durchaus
beherrscht von dem Einfluß der territorialistischen
Auffassungen der protestantischen Doktrin und von
jenen antikurialen Strömungen in der katholischen
Kirche (s. die Art. Febronianismus, Gallikanis-
mus), welche an die Beihilfe des Staatsabsolu-
tismus appellierten, um die kirchliche „Freiheit"
wiederherzustellen. Die Besetzung der Kirchen-
ämter wurde als ein Hoheitsrecht des Landesherrn
erklärt, welches im ius cavendi der landesherr-
lichen Kirchenhoheit begründet sei. Diesen Auf-
fassungen entsprach es vollkommen, wenn in den
deutschen Staaten nach den großen Säkulari-
sationen am Ende des 18. und am Anfang des
19. Jahrh. die Besetzungsrechte, welche die geist-
lichen Reichsfürsten als Kirchenobere ausgeübt
hatten, ebenso wie die Provisionsrechte der auf-
gehobenen geistlichen Körperschaften einfach für
den Landesherrn in Anspruch genommen wurden,
dessen Landeshoheit den Rechtstitel für ein all-
gemeines „landesherrliches Patronatsrecht“ be-
gründen sollte. Die Bischöfe wurden bei solchen
Benefizien auf ein Vorschlagsrecht beschränkt, und
in andern Fällen einer Pfründenbesetzung wurde
die Wirksamkeit des Verleihungsaktes von der
staatlichen Genehmigung abhängig gemacht.
Die Doktrin, welche aus der Landeshoheit ein
allgemeines Recht der Besetzung kirchlicher Amter
ableiten wollte, um den Forderungen der abso-
lutistischen Staatspraxis ein theoretisches Fun-
dament zu sichern, fand schon seit dem Anfang
des 19. Jahrh. lebhaften Widerspruch; heute ist
die gänzliche Haltlosigkeit derselben längst all-