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Stellt man die öffentliche Meinung als eine
selbständige, unabhängige Macht und ihre For-
derungen als unabweisbar hin, so behauptet man
damit die unbeschränkte Souveränität des Volks-
willens mit all ihren verwerflichen Folgen. Die
öffentliche Meinung hat nur eine bedingte Autori-
tät, nämlich dann, wenn sie sich orientiert hat an
den ewigen Grundsätzen der gesamten sittlichen
Weltordnung. Das Richtige soll die Presse be-
achten, das Falsche, Unreife und Übertriebene
bekämpfen. Den Maßstab der Beurteilung findet
sie zunächst in den Grundsätzen des Naturrechts,
der Offenbarung, des historischen Rechts und
der Vernunft, dann in ihrer eignen politischen
Erfahrung und Erkenntnis. Ebensowenig, als sie
die Volksstimme hochmütig verachten soll, darf sie
ihr gegenüber des eignen Urteils sich begeben.
Sie soll je nachdem aufklärend und mäßigend auf
dieselbe wirken und sich erforderlichenfalls nicht
scheuen, ihr entschieden entgegenzutreten. Im all-
gemeinen hat mit der zunehmenden Beteiligung
aller Volksschichten am öffentlichen Leben auch
das Selbstbewußtsein, das Freiheitsgefühl und
damit die Macht der öffentlichen Meinung zu-
genommen. Dieser Tatsache gegenüber muß sich
die Presse als ein Werkzeug der moralischen Er-
ziehung des Volks fühlen und als sein politischer
Berater nur für Wahrheit, Recht und Billigkeit
eintreten. Dieselbe Aufgabe hat die Presse gegen-
über der Regierung. In dieser Aufgabe liegt das
Recht, unter gegebenen Umständen in die Oppo-
sition zu treten. Nicht jeder Widerspruch gegen
die augenblickliche Landesverwaltung ist schuld-
bare Verletzung der Autorität, wenn auch gewisse
Grenzen sowohl in der Form wie in der Sache
als unverletzlich anerkannt werden müssen. Selbst
ein Widerspruch gegen Bestrebungen kirchlicher
Organe auf manchen Gebieten kann der Presse
erlaubt sein, wenn auch hier die Grenze der
Achtung vor der Autorität noch sorgfältiger ge-
wahrt werden muß als gegenüber der weltlichen
Autorität und das Gebiet des Dogmas selbst-
redend unantastbar bleibt.
Da die Presse den sittlichen Anforderungen
häufig nicht entspricht, sondern Ausschreitungen
stets vorkommen, so müssen diese in der Gesetz-
gebung berücksichtigt werden. Die gesetzlichen
Bestimmungen können die Verhinderung oder die
nachträgliche Bestrafung der Preßvergehen be-
zwecken: sie können präventiv oder repressiv sein.
Ob die Preßvergehen nur nach den allgemeinen
Strafgesetzen zu beurteilen oder ob besondere Preß-
gesetze zu erlassen sind, welche einzelnen Maß-
regeln notwendig oder zulässig, insbesondere ob
nur repressive Maßregeln angebracht und die prä-
ventiven zu verwerfen sind, diese Fragen lassen sich
nicht im allgemeinen, sondern nur für das einzelne
Land und für eine bestimmte Zeit beantworten.
Wohl kann man im allgemeinen sagen, daß unter
den heutigen Verhältnissen ein gesundes Staats-
leben eine weitgehende Preßfreiheit sollte ertragen
Presse usw.
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können, soweit es sich um Kritik von Regierungs-
handlungen und Regierungsgrundsätzen sowie von
Vorgängen im öffentlichen Leben handelt. Die
Unterdrückung jeder der Regierung mißliebigen
oder oppositionellen Stimme, wie sie noch bis
1848 in Deutschland durchgehends geübt wurde,
ist allgemein als mit vernünftiger Freiheit unver-
einbar aufgegeben worden, und die Regierungen
sind gewiß nicht schlecht dabei gefahren, daß sie
sich in dieser Beziehung Selbstbeschränkung auf-
erlegt haben. Doch gibt es ein Gebiet, wo der
Staat einer solchen Selbstbeschränkung nicht unter-
worfen werden kann. Religion und Sittlichkeit
sind unübersteigliche Schranken auch für die Preß-
freiheit. Werden sie überschritten, so hat der Staat
das Recht und unter Umständen sogar die Pflicht,
von seiner Zwangsgewalt Gebrauch zu machen.
Die Schwierigkeit, in Staaten mit konfessionell
gemischter Bevölkerung oder mit stark zersetzten
Verhältnissen diesen Grundsatz durchzuführen,
ändert nichts an dem Grundsatz selbst. Dasselbe
Recht hat die Kirche auf ihrem Gebiet. Stets
wird die naturrechtliche Pflicht sowohl für den
Staat wie für die Kirche in Kraft bleiben, nach
besten Kräften der Verbreitung der schlechten
Bücher und Zeitungen entgegenzuwirken. An
diesem Recht haben bisher auch alle Staaten und
die Kirche festgehalten, und eine Gewährleistung
der Preßfreiheit in dem Sinn, auch für unsittliche
Grundsätze in der Presse einzutreten, ist nirgend
geschehen und auch wohl nie zu erwarten. Von
diesen Grundsätzen ist aber wohl zu unterscheiden
die praktische Frage im einzelnen Fall, ob ein be-
stimmtes Mittel zur Erreichung des gewollten
guten Zwecks geeignet und angemessen ist, oder ob
es noch größere Übel hervorbringen kann, als die-
jenigen sind, die es verhüten soll.
Etwas anderes ist es auch, nach welchem Sy-
stem im einzelnen Fall Staat und Kirche in der
gesetzlichen Beschränkung der Ausschreitungen der
Presse vorgehen sollen, ob sie denselben nur nach-
träglich strafend oder vorher verhindernd ent-
gegenwirken sollen, insbesondere ob die Zensur
zu einer bestimmten Zeit hierzu ein geeignetes
Mittel ist. Es ist dem staatlichen Gesetz nicht
möglich, alle Ausschreitungen zu unterdrücken;
das menschliche Gesetz hat auch nicht die Aufgabe,
alles zu verbieten, was das Naturgesetz verbietet.
Es verbietet nicht alle Laster, vor denen Tugend-
hafte sich hüten, sondern bloß diejenigen, welche
aus Rücksichten des allgemeinen Staatswohls zu
verbieten sind. Auch die zeitlichen Gesetze der
Kirche nehmen auf Zeit und Ort Rücksicht. Mit
unerschütterlicher Festigkeit hält die Kirche ihre
Lehren und Grundsätze fest und verteidigt sie;
nichtsdestoweniger sieht sie sich manchmal ge-
zwungen, ÜUbel zu dulden, welche zu hindern bei-
nahe unmöglich wäre, ohne noch schlimmeren
Übeln und Verirrungen sich auszusetzen. Das
Maß des unter Strafe zu Verbietenden richtet sich
darum nach dem jeweiligen sittlichen Stand und