Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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über Ruhland 1 329 ff) zeigt, daß auch die 
Person des Schuldners dem gierigen Wucherer 
verfiel. Aristoteles hat die Unnatürlichkeit des 
Zinses vom Gelddarlehen entwickelt, und das 
römische Recht, das doch im wesentlichen ein kapi- 
talistisches war (Oncken, Geschichte der Natio- 
nalökonomie 1 (19011 49 f), griff angesichts der 
Greuel, die der Wucher anrichtete, wiederholt 
zu Zinsbeschränkungen, freilich ohne nennens- 
werten Erfolg (ausführlich s. Noe, Die Zins= und 
Wucherfrage in alter und neuer Zeit /Soziale 
Revue 19031 451 ff, 671 ff; auch Oncken, Ge- 
schichte der politischen Okonomie 1 60 ff). Cato 
der Altere verglich deshalb den Wucher mit dem 
Totschlag. Gegen Ende der Republik war der 
Zinsfuß von 12% (centesimae usurae) all- 
gemein üblich. Kaiser Justinian bestimmte als 
allgemeinen Zinsfuß 6% , für den risikoreichen 
Seehandel (foenus nauticum) 12%⅝%. Zum 
Schutz der kleinen Grundbesitzer wurde das Geld- 
darlehen in Grund und Boden auf 4½⅛ % fest- 
gesetzt. — Bei den alten Germanen bestand 
kein Wucherverbot aus dem einfachen Grund, 
weil das Zinsnehmen nach Tacitus (Germ. 
. 26) unbekannt war (Cathrein, Moralphilo= 
sophie" II 352). 
Die ältesten Bestimmungen über das Zins- 
nehmen enthält das mosaische Recht (ogl. 
d. Art. Israeliten II 1453). Es verbot, vom 
Stammesgenossen Zins zu nehmen. „Leihe nicht 
auf Zins deinem Bruder Geld oder Speisen oder 
andere Gebrauchssachen, wohl aber Fremden. 
Deinem Bruder leihe ohne Zins das, wessen er 
bedarf, damit dich segne der Herr dein Gott bei 
allen deinen Unternehmungen in dem Land, welches 
in Besitz zu nehmen du hinziehst“ (5 Mos. 23, 
19 f). Dieses Verbot war auf Schutz des Grund- 
besitzes gegen Verschuldung gerichtet und ging von 
der Voraussetzung aus, daß in einfachen Verhält- 
nissen mit vorherrschender Naturalwirtschaft wohl 
zumeist Notdarlehen aufgenommen würden. Da- 
gegen war es gestattet, von Fremden Zins zu 
nehmen, weil solche Darlehen meist zu Handels- 
zwecken gegeben wurden und mit einem viel grö- 
ßeren Risiko verbunden waren. Hieraus darf mit 
Recht gefolgert werden, daß der Zins nichts an sich 
Unrechtes ist, denn sonst hätte er den Juden in 
gar keinem Fall gestattet werden können, wie denn 
z. B. Raub und Diebstahl auch am Ausländer 
zu begehen verpönt war (Hefele, Beiträge zur 
Kirchengeschichte 1 (1864) 36; Funk, Zins und 
Wucher 217 ff). Nach Thomas von Aqui freilich 
wäre den Juden das Zinsnehmen von Fremden 
gestattet gewesen, nicht als wäre es an sich er- 
laubt, sondern nur um ein größeres Übel zu ver- 
hüten, da bei ihrer Habsucht sonst die Bewuche- 
rung der eignen Stammesgenossen zu befürchten 
gewesen wäre (Funk, Geschichte des kirchlichen 
Zinsverbots 36 ; Walter, Die Propheten in 
ihrem sozialen Beruf und das Wirtschaftsleben 
ihrer Zeit, 1900). 
  
Wucher und Zins. 
  
