Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Stellt man die öffentliche Meinung als eine 
selbständige, unabhängige Macht und ihre For- 
derungen als unabweisbar hin, so behauptet man 
damit die unbeschränkte Souveränität des Volks- 
willens mit all ihren verwerflichen Folgen. Die 
öffentliche Meinung hat nur eine bedingte Autori- 
tät, nämlich dann, wenn sie sich orientiert hat an 
den ewigen Grundsätzen der gesamten sittlichen 
Weltordnung. Das Richtige soll die Presse be- 
achten, das Falsche, Unreife und Übertriebene 
bekämpfen. Den Maßstab der Beurteilung findet 
sie zunächst in den Grundsätzen des Naturrechts, 
der Offenbarung, des historischen Rechts und 
der Vernunft, dann in ihrer eignen politischen 
Erfahrung und Erkenntnis. Ebensowenig, als sie 
die Volksstimme hochmütig verachten soll, darf sie 
ihr gegenüber des eignen Urteils sich begeben. 
Sie soll je nachdem aufklärend und mäßigend auf 
dieselbe wirken und sich erforderlichenfalls nicht 
scheuen, ihr entschieden entgegenzutreten. Im all- 
gemeinen hat mit der zunehmenden Beteiligung 
aller Volksschichten am öffentlichen Leben auch 
das Selbstbewußtsein, das Freiheitsgefühl und 
damit die Macht der öffentlichen Meinung zu- 
genommen. Dieser Tatsache gegenüber muß sich 
die Presse als ein Werkzeug der moralischen Er- 
ziehung des Volks fühlen und als sein politischer 
Berater nur für Wahrheit, Recht und Billigkeit 
eintreten. Dieselbe Aufgabe hat die Presse gegen- 
über der Regierung. In dieser Aufgabe liegt das 
Recht, unter gegebenen Umständen in die Oppo- 
sition zu treten. Nicht jeder Widerspruch gegen 
die augenblickliche Landesverwaltung ist schuld- 
bare Verletzung der Autorität, wenn auch gewisse 
Grenzen sowohl in der Form wie in der Sache 
als unverletzlich anerkannt werden müssen. Selbst 
ein Widerspruch gegen Bestrebungen kirchlicher 
Organe auf manchen Gebieten kann der Presse 
erlaubt sein, wenn auch hier die Grenze der 
Achtung vor der Autorität noch sorgfältiger ge- 
wahrt werden muß als gegenüber der weltlichen 
Autorität und das Gebiet des Dogmas selbst- 
redend unantastbar bleibt. 
Da die Presse den sittlichen Anforderungen 
häufig nicht entspricht, sondern Ausschreitungen 
stets vorkommen, so müssen diese in der Gesetz- 
gebung berücksichtigt werden. Die gesetzlichen 
Bestimmungen können die Verhinderung oder die 
nachträgliche Bestrafung der Preßvergehen be- 
zwecken: sie können präventiv oder repressiv sein. 
Ob die Preßvergehen nur nach den allgemeinen 
Strafgesetzen zu beurteilen oder ob besondere Preß- 
gesetze zu erlassen sind, welche einzelnen Maß- 
regeln notwendig oder zulässig, insbesondere ob 
nur repressive Maßregeln angebracht und die prä- 
ventiven zu verwerfen sind, diese Fragen lassen sich 
nicht im allgemeinen, sondern nur für das einzelne 
Land und für eine bestimmte Zeit beantworten. 
Wohl kann man im allgemeinen sagen, daß unter 
den heutigen Verhältnissen ein gesundes Staats- 
leben eine weitgehende Preßfreiheit sollte ertragen 
Presse usw. 
  
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können, soweit es sich um Kritik von Regierungs- 
handlungen und Regierungsgrundsätzen sowie von 
Vorgängen im öffentlichen Leben handelt. Die 
Unterdrückung jeder der Regierung mißliebigen 
oder oppositionellen Stimme, wie sie noch bis 
1848 in Deutschland durchgehends geübt wurde, 
ist allgemein als mit vernünftiger Freiheit unver- 
einbar aufgegeben worden, und die Regierungen 
sind gewiß nicht schlecht dabei gefahren, daß sie 
sich in dieser Beziehung Selbstbeschränkung auf- 
erlegt haben. Doch gibt es ein Gebiet, wo der 
Staat einer solchen Selbstbeschränkung nicht unter- 
worfen werden kann. Religion und Sittlichkeit 
sind unübersteigliche Schranken auch für die Preß- 
freiheit. Werden sie überschritten, so hat der Staat 
das Recht und unter Umständen sogar die Pflicht, 
von seiner Zwangsgewalt Gebrauch zu machen. 
Die Schwierigkeit, in Staaten mit konfessionell 
gemischter Bevölkerung oder mit stark zersetzten 
Verhältnissen diesen Grundsatz durchzuführen, 
ändert nichts an dem Grundsatz selbst. Dasselbe 
Recht hat die Kirche auf ihrem Gebiet. Stets 
wird die naturrechtliche Pflicht sowohl für den 
Staat wie für die Kirche in Kraft bleiben, nach 
besten Kräften der Verbreitung der schlechten 
Bücher und Zeitungen entgegenzuwirken. An 
diesem Recht haben bisher auch alle Staaten und 
die Kirche festgehalten, und eine Gewährleistung 
der Preßfreiheit in dem Sinn, auch für unsittliche 
Grundsätze in der Presse einzutreten, ist nirgend 
geschehen und auch wohl nie zu erwarten. Von 
diesen Grundsätzen ist aber wohl zu unterscheiden 
die praktische Frage im einzelnen Fall, ob ein be- 
stimmtes Mittel zur Erreichung des gewollten 
guten Zwecks geeignet und angemessen ist, oder ob 
es noch größere Übel hervorbringen kann, als die- 
jenigen sind, die es verhüten soll. 
Etwas anderes ist es auch, nach welchem Sy- 
stem im einzelnen Fall Staat und Kirche in der 
gesetzlichen Beschränkung der Ausschreitungen der 
Presse vorgehen sollen, ob sie denselben nur nach- 
träglich strafend oder vorher verhindernd ent- 
gegenwirken sollen, insbesondere ob die Zensur 
zu einer bestimmten Zeit hierzu ein geeignetes 
Mittel ist. Es ist dem staatlichen Gesetz nicht 
möglich, alle Ausschreitungen zu unterdrücken; 
das menschliche Gesetz hat auch nicht die Aufgabe, 
alles zu verbieten, was das Naturgesetz verbietet. 
Es verbietet nicht alle Laster, vor denen Tugend- 
hafte sich hüten, sondern bloß diejenigen, welche 
aus Rücksichten des allgemeinen Staatswohls zu 
verbieten sind. Auch die zeitlichen Gesetze der 
Kirche nehmen auf Zeit und Ort Rücksicht. Mit 
unerschütterlicher Festigkeit hält die Kirche ihre 
Lehren und Grundsätze fest und verteidigt sie; 
nichtsdestoweniger sieht sie sich manchmal ge- 
zwungen, ÜUbel zu dulden, welche zu hindern bei- 
nahe unmöglich wäre, ohne noch schlimmeren 
Übeln und Verirrungen sich auszusetzen. Das 
Maß des unter Strafe zu Verbietenden richtet sich 
darum nach dem jeweiligen sittlichen Stand und
	        
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