Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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identifiziert. Anders war die Scholareneinteilung 
in Bologna. Die nationalen Scholarenverbin- 
dungen waren hier freie Genossenschaften auf 
fremdem Boden, wie die kaufmännischen Kor- 
porationen. Ursprünglich gab es mehr als vier 
derartige, auf demokratischer Grundlage beruhende 
Verbindungen, die nicht lange vor dem Ende des 
12. Jahrh. allmählich entstanden. In späterer 
Zeit gab es nur noch die zwei Hauptkorporationen 
der Ultramontani und Citramontani, denen in 
Padua die Transalpiner und Zisalpiner ent- 
sprachen. Die beiden Hauptkorporationen um- 
faßten an beiden Universitäten wieder mehrere 
Nationen. In ähnlicher Weise waren an der 
ältesten Universität Englands, zu Oxford, die 
Scholaren in zwei landsmannschaftliche Gruppen 
geschieden, nämlich in Boreales (Northern men) 
und Australes (Southern men). Auch an den 
ersten deutschen Hochschulen finden wir die Na- 
tioneneinteilung, so in Prag, wo es eine böh- 
mische, bayrische, polnische und sächsische Nation 
gab, wobei die böhmische gleich jeder andern nur 
über eine Stimme verfügte. Desgleichen waren 
in Wien die Mitglieder nach ihrer staatlichen Zu- 
gehörigkeit in vier Nationen eingeteilt. In Leipzig 
wurde ihre Ordnung durch den Vers bezeichnet: 
Saxo, Misnensis, Bavarus tandemque Polo- 
nus. Bei den jüngeren Hochschulen stand die 
Nationeneinteilung entweder nur auf dem Papier, 
wie in Heidelberg, oder sie fehlte ganz, da sie 
durch die Fakultäten ersetzt wurde. An der Spitze 
einer Nation stand ein von ihr erwählter Pro- 
kurator, der mindestens magister artium sein 
mußte. Er schrieb die Namen der Mitglieder in 
die Matrikel der Nation, berief die Versamm- 
lungen und verwaltete die Kasse. 
Am Anfang des 13. Jahrh. wurde facultas 
im Sinn eines wissenschaftlichen Fachs, um die 
Mitte im Sinn von Fakultätskollegium der 
Professoren einer gemeinsamen wissenschaftlichen 
Disziplin gebraucht. Am genauesten läßt sich die 
Entwicklung der Fakultäten an der Pariser Uni- 
versität erkennen. In der Littera Universitatis 
magistrorum et scholarium Parisüs studen- 
tium vom Jahr 1254 heißt es, daß sich der sa- 
Pientiae fons teile in quattuor facultates vid. 
theologicam, iurisperitiam, medicinam, nec- 
non rationalem, naturalem, moralem philo- 
sophiam quasi in quattuor paradisi flumina. 
Diese Fakultäten waren autonome Körperschaften; 
ihre Ausbildung fällt etwas später als die der 
„Nationen“. Nicht alle Universitäten hatten gleich 
von Anfang an vier Fakultäten, manche erlangten 
diese Zahl überhaupt nicht. Bologna hatte zeit- 
weise fünf, weil römisches und kanonisches Recht 
als getrennte Fakultäten angesehen wurden. Die 
bhilosophische Fakultät, im Mittelalter meistens 
facultas artium, artium liberalium, Fakultät der 
Artisten genannt, war gewissermaßen die gemein- 
same Grundlage der drei höheren Fakultäten, so- 
fern man ihr angehört haben mußte, wenn man zu 
Universitäten. 
  
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den übrigen Fakultäten aufsteigen und in ihnen 
Grade erwerben wollte. Für gewöhnlich war das 
philosophische Fakultätskollegium eine lehrende 
und lernende Körperschaft; denn die artistischen 
Magister waren, auch wenn sie als Lehrer wirkten, 
zugleich Scholaren in einer der oberen Fakultäten. 
— Nach der Einrichtung des Prokuratorenamts 
entstand das des Rektors, der eine Art Exekutiv-= 
organ war. Später ward der Rektor das Haupt 
der ganzen Artistenfakultät; wegen der größeren 
Stärke derselben ordnete er sich allmählich die an- 
dern Fakultäten unter. Seit 1341 erst fungierte 
er in Paris als das Haupt der ganzen Universität, 
die er nach außen vertrat und deren Siegel er 
führte. Auch übte er als iudex ordinarius die 
richterliche Gewalt aus, und in Zivil= und Kri- 
minalsachen durften die Mitglieder der Universität 
nur von ihm belangt werden. Anfangs wurde er, 
und zwar auch aus der Zahl der Scholaren, vier- 
mal im Jahr, dann für jedes Semester gewählt, 
und hierauf für ein Jahr. In Bologna gab es 
noch im Anfang des 15. Jahrh. zwei Rektoren, 
einen für die Citramontani und einen für die 
Ultramontani; später begnügte man sich mit 
einem. In Köln wurde er so gewählt, daß jede 
der vier Fakultäten aus ihrer Mitte einen Elekto- 
ralen ernannte, meist den Dekan, und diese dann 
den Rektor mit Stimmenmehrheit kreierten. Im 
16. und 17. Jahrh. wurden häufig Fürsten und 
vornehme Herren wenigstens zum nominellen 
Rektor gewählt; an manchen Universitäten (Frei- 
burg i. B., Heidelberg, Königsberg) hat der Lan- 
desfürst bzw. ein Prinz des regierenden Hauses 
die Rektoratswürde inne und heißt Rector Magni- 
ficentissimus; der fungierende Rektor führt dann 
den Titel Prorektor; sonst ist dies auf ein Jahr 
der Titel des Rektors nach Ablauf seiner Amts- 
zeit. An der Spitze der Fakultäten stand wie noch 
heute ein Dekan, dessen Name der kirchlichen und 
monastischen Organisation entlehnt ist (ogl. Dom- 
dekan). Nach heutiger Einrichtung wird der Dekan 
(französisch doyen) durch die Fakultätsmitglieder 
aus ihrer Mitte auf ein Jahr gewählt. Er beruft 
die Professoren zur Beratung, hat ein Aussichts- 
recht über Lehrer und Studierende seiner Fakultät 
und wacht über die Beobachtung der Fakultäts- 
statuten. — Die Professoren, im Mittelalter ma- 
zistri, docentes (Dozenten) genannt, mußten in 
ihrem Fach das Doktorat oder Magisterium, min- 
destens das Lizentiat erreicht haben. Sie wurden 
eingeteilt in legentes und non legentes. Die 
Magister durften in der artistischen Fakultät nicht 
unter 21, in der theologischen nicht unter 35 Jah- 
ren sein. Ursprünglich waren in Bologna die- 
jenigen Professoren des Rechts ordinari#, welche 
über ein ordentliches Buch des Rechts (digestum 
vetus, codex, decretum, Dekretalen) eine ordent- 
liche Vorlesung (in einer Morgenstunde) zu halten 
berechtigt waren; extraordinarül waren die, 
welche nur über außerordentliche (minder wichtige) 
Bücher, und zwar am Nachmittag, lesen durften.
	        
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