Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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diplomen, Mitglieder der Akademie), ehemalige 
Senatoren und Abgeordnete, die zwei Legislatur- 
perioden mitgemacht haben u. a. sind von letzterer 
Bedingung befreit. In beide Kammern nicht wähl- 
bar sind alle Inhaber öffentlicher bezahlter Amter, 
die zweiten Bürgermeister, die Advokaten des 
Staats, Geistliche, Volksschullehrer (wohl aber die 
Lehrer höherer Lehranstalten) usw. — Die Sitzun- 
gen des Parlaments sind im allgemeinen öffent- 
lich, doch können in bestimmten Fällen geheime 
Sitzungen stattfinden. Jedes der beiden Häuser 
hat das Recht, Gesetzesentwürfe einzubringen und 
zu beraten, abzuändern und mit Zusätzen zu ver- 
sehen; sie können an die Minister Anfragen und 
Interpellationen richten, besondere Untersuchungs- 
kommissionen einsetzen usp. Der Staatshaushalt 
wird alljährlich von der Abgeordnetenkammer fest- 
gesetzt, unterliegt aber nicht der Zustimmung des 
Senats. Abgeordnete und Senatoren sind unver- 
letzlich, außer wenn sie sich eines schweren Ver- 
brechens schuldig gemacht haben, und können nur 
mit vorausgehender Genehmigung des betreffenden 
Hauses verfolgt werden. Die Mitglieder beider 
Körperschaften erhalten für jeden Tag tatsächlicher 
Anwesenheit eine Entschädigung von 20 Ler. 
Die durch die Verfassung verbürgten Rechte 
der Rumänen sind die Gleichheit aller Bürger vor 
dem Gesetz, Aushebung aller Vorrechte, bürgerliche 
Freiheit der Person und Schutz vor willkürlicher 
Verhaftung, Unverletzlichkeit des Hausrechts und 
des Eigentums, das nur im Interesse der Allge- 
meinheit und gegen angemessene Entschädigung 
enteignet werden darf, Freiheit des Gewissens und 
freie Ausübung jedes Bekenntnisses, soweit sie die 
bürgerliche Ordnung nicht beeinträchtigt, Freiheit 
der Presse, der Versammlungen, des Unterrichts, 
soweit dadurch das Interesse des Staats nicht be- 
einträchtigt wird. Alle Fremden können die gleichen 
öffentlichen und bürgerlichen Rechte erwerben, doch 
ist die Erwerbung des Bürgerrechts an die Zu- 
stimmung der gesetzgebenden Körperschaften ge- 
bunden und erfolgt nur von Fall zu Fall (an Juden 
äußerst selten); Liegenschaften auf dem Land dürfen 
nur Rumänen besitzen und die Besiedlung des 
Landes durch eine fremdstämmige Bevölkerung ist 
untersagt. 
Verfassungsänderungen können nur 
auf Vorschlag der Legislative stattfinden, der allein 
das Recht vorbehalten ist, die Notwendigkeit, ein- 
zelne Bestimmungen zu ändern, auszusprechen. 
Eine Revision selbst ist an sehr verwickelte Förm- 
lichkeiten gebunden, so daß bis jetzt nur zwei Re- 
visionen zustande gekommen sind (1879 u. 1884). 
Die oberste Leitung der allgemeinen und poli- 
tischen Verwaltungszangelegenheiten liegt in 
den Händen eines Ministerrats. Die Zahl der 
Minister beträgt neun: für Krieg, Inneres, 
Außeres, Justiz. Finanzen, Unterricht, Domänen 
und öffentliche Arbeiten, für Handel und Indu- 
strie. Bisweilen ist ein Minister ohne Portefeuille 
vorhanden, der dann Vorsitzender des Minister- 
  
Rumänien. 
  
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rats sein muß. Zu Ministern können nur Rumä- 
nen von Geburt oder Naturalisation ernannt 
werden, Mitglieder der königlichen Familie sind 
ausgeschlossen; die Minister können vom Parla- 
ment oder vom König zur Verantwortung gezogen 
werden. Anklagen gegen einen Minister müssen 
von mindestens zwei Dritteln der in der betreffen- 
den Sitzung anwesenden Mitglieder der Körper- 
schaft erhoben werden; die Rechtsprechung erfolgt 
durch den Obergerichts= und Kassationshof in ge- 
meinsamer Sitzung aller Sektionen. Die gegen 
einen Minister erkannten Strafen kann der König 
nicht ohne Zustimmung des Hauses, das die An- 
klage erhoben hat, aufheben oder mindern. — 
Für die untere Verwaltung ist Rumänien in 32 Be- 
zirke eingeteilt; die Verwaltung der Bezirke liegt 
in den Händen von Präfekten, die vom König auf 
Vorschlag des Ministers des Innern ernannt 
werden. In der Wahrnehmung seines Amts stehen 
dem Präfekten eine Anzahl von Gemeindeinspek- 
toren (Subpräfekten) zur Seite, welche die Ord- 
nung in einer bestimmten Anzahl von Gemeinden 
zu überwachen haben. Die innern besondern An- 
gelegenheiten eines Bezirks (wie der Bau von 
Wegen, Schulen, Krankenhäusern, Bewilligung 
der Bezirksausgaben, Unterhaltung und Verbes- 
serung von Bezirksanstalten) unterstehen der Lei- 
tung eines Bezirksrats, dessen Mitglieder von den 
Bewohnern des Bezirks in drei Klassen gewählt 
werden. Für die Zeit, in der der Bezirksrat nicht 
tagt, ordnet er aus seiner Mitte drei Mitglieder 
als Bezirksausschuß ab, der als Beirat des Prä- 
fekten dient und von diesem in bestimmten An- 
gelegenheiten gehört werden muß. Die Gemein- 
den (71 Städte und 2908 Landgemeinden) haben 
in der Ordnung ihrer innern Angelegenheiten 
große Selbständigkeit; der Staat kann nur als 
Aufsichts= und Überwachungsorgan eingreifen. 
Neuerrichtungen und Anderungen von Gemeinden 
können nur durch Gesetz erfolgen. An der Spitze 
der Gemeinde steht der vom Gemeinderat ge- 
wählte Bürgermeister, der teils ausführender Be- 
amter aller Beschlüsse des Gemeinderats teils 
Vertreter der Zentralgewalt ist und als solcher die 
Gesetze durchzuführen, Maßregeln für die öffent- 
liche Sicherheit zu ergreifen hat usw., wobei ihm 
ein oder zwei stellvertretende Bürgermeister zur 
Seite stehen. Organ für die Selbstverwaltung der 
Gemeinde ist der auf 4 Jahre von der Gemeinde 
gewählte Gemeinderat (7—13 Mitglieder), der 
in den Städten von zwei Wählerklassen gewählt 
wird, während die Wähler der Landgemeinden 
nur eine Klasse bilden. Die Beschlüsse der Land- 
gemeinden und solcher Stadtgemeinden, die nicht 
Residenzen sind, unterliegen der Bestätigung durch 
den Bezirksrat, für die städtischen Residenzen der- 
jenigen des Ministers des Innern; wichtigere 
Verfügungen in Betreff der Gemeindeabgaben, 
des Vermögens usw. bedürfen der Genehmigung 
des Landesherrn, in bestimmten Fällen der des 
Parlaments. — Die Organisation der Do-
	        
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