Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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genießt, ihrerseits an der Lösung der Aufgaben 
des öffentlichen Lebens zum allgemeinen Wohl 
mitzuarbeiten. 
Der katholischen Presse ist bei der heu- 
tigen schier unendlichen Zerrissenheit der Parteien 
und Meinungen der hohe Beruf zugefallen, für 
die ewigen Gesetze der göttlichen Weltordnung, 
für die Freiheit der kirchlichen Lehre, die Selb- 
ständigkeit der Kirche und das einträchtige Zu- 
sammenwirken von Kirche und Staat einzutreten 
und die bei Andersdenkenden jede Verständigung 
erschwerenden Vorurteile gegen die katholische 
Kirche und deren Lehre zu bekämpfen. Es ist klar, 
daß diese Aufgabe an die sittliche Haltung der 
katholischen Blätter und deren Mitarbeiter höhere 
Anforderungen stellt, als man sie heute an die 
übrige Tagespresse zu stellen gewohnt ist. Von 
großer Bedeutung ist die Wahl der Redakteure. 
Diese zu bestellen, ist Sache der Verleger, die 
darum gleicherweise von dem Bewußtsein ihrer 
verantwortungsvollen Aufgabe durchdrungen sein 
müssen. Papst Leo XIII. hat mehrmals die Not- 
wendigkeit und gute Wirksamkeit einer katholischen 
Presse anerkannt, am eingehendsten in der schönen 
Ansprache an die Deputation der katholischen 
Journalisten aus allen Teilen der Welt, welche 
ihm am 22. Febr. 1879 huldigten, in jüngerer 
Zeit noch am 17. April 1893, als auf Anregung 
des Augustinusvereins die Vertreter der katholischen 
Presse Deutschlands ihm zu seinem 50jährigen 
Bischofsjubiläum ihre Glückwünsche darbrachten. 
Doch erschöpft sich in den erwähnten Aufgaben 
nicht die Bedeutung der katholischen Presse. Sie 
kann es nicht umgehen, auch zu den politischen 
Tagesfragen Stellung zu nehmen. Dabei kann 
sie natürlich nur für eine politische Partei eintreten, 
welche im Rahmen ihres Programms auch die 
Freiheit und das Recht der katholischen Kirche 
verteidigt. Einer selbständigen, klaren politischen 
Richtung wird sie nicht entbehren können. Aber 
auch bei dieser bleiben ihr die Gesetze der Religion 
und Moral eine Schranke, welche für sie in be- 
sonderer Weise bindend ist. Soweit innerhalb 
dieser Schranke eine Verschiedenheit der politischen 
Meinungen möglich und unvermeidlich ist, ist 
eine angemessene, rücksichtsvolle Form bei Dis- 
kussionen über Meinungsterschiedenheiten zwi- 
schen katholischen Blättern angezeigt. Innerhalb 
dieser Schranken bleibt für die katholischen Zei- 
tungen die kirchliche Autorität selbstredend ebenso 
maßgebend wie für alle Katholiken. Außerhalb 
dieser Schranken, soweit also die politischen An- 
gelegenheiten von religiösen Gesichtspunkten nicht 
ergriffen werden, sind sie in kirchlicher Hinsicht 
ebenso frei wie jeder andere Beruf. Diesen Grund- 
satz erkannte Papst Pius X. jüngst wieder an in 
seinem Schreiben vom 30. Okt. 1906 an den 
Kardinalerzbischof Fischer von Köln: „Wie die 
stete Erfahrung beweist, läßt dieser Gehorsam (sc. 
gegen die Autorität des Apostolischen Stuhls) — 
mögen auch einige, die den wahren Sachverhalt 
Presse usw. 
  
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nicht kennen, heftig dagegen sprechen — einem jeden 
volle und uneingeschränkte Freiheit in den Ange- 
legenheiten, welche die Religion nicht berühren.“ 
Die Tagespresse ist für einen großen Teil des 
Volks wo nicht die einzige Quelle ihrer politischen 
Bildung, so doch der Maßstab ihres politischen 
Urteils und Verhaltens. Das gilt insbesondere 
in weitem Umfang für die niederen und mittleren 
Stände. Die Angehörigen derselben pflegen, nach- 
dem sie der Schule entwachsen sind, außer wenigen 
religiösen und Unterhaltungsschriften nur Zei- 
tungen zu lesen. Durch Erziehung und Über- 
zeugung der Religion zugetan und über die Lehren 
des Glaubens in der Kirche fortwährend belehrt, 
ist dieser Teil des Volks sich über die sittlich- 
religiösen Forderungen in Bezug auf das öffent- 
liche Leben nicht klar und hierfür zumeist der Ein- 
wirkung seiner Zeitung anheimgegeben. Wo der 
religiöse Geist abgenommen hat, dehnt sich das 
moralische Übergewicht der Zeitung auch auf das 
religiöse Gebiet aus. Selbst die höheren Klassen 
schöpfen heute oft mehr, als sie sich selbst gestehen 
wollen, ihre politische Bildung aus der Tages- 
presse. Der Redakteur ist so ein Lehrer des Volks, 
und zwar auf einem der bedeutungsvollsten Ge- 
biete. Er steht im Volk, und es gehört zu seiner 
Aufgabe, die Auffassung desselben zu erforschen. 
Er öffnef seine Spalten auch Wünschen und 
Außerungen, die ihm aus den Kreisen des Volks 
unmittelbar zugehen. Auf diese Weise ist die 
Presse ein Organ der Offentlichkeit. Sie hält die 
Führer der Parteien und die Regierungen fort- 
während in Verbindung mit den Stimmungen 
und Bestrebungen im Land und übt dadurch hin- 
wieder auf sie einen Einfluß aus. 
In der Zeitung reden vornehmlich die Redak- 
teure und ihre Mitarbeiter, die sich von Berufs 
wegen mit der Politik befassen, also zunächst in 
dieser größeren Einblick, Erfahrung und Über- 
sicht besitzen als die Leser. Neben ihnen kommen 
andere Stimmen, die durch Charakter, Begabung 
und Kenntnisse Anspruch auf Beachtung haben, 
die parlamentarischen Führer des Volks, Fach- 
leute usw. zum Wort. Auch der einfach praktische 
Sinn des Volks, der so häufig das Richtige fühlt 
und ohne alle Nebenrücksichten ausspricht, findet 
in der Zeitung Ausdruck und Geltung. Auf Grund 
dieser Verhältnisse sind zwar die Zeitungen nicht 
immer, nicht einmal meistens der Ausdruck der 
bereits bestehenden öffentlichen Meinung, 
wohl aber ein Ort, an dem die ausgeprägtesten 
persönlichen Ansichten gegenseitig aufeinander 
wirken, so daß hier eine gesunde öffentliche Mei- 
nung erwachsen kann. Lange nicht alles, was in 
den Zeitungen steht, kann als Ausdruck der öffent- 
lichen Meinung gelten. Nicht selten hat eine ge- 
schickt geleitete Presse eine „öffentliche Meinung“ 
erst künstlich hervorgerufen. Man muß daher die 
Zeitungen ebensowohl auf ihre Wahrheitsliebe und 
die Reinheit ihrer Absichten prüfen wie jede andere 
Stimme im öffentlichen Leben.
	        
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