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2. Umstritten ist die Stellung des Neuen 
Testaments zur Zinsfrage. Es enthält nur 
eine Stelle, die darauf Bezug nimmt. Bei Luk. 6, 
34 fsagt der Herr: „Wenn ihr leihet, von denen 
ihr hoffet wieder zu bekommen, was für ein Dank 
ist für euch? Auch Sünder leihen Sündern, um 
das gleiche wieder zu erhalten. Vielmehr liebet 
eure Feinde und leihet dar, ohne etwas dafür zu 
hoffen, so wird euer Lohn groß sein.“ Der Zu- 
sammenhang verbietet es, diese Worte als einen 
bloßen Rat zu erklären. Aber trotzdem ist ein 
Zinsverbot in denselben nicht zum Ausdruck ge- 
bracht. Es handelt sich hier nicht um den Verzicht 
auf Zinsen, sondern auf das Kapital. Der Herr 
kommt in der Bergpredigt, nachdem er von der 
Liebe gegen den Feind gesprochen hat, auf die 
Nächstenliebe überhaupt zu sprechen. Als ihr 
Wesen wird die Uneigennützigkeit bezeichnet. Jede 
Rücksicht auf einen Gegendienst soll bei der echten 
Nächstenliebe, welche bloß eine Belohnung von 
Gott erwartet, ausgeschlossen sein (Schanz, Kom- 
mentar über das Evangelium des hl. Lukas 
[18831 226 f; Pesch, Zinsgrund 58 f). Hier- 
aus folgt, daß es eine Pflicht der Liebe sein 
kann, dem Nächsten mit einem Darlehen beizu- 
springen (Ratzinger S. 305). Wenn eine solche Zu- 
mutung, selbst eventuell auf das Kapital Verzicht 
zu leisten, als zu drückend erscheinen möchte, so 
vergesse man nicht, daß diese Pflicht nicht allzu 
häufig eintreten dürfte; in den meisten Fällen wird 
der Liebespflicht gegen den Bedürftigen durch ein 
Almosen genügt. Sie kann jedoch eintreten, wenn 
das Almosen absolut unwirksam ist zur Linderung 
fremder Not und ein à fonds perdu gegebenes 
Darlehen dem Bemittelten ohne eignen schweren 
Schaden möglich ist. Das hat schon Augustinus 
ausgesprochen (Schilling, Die Staats= und So- 
ziallehre des hl. Augustin (1910) 218f 247). 
Gerade die moderne Auffassung von der Unter- 
stützungspflicht, die an die Stelle eines Al- 
mosens die Kräftigung der Arbeitstüchtigkeit des 
Notleidenden setzt, kann eine solche Verpflichtung 
nicht bestreiten (Peabody, Jefus Christus und 
die soziale Frage [1903] Kap. 5: Arm und Reich). 
Die Parabel von den anvertrauten Pfunden 
(Matth. 25, 14 f. Luk. 19, 12 f), in der dem 
Knecht ein Vorwurf daraus gemacht wird, daß er 
nicht für Vermehrung des ihm anvertrauten Guts 
gesorgt hat, darf wohl in unserer Frage nicht heran- 
gezogen werden. Jacobson (S. 341 f) meint: ob- 
gleich hier offenbar das Verzinsen gebilligt werde, 
ohne natürlich der vorhin erwähnten Pflicht (ohne 
Hoffnung auf Rückerstattung zu leihen) im ge- 
ringsten Abbruch zu tun, sei doch schon frühzeitig 
in der Kirche das Nehmen von Zinsen aufs be- 
stimmteste verworfen worden. Aber in dieser Pa- 
rabel steht ja ein Darlehen gar nicht in Frage; 
es ist ein Auftrag, den der Herr den Knechten gab, 
mit seinem Gut zu wirtschaften. Sie sind Ver- 
walter des ihnen vom Herrn anvertrauten Guts. 
Der Knecht vergrub „das Geld seines Herrn“,
	        
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