Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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gemein anerkannt. Als die Traditionen der abso- 
lutistischen Epoche von den Regierungen aufgegeben 
wurden und die oben erwähnte antikuriale Rich- 
tung in den katholischen Kreisen Deutschlands voll- 
ständig überwunden war, sahen sich die Staaten 
(namentlich seit der Mitte des 19. Jahrh.) auch 
in dieser Frage zu einer Anderung ihres Stand- 
punktes veranlaßt und suchten durch besondere Ver- 
einbarungen mit der Kirche für die behaupteten 
Besetzungsrechte eine unanfechtbare kanonische 
Grundlage zu erlangen. Wenn die modernen Ge- 
setzgebungen die Forderung aufstellen, daß der 
Staatsregierung, falls dem Landesfürsten oder den 
Organen der Staatsgewalt nicht etwa aus einem 
besondern Rechtsgrund ein weiter gehendes Recht 
bei der Besetzung eines Kirchenamtes gebührt, zum 
mindesten ein Einspruchsrecht gegen die beabsich- 
tigte Einsetzung kirchlicher Amtsträger eingeräumt 
werde, um dem Staate nicht genehme Personen 
von Kirchenämtern auszuschließen (also ein Ex- 
klusionsrecht, welches die modernen Staaten als 
Ersatz des der territorialistischen Auffassung ent- 
sprechenden Bestätigungsrechts verlangen), so kann 
diese Forderung nur in dem besondern, historisch 
entwickelten Verhältnis der Kirche zum Staate 
ihre rationelle Begründung finden; dieselbe kann 
keineswegs als eine Prärogative der Staatsver- 
waltung gelten, welche in allen Fällen einfach auf 
Grund des allgemeinen staatlichen Aufsichtsrechts 
gegenüber öffentlichen Korporationen beansprucht 
werden könnte. Nach den Erfahrungen der letzten 
Dezennien wird man übrigens wohl die Ansicht 
aussprechen dürfen, daß es (auch falls man diese 
Frage bloß von einem politischen Standpunkt be- 
urteilen will, für den in erster Linie das staatliche 
Interesse entscheidend ist) den schwersten Bedenken 
unterliegt, wenn solche Rechte von der Staats- 
gewalt einseitig in Anspruch genommen werden, 
ohne daß denselben durch eine Vereinbarung mit 
dem Oberhaupte der Kirche eine unanfechtbare 
kanonische Basis gesichert wird. Uberdies wird 
heute wohl auch niemand mehr bestreiten wollen, 
daß der Wert und die Wichtigkeit solcher Rechte 
für den modernen Staat, daß die aktuelle politische 
Bedeutung solcher Einspruchsrechte von den Staats- 
männern der älteren Schule jedenfalls bedeutend 
überschätzt worden ist. 
6. Die Erledigung der Kirchenämter. Ein 
Kirchenamt wird a) von Rechts wegen (ipso 
iure) in folgenden Fällen erledigt: durch den Tod 
des Amtsträgers; ferner wenn dieser die feierliche 
Profeß in einem approbierten Orden ablegt; wenn 
er eine Ehe eingeht (durch die Verehelichung ver- 
liert der Kleriker der niederen Weihen seine Bene- 
sizien wie die Vorrechte des geistlichen Standes; 
Kleriker der höheren Weihen können sich nicht mehr 
gültigerweise verehelichen); wenn er den ruhigen 
Besitz eines Benefiziums erlangt, welches mit 
seinem bisherigen Benefizium nicht kompatibel sst; 
endlich wenn der Träger des Amtes sich eines 
Deliktes schuldig gemacht hat, welches kraft gesetz- 
Kirchenamt. 
  
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licher Vorschrift den ipso facto eintretenden Ver- 
lust des Amtes zur Folge hat (Ketzerei, Apostasie, 
Realinjurien gegen einen Kardinal usw.). Seel- 
sorgebenefizien werden überdies auch ipso jure 
erledigt, wenn der Benefiziat binnen einem Jahre 
nach erlangtem ruhigem Besitze des Amtes die 
Priesterweihe nicht erworben hat; dasselbe gilt 
vom Bischofsamte, wenn der Inhaber des Amtes 
aus eigenem Verschulden nicht binnen längstens 
sechs Monaten, nach erlangter Kenntnis von der 
Übertragung des Amtes, zum Bischof konsekriert 
worden ist. 
b) Fälle, in welchen die Willenserklärung 
des Amtsträgers die Erledigung des Amtes her- 
beiführt, sind: der Verzicht auf das Kirchenamt 
(Resignation, Renuntiation) und der Tausch (per- 
mutatio beneficiorum). Bischöfe und Kardinäle 
können auf ihr Amt wirksam nur mit päpstlicher 
Genehmigung verzichten. Das gemeine Recht ge- 
stattet den Bischöfen, aus bestimmten gesetzlichen 
Gründen die Zulassung ihres Verzichtes zu er- 
bitten; liegen solche Gründe nicht vor, so hängt 
die Genehmigung der Resignation vom Ermessen 
des Papstes ab. Der Verzicht der niederen Amts- 
träger bedarf zu seiner Gültigkeit der Genehmigung 
ihres Ordinarius, also des Bischofes, dessen Juris- 
diktion das Amt unterworfen ist. Will der Bene- 
fiziat in einen Orden treten, so ist der Bischof 
verpflichtet, dem Resignationsgesuche zu willfahren; 
in andern Fällen entscheidet der Bischof nach seinem 
Ermessen. Er darf jedoch den Verzicht auf ein 
Benefizium, welches den Ordinationstitel gebildet 
hat, nicht zulassen, solange der Kleriker nicht den 
Besitz eines andern Titels nachgewiesen hat. Die 
Resignation muß unentgeltlich und unbedingt er- 
folgen; eine bedingte Resignation könnte nur auf 
Grund eines besondern päpstlichen Indultes zu- 
gelassen werden. Der Tausch von Benefizien be- 
darf vor allem der Genehmigung des Ordinarius 
bzw. beider Ordinarien, wenn die Benefizien ver- 
schiedenen Diözesen angehören. Wenn bezüglich 
eines der Benefizien ein Designations= oder Kol- 
lationsrecht begründet ist, so ist auch die Zustim- 
mung des Berechtigten (Patrones, Nominanten, 
Kollators usw.) wesentlich. Das vom Ordinarius 
genehmigte Übereinkommen der Tauschenden be- 
gründet noch nicht die Vakanz ihrer Pfründen; 
es sind vielmehr beide Teile infolge des rechts- 
wirksamen Tauschvertrages verpflichtet, auf ihre 
Benefizien zu resignieren, damit die durch Verzicht 
erledigten Benefizien so verliehen werden können, 
daß der Tausch realisiert wird. 
P) Die Erledigung der Kirchenämter durch Ab- 
setzung. Titulierte Benefiziaten können ihres 
Amtes nur aus den vom kirchlichen Recht aner- 
kannten Gründen, im Wege eines ordnungs- 
mäßigen Straf= oder Disziplinarverfahrens, ent- 
setzt werden (s. d. Art. Kirchenstrafen). Andere 
Amtsträger genießen diese Bürgschaften der Ina- 
movibilität nicht: der Kirchenobere kann solche 
Amtsträger nach seinem freien Ermessen ihres
	        
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