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nungsgesetz der Lissaboner Revolutionsmänner hat
derselbe Papst in seiner Enzyklika vom 24. Mai
1911 den schärfsten Protest erhoben. Wo immer
aber innerhalb der gemeinschaftlichen Interessen-
sphäre ein Streit zwischen beiden Gewalten aus-
zubrechen droht, da bietet die Möglichkeit des
Abschlusses eines Konkordats jederzeit einen
gangbaren Weg zur Verständigung. Auf dieses
wichtige Auskunftsmittel weist deshalb auch Papst
Leo XIII. die Staatslenker hin, wenn er in
seinem oben genannten Rundschreiben vom 1. Nov.
1885 hinzufügt (Denzinger-Bannwart a. a. O.
en. 1866): Incidunt autem quandoque tem-
pora, cum alius quoque concordiae modus
ad tranquillam libertatem valet, nimirum si
qui principes rerum publicarum et Pontifex
Maximus de re aliqua separata in idem pla-
citum consenserint. Die guten Dienste und
Handreichungen, welche der Staat der Kirche
leistet, kommen ihm selbst wieder zu gut, weil har-
monisches Einvernehmen Ruhe, Zufriedenheit und
Gehorsamswilligkeit im Staatskörper schafft. Das
geflügelte Wort vom „ewigen Streit zwischen im-
perium und sacerdotium“ beweist nur die Un-
vollkommenheit menschlicher Einrichtungen, mit
nichten aber die Überflüssigkeit oder gar Unmög-
lichkeit der Eintracht. Jeder gewaltsame Bruch
zwischen Staat und Kirche kann nur in den schwer-
sten Gewissensnöten der katholischen Staatsbürger
endigen. Denn in die Mitte zwischen beide Ge-
walten gestellt und mit Pflichten belastet gegen
beide, gerät der Untertan in die peinliche Lage,
entweder der einen oder der andern den Gehorsam
aufzukündigen und so entweder zum Rebellen gegen
den Staat oder zum Abtrünnigen von der Kirche
zu werden. Und wenn auch der überzeugungstreue
Christ von den Aposteln die Direktive hat: „Man
muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“ —
im Grund die ethische und staatsrechtliche Theorie
von der Erlaubtheit des „passiven Widerstands“ —,
so ist doch für viele die Versuchung zum Ab-
fall vom Glauben größer als der Gegenzug an-
geborner oder selbsterworbener Glaubensstärke. Da-
bei soll nicht geleugnet werden, daß bei besonders
heftigen Zwistigkeiten die schiedliche und friedliche
Trennung von Staat und Kirche für beide Teile
den relativ besseren Zustand, d. h. das „kleinere
Übel“, darstellen kann. Aber doch „nur für ab-
norme Verhältnisse .. wenn nämlich der Staat
das richtige Verhältnis zur Kirche verkennt oder
mißachtet. Unnatur bleibt diese Trennung immer-
hin auch in diesen Fällen, wie es Unnatur ist, daß
die Seele vom Körper getrennt, die Frau vom
Mann geschieden wird, wenn schon ein krankhaftes
Mißverhältnis die Trennung zeitweilig wünschens-
wert erscheinen läßt“ (C. Gutberlet, Lehrbuch der
Apologetik III /[18941 24). Manche Staatsrechts-
lehrer sind gewohnt, die einen aus Abneigung
gegen Religion, die andern im Interesse der Re-
ligion, als praktischen Beweis für die Zuträglich-
keit der Trennung das langbewährte Beispiel der
Toleranz. 506
Vereinigten Staaten, wo beide Teile bei getrennter
Ehe sich ausnehmend wohl zu fühlen scheinen, an-
zuführen, zumal Nordamerika auch in den neu-
erworbenen Kolonien Kuba, Puerto Nico und Phi-
lippinen die von der Staatsverfassung geforderte
Scheidung eingeführt hat. Allein so rückhaltlos
anerkannt werden soll, daß beide Teile nicht schlecht
dabei fahren, so kann man doch unmöglich von
einem „Ideal“ sprechen, wenn man hört, daß der
Freistaat „die Kirche genau so behandelt wie jeden
Schachklub und jede Tanzgesellschaft; die Priester
sind vor dem Richter nichts anderes als beliebige
Direktoren einer Eisenbahn, ihre Kirchen sind Ver-
sammlungssäle wie andere auch“ (v. Treitschke
a. a. O. 338 f). Über die Wirkung des Systems
s. Schaff, Church and State in the United
States or the Amerrican idea of religious Li-
berty and its practical Effects (Neuyork 1888).
Dazu kommt, daß der nordamerikanische Freistaat
Eigentümlichkeiten so besonderer Art aufweist, daß
er mit andern Staaten kaum verglichen werden
kann. Obschon dort ein rücksichtsloser Konkurrenz-
kampf sich widerstreitender Interessen herrscht, so
trägt dennoch bei der Noblesse des amerikanischen
Volkscharakters das Schlimmere nicht leicht den
Sieg über das Bessere davon, sondern trotz aller
Korruption im Erwerbsleben und in der Politik
erzeugen die egoistischen Sonderbestrebungen zuletzt
eine Resultante, die genau besehen dem Gemein-
wesen zugute kommt und die Staatsmaschine in
Gang erhält. Was die einzelnen mit selbstsüch-
tigen Absichten und Mitteln für sich erkämpfen,
das fügt sich als ungesuchtes Glied ins große
Triebrad ein und wird gezwungen, dem höheren
Ganzen zu dienen (s. Cl. Jannet u. W. Kämpfe,
Die Vereinigten Staaten von Amerika in der
Gegenwart. Sitten, Institutionen und Ideen seit
dem Sezessionskrieg (1893|). So ist es auch mit
dem Wettbewerb der Religionen, Kirchen und
Sekten, die dort wie Pilze aus der Erde auf-
schießen. Ihr Einfluß ist gerade stark genug, um
das Staatswesen selbst mit einem Flitter von
Religion zu umkleiden, wenn zwar die konfessions-
lose Staatsschule — die Achillesferse der Union —
nach und nach ein Geschlecht von Indifferentisten
und Ungläubigen zu züchten droht. Gleichwohl
würde man den Durchschnitts-Amerikaner tief be-
leidigen, wenn man seine Heimat als unchristlich
oder gar religionslos verschreien wollte. Denn
der Freistaat beansprucht nicht bloß selbst Religion
zu besitzen, sondern sogar am Christentum (z. B.
Sonntagsheiligung, Monogamie, Danksagungs=
tag) festzuhalten. Noch heute gilt, was einst F.
Walter (a. a. O. 495) schrieb: „Selbst in den
Vereinigten Staaten von Amerika, worauf man
sich gern beruft, wird die Religion nicht für den
Staat gleichgültig angesehen, sondern als ergän-
zend vorausgesetzt.“
2. Obschon der katholische Staat ver-
fassungsmäßig nur die katholische Religion als die
allein wahre anerkennt, so kann er dennoch mit