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lehnenden Bescheid des Bundesrats ist die Petition
an den Reichstag zuläfsig. Dadurch, daß nach
den Reichsjustizgesetzen die Gerichte über Be—
schwerden wegen verweigerter Justiz und wegen
richterlicher Disziplinarmaßregeln zu entscheiden
haben, ist aber die Anrufung der Justizverwal-
tungsbehörden nicht ausgeschlossen, um durch diese
die Beseitigung der verletzenden Verfügung im
Aufsichtsweg herbeizuführen. Denn in dem Auf-
sichtsrecht ist richterlichen Beamten gegenüber die
Befugnis gelegen, die ordnungswidrige Aus-
führung eines Amtsgeschäfts zu rügen und zu
dessen sachgemäßer und rechtzeitiger Erledigung
zu ermahnen.
Im Verwaltungsästreitverfahren können
Beschwerden gegen Verfügungen, welche die pro-
zessuale Stellung der Parteien zueinander be-
treffen, nur im Instanzenzug, verwaltungsgericht-
liche Verfügungen anderer Art sowohl durch die
Verwaltungsstreit- als die Verwaltungsaufsichts-
behörden erledigt werden. Die Entscheidungen der
Verwaltungsstreitbehörden sind ebenso endgültig
wie diejenigen der Gerichte. In allen andern
Verwaltungssachen tritt eine Rechtskraft der Ent-
scheidungen der Verwaltungsbehörden nicht ein,
weil die staatlichen Aufsichtsbehörden die Befugnis
haben, innerhalb ihrer gesetzlichen Zuständigkeit
Verfügungen und Anordnungen der nachgeord-
neten Behörden außer Kraft zu setzen oder diese
Behörden mit Anweisungen zu versehen. Es ist
daher in allen Justizaufsichtssachen, in den Auf-
sichtssachen im Verwaltungsstreitverfahren und in
allen andern Fällen der Verwaltung gegen die
Verfügungen und Anordnungen der Behörden die
Beschwerde bis an den Ressortminister zulässig.
Diese Beschwerde steht aber nur dem Verletzten
zu. Gegen den die Beschwerde verwerfenden Be-
scheid des Ressortministers steht dem Verletzten,
welcher sich auch bei dieser Entscheidung der obersten
Staatsbehörde nicht beruhigen zu können vermeint,
die Petition an das Staatsoberhaupt oder an die
Volksvertretung zu. In diesem Stadium unter-
scheidet sich diese Petition des Verletzten von andern
staatsbürgerlichen Petitionen nicht mehr.
Der Ausdruck Petitionsrecht umfaßt somit nicht
bloß die auf die Wahrnehmung öffentlicher An-
gelegenheiten, sondern auch die auf die Verletzung
individueller Interessen und die Herstellung eines
verletzten öffentlichen oder privaten Rechts ge-
richteten Bitten und Verstellungen. Jede Be-
schwerde enthält eine Bitte um Abhilfe, und jede
rechtswidrige Verletzung individueller Rechte ist
eine öffentliche Angelegenheit; jede Erfüllung einer
individuellen Beschwerde schützt gegen ähnliche
Störungen der Rechtsordnung. Was die Be-
schwerde im eigentlichen Sinn von den Petitionen
scheidet, das ist der Anspruch des Beschwerdeführers
auf einen Bescheid; die Verpflichtung zu dessen
Erteilung haben aber nur die Behörden, welche
durch die Gesetze und vielfach auch durch Verfas-
sungsbestimmungen (sächsische Verfassungsurkunde
Petitionsrecht.
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8 36, württembergische Verfassungsurkunde § 36,
sachsen-altenburgische Verfassung § 65, braun-
schweigische neue Landesordnung § 38) verpflichtet
sind, dem Beschwerdeführer die Gründe ihrer Ent-
cheidung mitzuteilen. Staatsoberhaupt, Bundes-
rat und Volksvertretung sind zur Erteilung eines
Bescheids nicht verpflichtet; die Volksvertretung
ist nach ihrer ganzen Stellung im Staatsorga-
nismus zu einem solchen Bescheid nicht einmal
befugt, sie kann die Beschwerde nur, wenn sie
dieselbe begründet findet, dem Staatsministerium
zur Berücksichtigung überweisen. In Preußen hat
die Verfassung eine Antwortpflicht der Minister
auf die von der Kammer aufgegriffenen Beschwer-
den statuiert, die sich auch auf die Mitteilung
erstreckt, was seitens des Ministers auf den Über-
weisungsbeschluß der Kammer geschehen ist. —
Von dem Petitionsrecht ist auszuscheiden das den
Volksvertretungen in den Verfassungen gewähr-
leistete Recht der Initiative und der Adresse.
— Do die wichtigsten Petitionen jene sind, welche
von einzelnen und Korporationen an die Volks-
vertretung oder den Monarchen oder von der
Volksvertretung an die höchste Staatsbehörde oder
das Staatsoberhaupt gerichtet werden, so wird der
Ausdruck Petitionsrecht vielfach auf diese Bitten
und Vorstellungen beschränkt; diese Beschränkung
ist jedoch unbegründet, weil es auch Petitionen
an Gemeinde-, Kreis-, Bezirks- und Provinzial-
vertretungen gibt.
Die Gründe für die Statthaftigkeit des Pe-
titionsrechts sind gleich den Gründen für die kon-
stitutionelle Staatsform in der Natur des Staats
und in der auf Selbstbestimmung gegründeten
Natur des Menschen zu finden. Beiden widerspricht
die Ausschließung der Staatsangehörigen von der
Mitbestimmung ihrer staatlichen Geschicke. Der
mit Vernunft und freiem Willen geschaffene Mensch
ist vermöge seiner Natur einerseits zu einem rein
selbständigen, anderseits zu einem gemeinsamen
Leben bestimmt. Das gemeinsame Leben der selb-
ständigen Einzelwesen vollzieht sich in dem mit
der Existenz des Menschen naturnotwendig ge-
gebenen Staatsverband. Dieser Staatsverband
hat die äußern Bedingungen zur Erreichung des
Zwecks der menschlichen Existenz und hiermit des
menschlichen Zusammenlebens, soweit dieselben
durch menschliche Tätigkeit zu verwirklichen sind,
zu regeln und zu sichern. Aus der Willensfreiheit
des Menschen folgt, daß derselbe an dieser Reg-
lung mitzuwirken hat, wenn das menschliche Wesen
im Leben des einzelnen und der Gesamtheit zur
vollen Darstellung gelangen und der Zweck der
Existenz des Menschen und der Menschheit ver-
wirklicht werden soll. Denn daß der Mensch die
staatlichen Postulate mit Freiheit erfüllt, entspricht
nur der passiven Seite seines zur aktiven Mitwir-
kung an der Erfüllung der menschlichen Aufgaben
frei geschaffenen Geistes. Der Staat seinerseits,
welcher aus dem politischen Leben der Untertanen
seine wesentliche Nahrung zieht, kann die ihm zu-